Gesundheitswesen 2021; 83(07): 498-508
DOI: 10.1055/a-1399-9130
Originalarbeit

Vorsorgeuntersuchungen und Routineimpfungen bei Vorschulkindern – Eine Analyse zum wechselseitigen Teilnahmeverhalten unter Einbeziehung der Lebensverhältnisse

Preventive Check-ups and Routine Vaccinations in Pre-school Children – An Analysis of Mutual Participation Behaviour, Taking into Account Living Conditions
Heribert Stich
1   Landratsamt Landshut, Abteilung 7 Gesundheitsamt
2   Medizinische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität, Institut für Medizinische Datenverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), München, Deutschland
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Zusammenfassung

Ziel der Studie U-Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen sind zentrale Vorsorgemaßnahmen des Kindesalters, wobei bisher keine quantitativen Angaben zu deren wechselseitiger Akzeptanz vorlagen. Ziel dieser Studie war die Quantifizierung dieser Verteilungsmuster und Identifikation von Assoziationen zwischen Vorsorgeuntersuchungen und definierten Routineimpfungen bei Einschulungskindern unter Berücksichtigung des sozialen Umfeldes.

Methodik Im Rahmen der Schuleingangsuntersuchungen 2015 wurden unter anderem die dokumentierte U-Vorsorgeuntersuchungen und Routineimpfungen auf Stadtebene erfasst. Begleitend wurde ein freiwillig auszufüllender Proxy-Fragebogen an die Fürsorgeberechtigten der Einschulungskinder ausgegeben, um ergänzend Merkmale der familiären Lebensverhältnisse zu erfassen. Unter Verwendung von SPSS 25.0 wurden die Teilnahmequoten aller U-Vorsorgeuntersuchungen und definierter Routineimpfungen nebst spezifischer Kreuzprävalenzen und Risikoschätzer errechnet.

Ergebnisse Von den 407 Einschulungskindern wurden bei 76,8% der Vorschulkinder beide Präventionsmaßnahmen vollständig durchgeführt, wobei innerhalb der gesamten Studienkohorte von 280 (68,8%) ein Zusatzfragebogen abgegeben wurde. Am häufigsten hatten in Deutschland geborene Kinder zu 70,3% und zu 69,7% mit deutscher Nationalität komplette Vorsorgeuntersuchungen mit zugleich vollständigem Impfstatus. Hinsichtlich des familiären Umfeldes hatten Kinder mit Geschwistern (17,5%), Kinder mit getrenntlebenden Elternteilen (13,3%) und Familien mit bis zu 4 näheren Angehörigen (7,1%) deutlich seltener alle Vorbeugemaßnahmen komplett als andere. Die stärksten Assoziationen in Hinblick auf unvollständige Vorsorgeuntersuchungen waren für ein nichtdeutsches Geburtsland des Kindes (OR=7,95) und für eine nichtdeutsche Nationalität mindestens eines Elternteiles (OR=4,52) vorzufinden.

Schlussfolgerungen Die identifizierten Verteilungsmuster und Assoziationen lieferten neue Erkenntnisse für die Etablierung von risikogruppenspezifischen Maßnahmen zur Steigerung der Akzeptanz sowohl bei U-Vorsorgeuntersuchungen als auch in Hinblick auf definierte Routineimpfungen. Dadurch kann eine bedarfsoptimierte Gesundheitsversorgung bei Kindern im Sinne eines sozialkompensatorischen Ansatzes ermöglicht werden.

Abstract

Aim of the study Preventive screenings and vaccinations are essential health protecting measures in childhood, but no quantitative data on mutual distribution patterns of acceptance are available. The aim of the study was the quantification of distribution patterns and the identification of associations between preventive check-ups and defined routine vaccinations for children starting school, taking into account the social environment.

Methods The 2015 school entrance health checks included documented preventive screenings and routine vaccinations on a city-wide basis. In addition, a voluntary proxy questionnaire was distributed to persons entitled to care for the children starting school in order to record additional characteristics of family living conditions. We used SPSS 25.0 to calculate participation rates for all screenings and defined routine vaccinations as well as specific cross-prevalences and associations.

Results Of the 407 children starting school, both prevention measures were carried out in 76.8%; additional questionnaires were distributed to those in charge of 280 (68.8%) of these children. Full preventive check-ups with complete vaccination status at the same time were observed in 70.3% of children born in Germany and 69.7% of children born in Germany with German nationality. In terms of family environment, children with siblings (17.5%), children with separated parents (13.3%) and families with up to four close relatives (7.1%) were significantly less likely than others to have completed all preventive measures. Incomplete preventive medical examinations were strongly associated with a child not born in Germany (OR=7.95) and with both parents with a non-German Nationality (OR=4.52).

Conclusion The distribution patterns and associations identified provide new insight for the establishment of measures specific to risk groups to increase acceptance of screenings and defined routine vaccinations. This can allow for needs-optimised health care for children based on the principle of social compensation.



Publication History

Article published online:
21 April 2021

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