Dialyse aktuell 2022; 26(01): 1
DOI: 10.1055/a-1521-4211
Editorial

Freiwilligkeit oder Zwang?

Christian Schäfer
1   Stuttgart
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Christian Schäfer, Stuttgart

Eine Impfpflicht bezüglich COVID-19 bzw. SARS-CoV-2: Die Debatten rund um dieses Thema bestimmen seit einigen Wochen einen wichtigen Teil der Gesundheitspolitik (Stand Mitte Januar, als ich dieses Editorial verfasst habe). Die Auswirkungen einer wie auch immer gestalteten Impfpflicht sind sehr groß und reichen in ganz praktische Lebensbereiche hinein: Wer kontrolliert den Impfstatus wo? Was sind mögliche Sanktionen bei einer Impfverweigerung? Wie wird ein Impftermin und die Impfstoffverfügbarkeit zum angestrebten Zeitpunkt garantiert? Wie oft muss welche Bevölkerungsgruppe geboostert werden, um einen ausreichenden Impfschutz zu haben? Bzw. auf welche Virusvariante bezieht man sich hierbei? Wie lange gilt jemand bei einer Infektion mit welcher Virusvariante als genesen? Wie lange nach der letzten Impfung gilt jemand als vollständig geimpft?

Aber auch philosophische, gesellschaftliche und ethische Bereiche werden hiervon tangiert. Es stellt sich die Frage, ob man durch eine Impfpflicht tatsächlich so viel mehr ungeimpfte Menschen erreicht, um eine so hohe Impfquote zu erreichen, sodass die intensivmedizinischen Kapazitäten nicht überlastet werden. Denn eventuell spielen hier Angst vor Impfnebenwirkungen sowie Misstrauen und Trotz gegenüber dem Staatsapparat eine so große Rolle, dass man mit einer Impflicht keine nennenswerte Steigerung der Impfquote erwarten kann: Wer jetzt – nach einer so langen Verfügbarkeit von Impfstoffen und bei inzwischen deutlichen alltäglichen Einschränkungen für Ungeimpfte – immer noch nicht geimpft ist, der wird vielleicht dann eher ordnungsrechtliche Konsequenzen in Kauf nehmen, statt sich impfen zu lassen. Maßnahmen zum Nehmen der Angst und zur Aufklärung bzw. Kennzeichnen von Fake-News könnten ähnlich viel wie eine Impfpflicht bringen.

Zudem muss man überlegen, welche Art von Impfpflicht überhaupt sinnvoll sein könnte. Es gibt die Möglichkeit, dass nur bestimmte Berufsgruppen geimpft sein müssen – z. B. Gesundheits- und Pflegepersonal, wie es ja ab dem 15. März kommen wird. Dies kann man mit den im Gesundheitssektor herrschenden speziellen Erfordernisse und Bedingungen begründen, was durchaus sinnvoll sein kann. Dann gibt es die Möglichkeit einer Impfpflicht ab einem bestimmten Alter (z. B. ab 50 oder 60 Jahren) – man könnte hiermit die Bevölkerungsgruppen zu einer Impfung verpflichten, bei denen ein schwerer Infektionsverlauf wahrscheinlicher ist. Deutlich schwieriger wird es, wenn man die Gesamtbevölkerung ansieht – eine allgemeine Impfpflicht für alle ab z. B. 18 Jahren wäre nicht mehr ganz einfach und pauschal zu rechtfertigen: Jüngere Ungeimpfte erkranken deutlich seltener schwer als ältere Ungeimpfte. Auch Geimpfte können erkranken und geben das Virus weiter (zwar in geringerem Maße als Ungeimpfte, aber trotzdem signifikant); eine komplette Eindämmung durch die Impfung ist also nicht gegeben, sondern die Verbreitung des Virus wäre etwas reduziert. Die Omikron-Variante von SARS-CoV-2, die sich zur dominierenden Variante in Deutschland aufgeschwungen hat, ist weniger gefährlich als vorherige Varianten und führt somit prozentual zu weniger schweren Fällen (gleichwohl muss man natürlich beachten, dass Omikron ansteckender als Delta ist, weshalb die absoluten Zahlen an schweren Infektionen nicht so sehr zurückgingen).

Insgesamt muss man sich auch über den Zeithorizont klar werden, über den man bei einer allgemeinen Impfpflicht redet: Sollte sie z. B. im April oder Mai kommen, was derzeit realistisch erscheint, haben wir die Omikron-Welle (5. Welle) wahrscheinlich schon hinter uns. Viele werden sich aufgrund des hohen Ansteckungspotenzials in diesem Zuge infiziert haben (Ungeimpfte wie Geimpfte). Es wird daher wahrscheinlich einen gewissen Herdenschutz geben – auch ohne eine deutlich gesteigerte Impfquote. Es wäre dann denkbar, dass man aufgrund dessen eine eventuell eingeführte Impfpflicht bald wieder abschafft. Und es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass eine eventuelle nächste, sich ausbreitende Variante aus evolutionären Gründen noch ungefährlicher bzw. nicht gefährlicher als Omikron sein wird, wenn auch vielleicht noch etwas ansteckender. Sinnvoller als die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht wäre daher derzeit wahrscheinlich eine Ausweitung der FFP2-Maskenpflicht und eine Kontaktreduktion, um die Omikron-Welle möglichst flach zu halten.

Wie Sie sehen, ist dies ein diffiziles Thema. Diffizil wird es auch, wenn man unter schwierigen Umständen mit der Peritonealdialyse beginnen oder sie fortführen will. Wie dies in bestimmten Situationen trotzdem gelingt, erfahren Sie im Schwerpunktteil der vorliegenden Ausgabe der „Dialyse aktuell“. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Lektüre dieser und der weiteren Beiträge im aktuellen Heft!



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Article published online:
08 February 2022

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