Allgemeinmedizin up2date 2021; 2(02): 95
DOI: 10.1055/a-1364-7500
Editorial

Universitärer Elfenbeinturm und Hausarztpraxis

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Jean-François Chenot

Ein Universitätsprofessor passt irgendwie nicht so richtig in die Hausarztpraxis.

Hat doch die hausärztliche Tätigkeit so gar nichts mit dem Klischee eines Professors zu tun: etwas abgehoben und zuständig für schwierige sehr spezielle Probleme in einer großen Klinik.

Das entspricht also fast dem Gegenteil des hausärztlichen Auftrags, nämlich: eher patientenzentriert, wo die komplexe Herausforderung nicht die Krankheit ist, sondern der Mensch der sie hat.

Als ich in einer neuen Praxis anfing, brach eine Patientin anlässlich einer Blutdruckkontrolle in Tränen aus, als ich das Zimmer betrat: „So schlimm steht es um mich, dass schon der Professor kommen muss“. Wenn es Patienten gut passt, sagen sie auch gerne mal einem Spezialisten die Meinung, ihr Hausarzt hätte das so gesagt und der sei Professor. Anderseits stürze ich sie in einen Konflikt, wenn ich das Statin des Kardiologen nicht weiterverordnen mag.

Wie ist die Hierarchie zwischen Kardiologen und „Professorhausarzt“?

Es werden auch große Heilserwartungen an mich gerichtet. Ich soll Probleme an denen sich schon etliche Kollegen die Zähne ausgebissen haben richten. Sie werden es ahnen, das kann ich leider meistens nicht. Eine ganz besondere Herausforderung stellen für mich Patienten mit Rückenschmerzen dar. Zum Glück wissen die meisten Patienten nicht, dass ich an der Leitlinie zu diesem Leid beteiligt war. Nach dem ich anfänglich sehr gelitten habe, dass ich oft nicht noch besser helfen konnte, bin ich heute froh, dass ich weiß – es liegt nicht an mir. Die Prognose wird stärker durch den Patienten als durch den Arzt bestimmt. Viele Patienten schätzen meine empathische und realistische Einschätzung.

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Jetzt komme ich aber zum Punkt. Damit wir fort- und weiterbilden können, brauchen wir gesicherte Erkenntnisse, was für Patienten nützlich ist und was wir lieber sein lassen sollten. Diese Erkenntnisse kommen für unsere Patienten am besten direkt aus der Hausarztpraxis. Darum seien Sie tolerant und helfen Sie „Ihren“ Professorinnen und Professoren. Sie kennen Ihren lokalen Lehrstuhl nicht? Dann wird es aber Zeit sich bekannt zu machen und zu überlegen, ob Sie so nicht auch einen Beitrag leisten können, hausärztlich relevantes Wissen zu generieren und zu vermitteln.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie in diesem Heft Bestätigung von Bekannten und neue Erkenntnisse finden, die Ihnen helfen, Ihre Patienten gut zu versorgen.

Ihr
Jean-François Chenot



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Article published online:
14 May 2021

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