AkupunkturPraxis 2021; 02(02): 126-127
DOI: 10.1055/a-1404-0221
Journal Club

Reorganisation des primären somatosensorischen Kortex durch Akupunktur beim Karpaltunnelsyndrom

Maeda Y, Kim H, Kettner N et al. Rewiring the primary somatosensory cortex in carpal tunnel syndrome with acupuncture. Brain 2017; 140 (4): 914–927

Das Karpaltunnelsyndrom ist das häufigste Engpasssyndrom des N. medianus. Dabei kommt es zu palmaren Schmerzen und Kribbelparästhesien der vom N. medianus versorgten Finger (Digiti I – III), oft mit einer Intensivierung in der Nacht. Lähmungen und ein Sensibilitätsverlust können im fortgeschrittenen Stadium auftreten. Häufig sind beide Hände betroffen. In dieser randomisierten kontrollierten dreiarmigen Studie wurde untersucht, ob eine lokale Elektroakupunktur am Handgelenk eine andere Wirksamkeit gegen die Symptome eines Karpaltunnelsyndroms zeigt als eine Elektroakupunktur an distalen Akupunkturpunkten am kontralateralen Bein oder im Vergleich zu einer Schein-Elektroakupunktur am Handgelenk. 80 Patienten (65 weiblich, Alter: 49,3 ± 8,6 Jahre) wurden in 3 Interventionsarme randomisiert:

  • Verum-Elektroakupunktur lokal an der stärker betroffenen Hand an den Punkten Di 10, Lu 5, He 3, Pe 3, 3E 5, Di 5, Pe 7, Dü

  • Verum-Elektroakupunktur an distalen Körperstellen in der Nähe des Knöchels kontralateral zur stärker betroffenen Hand an den Punkten Gb 34, Mi 6, Ni 3, Mi 5, Le 4

  • lokale Schein-Elektroakupunktur mit nicht penetrierenden Plazebo-Nadeln an 2 Sham-Punkten an der ulnaren Unterarmseite, an einem an der radialen Unterarmseite und an 2 an der medialen Seite des M. gastrocnemius

16 Sitzungen wurden über 8 Wochen durchgeführt. Mittels Boston-Karpaltunnelsyndrom-Fragebogen wurden die Schmerzen und Parästhesiesymptome zu Beginn der Studie, im Anschluss an die Therapie und 3 Monate nach Beginn der Studie erfasst. Die Untersuchung der lokalen Nervenleitgeschwindigkeit, insbesondere die Latenzen der sensiblen Nervenaktionspotenziale, und eine zerebrale funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) wurden zu Studienbeginn und nach Ende der Therapie durchgeführt. Mit Hilfe einer vibrotaktilen Stimulation an 3 Fingern (Digiti II, III und V) konnte das zur Hand zugehörige Areal im primären somatosensorischen Kortex im funktionellen MRT kartiert werden [1].

In allen 3 Interventionsarmen konnte nach Ende der Behandlung eine stärkere Reduktion der Intensität der neurologischen Symptome verzeichnet werden, aber nur die Verum-Elektroakupunktur (die ipsilaterale lokale und die kontralaterale distale) führten zu einer anhaltenden Verbesserung der neurophysiologischen Parameter und einer klinisch relevanten Symptomreduktion nach 3 Monaten [Abb. 2]. Außerdem ließ sich im fMRT eine Umstrukturierung der kortikalen sensorischen Fingerareale mit einer Reduktion der Distanz zwischen dem 2. und 3. Finger darstellen. Hier gab es auch einen signifikanten Zusammenhang mit der Dauer der Symptomreduktion beim Nachuntersuchungszeitpunkt von 3 Monaten; je geringer der Abstand der kortikalen Fingerareale geworden war, desto nachhaltiger war die Verbesserung der neurologischen Symptome zum Nachuntersuchungszeitpunkt nach 3 Monaten.

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Abb. 2 Symptombeurteilung anhand des Boston Carpal-Tunnel-Syndrome-Questionnaires (BCTQ) zur Baseline, nach 8 Wochen Behandlung und zum 3-Monats-Follow-up. In der Verumgruppe sind die Effekte von distaler und lokaler Akupunkturpunkteauswahl kombiniert dargestellt. Quelle: [1]

Weiterhin wurden mittels Diffusions-Tensor-Bildgebung (Darstellung der Faserbahnen = Traktografie) der zum sensorischen Kortex zugehörigen Gebiete der weißen Hirnsubstanz potenzielle Unterschiede der Wirkungen von lokaler Elektroakupunktur versus der distalen Elektroakupunktur untersucht. Im Vergleich zu gesunden Erwachsenen (n = 34, 28 weiblich, 49,7 ± 9,9 Jahre alt), wiesen Patienten mit Karpaltunnelsyndrom eine erhöhte fraktionale Anisotropie in mehreren Regionen auf. Das heißt, die Faserbahnen waren in ihrer Integrität gestört und für diese Regionen konnten die Forscher feststellen, dass eine Verbesserung der Nervenleitgeschwindigkeit zusammen mit einer Verringerung der fraktionalen Anisotropie einherging. Dieser Zusammenhang von Nervenleitgeschwindigkeit und Integrität der Faserbahnen der weißen Hirnsubstanz konnte am deutlichsten für die lokale ipsilaterale Elektroakupunktur im Vergleich zur distalen und zur Sham-Akupunktur gezeigt werden. Die Forscher schlossen daraus, dass anhand der Verbesserung der Somatotopie im primären somatosensorischen Kortex eine längerfristige klinische Verbesserung des Karpaltunnelsyndroms vorausgesagt werden kann.



Publication History

Article published online:
17 May 2021

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  • Literatur

  • 1 Maeda Y, Kim H, Kettner N. et al. Rewiring the primary somatosensory cortex in carpal tunnel syndrome with acupuncture. Brain 2017; 140 (04) : 914-927
  • 2 Napadow V. When a White Horse is a Horse: Embracing the (Obvious?) Overlap Between Acupuncture and Neuromodulation. J Altern Complement Med 2018; 24 (07) : 621-623
  • 3 Huang W, Pach D, Napadow V. et al. Characterizing acupuncture stimuli using brain imaging with FMRI – a systematic review and meta-analysis of the literature. PLoS One 2012; 7 (04) : e32960
  • 4 Khosrawi S, Moghtaderi A, Haghighat S. Acupuncture in treatment of carpal tunnel syndrome: A randomized controlled trial study. J Res Med Sci 2012; 17 (01) : 1-7
  • 5 Ho CY, Lin HC, Lee YC. et al. Clinical effectiveness of acupuncture for carpal tunnel syndrome. Am J Chin Med 2014; 42 (02) : 303-314