Hands on - Manuelle und Physikalische Therapien in der Tiermedizin 2021; 3(01): 55
DOI: 10.1055/a-1254-2730
Die letzte Seite

„Soldaten und Indianer“

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Unser Gehirn sortiert die Welt nur allzu gern in Schubladen. © Dmytro Panchenko/stock.adobe.com

Mein Bruder und ich hatten ein Playmobil-Fort. Wir hatten Soldaten- und Indianer-Spielfiguren. Und wir hatten Diskussionen. Endlose Diskussionen darüber, wer wen spielen durfte.

Es ist schon eine Krux. Viele Bedürfnisse im Leben stehen sich zum Teil diametral gegenüber. Manchmal sogar gleichzeitig. So möchten wir zum Beispiel auf der einen Seite gern „dazugehören“, auf der anderen Seite aber auch jemand „Besonderes“ sein und eine Fähigkeit oder Eigenschaft besitzen, die uns von allen anderen unterscheidet. Wir kleiden uns beispielsweise einerseits nach dem aktuellen Trend in der Mode, sind aber auf der anderen Seite wenig begeistert, wenn wir jemandem begegnen, der den gleichen Pullover trägt. Im Marketing bezeichnet man das als USP – „Unique Selling Point“. Diesen Punkt suchen wir uns bewusst aus bzw. stellen diesen bewusst in den Mittelpunkt.

Bewusst oder unbewusst?

Aber ist das immer so? Suchen wir uns auch in unserer Umwelt bewusst aus, wem wir Sympathie entgegenbringen und wen wir als nicht zugehörig empfinden?

Das Problem: Das Gehirn liebt Schubladen! Es spart auf diese Weise Energie, um sich in der Umwelt zurechtzufinden. Richtig oder falsch, schwarz oder weiß, einheimisch oder ausländisch, Tierarzt oder Paramediziner, Schulmedizin oder Komplementärmedizin.

2018 hat eine Gruppe um den Neurowissenschaftler David Eagleman eine Studie publiziert, in der es um die neuronalen Muster von Empathie in Verbindung mit Gruppenzugehörigkeit ging. 135 Menschen wurden in einem funktionellen MRT (fMRT) untersucht. Sie wurden sozusagen beim Denken beobachtet. Es wurden ihnen Bilder von Menschen gezeigt, die entweder ihrer eigenen Religion (ingroup, z. B. Hindu) oder einer anderen Religion (outgroup, z. B. Muslime) angehörten. In Folge wurde ihnen ein Foto von einer Hand gezeigt, in die eine Nadel gestochen wurde, und es wurden die Reaktionen im Hirn gemessen. Das Ergebnis war eindrucksvoll. Sahen die Probanden das Foto mit der Hand und dem Porträt einer Person ihrer eigenen Religion In Folge, reagierten EmpathieAreale im Gehirn. Sahen Probanden die Hand in Kombination mit dem Foto einer Person einer anderen religiösen Gruppe, sahen die Wissenschaftler – nichts. Und es kommt noch besser: Das gelingt ebenso, wenn die Zuordnung zu einer Gruppe erst kurz vor dem Versuch durchgeführt wurde – zum Beispiel durch den Wurf einer Münze.

Das Gehirn liebt Schubladen.

So schnell landen Dinge also in einer Gehirn-Schublade, ohne dass das Bewusstsein ein Wörtchen mitgeredet hat.

Bedenkt man nun, wie oft Entscheidungen entsprechend den vorhandenen Schubladen gefällt werden, ist es wohl angebracht, sich immer wieder selbst bezüglich der Gründe für Entscheidungen zu hinterfragen. Das gilt sicher auch für die Entscheidung für oder gegen Erkenntnisse von Menschen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen oder therapeutischen Bereichen.

Es wäre sicher eine Bereicherung, wenn „Indianer“ nicht nur mit Pfeil und Bogen schießen und „Soldaten“ auch mal ohne Sattel reiten würden.

Dr. Doris Börner



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Article published online:
26 April 2021

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