Suchttherapie 2022; 23(02): 65
DOI: 10.1055/a-1679-7706
Editorial

Editorial

Jens Reimer

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

als ich als angehender Suchtmediziner Anfang der Nullerjahre auf einem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin einen Vortrag zu Leitlinien hielt, war eine häufige Konnotation diejenige der Leidlinien. Leitlinien wurden oftmals eher als Gängelung denn als Unterstützung in der medizinischen Leistungserbringung gesehen. Erfreulicherweise hat sich dieses Bild in den letzten Jahren doch gewandelt und Leitlinien werden oftmals auch als Unterstützung im klinischen Alltag wahrgenommen. Rezeption und Umsetzung von Leitlinien in die Praxis bleiben jedoch weiter eine Gretchenfrage. Im Rahmen des vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Projektes zur Frage der Implementierung der S3-Leitline zu alkoholbezogenen Störungen sind Angela Buchholz, Maren Spies, Martin Härter, Christina Lindemann, Jens Reimer, Uwe Verthein (alle Hamburg) sowie Ulrich Frischknecht und Falk Kiefer (Heidelberg) der Frage nach diesbezüglichen Barrieren und Umsetzungsstrategien nachgegangen. So viel sei verraten, ganz berauschend ist der status quo nicht. Gleichfalls im zeitlichen Verlauf von Nuller- zu Zehnerjahre betrachten die Autoren Daubner, Braun-Michl, Specht, Künzel und Schwarzkopf (alle München) die ambulante Suchthilfe bezüglich Klientel, Problembereichen und Betreuungsergebnis. In der Eigenbewertung erzielt die Suchthilfe im zeitlichen Verlauf gleichbleibend gute Betreuungsergebnisse. Ob bezüglich der Bewertung in Zukunft auch die Klienten einen Betrag leisten dürfen? Der Verschiebung der Hauptdiagnosen in der ambulanten Suchthilfe in Richtung cannabisbezogener Störungen tragen wir in diesem Heft Rechnung mit dem CME-Artikel von Ulrich Preuss (Ludwigsburg) und Katharina Schoett (Mühlhausen) zu Cathinonen und synthetischen Cannabinoiden. Die Bewertung zur Erreichung der drei CME-Punkte müssten Sie allerdings an dieser Stelle Autorin und Autor überlassen. Noch einmal zurück zu den Leitlinien: Als Orte für Früherkennung und -intervention werden hier u. a. Jobcenter genannt. Insofern ist erfreulich, dass die Autorinnen Ulrike Kuhn und Jannah Herrlein (Paderborn), die dem spezifischen Schulungsbedarf in ebendiesen Einrichtungen nachgegangen sind, eine gute Rücklaufresonanz auf ihre Fragen erhielten. Der Schulungsbedarf wird weiterhin als hoch eingeschätzt, aber das Thema ist gesetzt.

Apropos Setzung des Themas: aus meinem Klinikfenster schauend finden sich flatternde Fahnen der Ukraine und der Europäischen Union, sich drehende Windräder und das Atomkraftwerk Brokdorf, mithin Symbole von Themenfeldern existenzieller Bedeutung, welche Fragestellungen dieses Heftes selbstredend überlagern. Nichtsdestotrotz hat meines Erachtens im Sinne einer mitmenschlichen Gestaltung der Lebensbezüge auch eine Gleichzeitigkeit ihre Berechtigung.

Es wünscht Ihnen eine anregende Lektüre,

Ihr Jens Reimer



Publication History

Article published online:
05 May 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany