Aktuelle Ernährungsmedizin 2022; 47(01): 5
DOI: 10.1055/a-1688-6794
Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

nicht nur ein neues Jahr mit Corona hat begonnen, sondern auch eine neue Regierung. Im Kabinett Scholz ist ein neuer Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, der erste mit Migrationshintergrund in Deutschland, der sich auch als Schwabe fühlt. In der Agrarpolitik ist Özdemir bereits aktiv. Lemke und Özdemir kündigen „neuen Aufbruch“ in der Landwirtschaft an, titulierte Die Zeit am 19.1.2022, und „Der neue Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir macht sich für angemessene Preise von Lebensmitteln und Agrarprodukten stark“ berichtete das ZDF zuvor. Aber wo bleibt die Ernährung? Bislang ist Özdemir nur als Landwirtschaftsminister angetreten, aber leider kaum als Ernährungsminister!

Die erste Erklärung zum Amtsantritt des neuen Ministers ist bemerkenswert. Cem Özdemir weiß zwar, dass die Landwirte diejenigen sind, „die für das Essen auf unserem Tisch sorgen“, das Wort „Ernährung“ kommt aber in dieser Erklärung nicht vor. Dabei ist doch die Ernährung, insbesondere die gesunde Ernährung der gesamten Bevölkerung eine zentrale Aufgabe seines Ministeriums in Zeiten, in denen ein Viertel der Deutschen adipös ist und Adipositas der vielleicht größte Krankheitsrisikofaktor darstellt, nicht zuletzt für COVID-19.

Dabei stehen wichtige Aufgaben für einen Bundesminister für Ernährung an, wie die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), ein Zusammenschluss von 23 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Verbänden, der sich für Maßnahmen zur Verhinderung von Adipositas, Diabetes, Krebs und Herz-Kreislauf-Krankheiten einsetzt, kürzlich in einer Pressemitteilung feststellt. „Das Wissenschaftsbündnis DANK erwartet vom neuen Bundesernährungsminister Cem Özdemir eine ,klare Kante‘ gegenüber der Lebensmittel-Lobby. Der Einfluss der Lebensmittelwirtschaft auf die Ausgestaltung der laut Koalitionsvertrag geplanten Ernährungsstrategie sollte von Beginn an begrenzt werden …“, und weiter „Mit dem Wechsel an der Spitze des Ministeriums erhoffen wir uns auch eine Kehrtwende in der Ernährungspolitik. Anstatt medienwirksamer, aber wirkungsloser freiwilliger Selbstverpflichtungen, brauchen wir verbindliche Vorgaben.“

Zum Ernährungskapitel des Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP zieht das Wissenschaftsbündnis ein gemischtes Fazit. Der größte Fortschritt sei, dass „an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt“ künftig unterbunden werden soll. Ebenfalls positiv bewertet DANK das Vorhaben, bis 2023 eine „Ernährungsstrategie“ zu entwickeln, „um eine gesunde Umgebung für Ernährung und Bewegung zu schaffen“. Als größtes Manko bezeichnet das Bündnis, dass eine Sondersteuer oder Herstellerabgabe für Süßgetränke offenbar in letzter Minute wieder aus dem Koalitionsvertrag gestrichen wurde. „Eine Herstellerabgabe auf stark gesüßte Getränke – ähnlich wie in Großbritannien – ist aus Sicht der Wissenschaftler*innen überfällig, um zur Reduktion des Zuckeranteils und des Konsums der gesundheitsschädlichen Produkte beizutragen. Die Einnahmen der Abgabe könnten zur Finanzierung gesunden Schulessens genutzt werden.“ Es bleibt spannend zu beobachten, wann diese Botschaften bei unserem neuen Bundesminister ankommen und welche Kraft zur Veränderung er aufbringen wird.

Nun habe ich ausführlich politisiert und verzichte deshalb auf die Kommentierung unserer Beiträge im Heft, die erneut interessant sind. Vielen Dank an alle Autor*innen.

Ihr Stephan C. Bischoff
Editor



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Article published online:
10 February 2022

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