PiD - Psychotherapie im Dialog 2021; 22(02): 15-16
DOI: 10.1055/a-1215-1027
Editorial

Editorial

Volker Köllner
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Barbara Stein

Da kommt was auf uns zu …

„Psychokardiologische Inhalte sollten aber auf jeden Fall in den Ausbildungskatalog für Kardiologie aufgenommen werden.“ Diesen Satz sagte vor etwas mehr als 10 Jahren Prof. Dr. med. Michael Böhm, Direktor der Kardiologie am Universitätsklinikum des Saarlandes und zwischenzeitlich auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), in einem PiD-Interview in unserem ersten Psychokardiologie-Themenheft. Diese Forderung ist nun, 10 Jahre später umgesetzt: Alle angehenden Kardiologinnen und Kardiologen sind verpflichtet, einen 24-stündigen Kurs in psychokardiologischer Grundkompetenz zu absolvieren. Zusätzlich laufen seit über 10 Jahren jährlich zwei 80-stündige Kurse in psychokardiologischer Grundversorgung mit zusammen 50 Plätzen. Wie kam diese Entwicklung zustande und was bedeutet sie für uns in der Psychotherapie?

Das Interesse der Kardiologie an der Psychotherapie wächst

Unser Wissen darüber, welchen Einfluss psychosoziale Faktoren auf die Entstehung und den Verlauf von Herzerkrankungen haben, ist stark angewachsen. Dabei sind neben der Depression auch zunehmend die Traumafolgestörungen in den Fokus gerückt. Mit der stressinduzierten Herzschwäche (Tako-Tsubo-Syndrom) wurde ein schwerwiegendes Krankheitsbild beschrieben, bei dem psychosoziale Faktoren die maßgebliche Rolle bei der Entstehung spielen, und beim Vorhofflimmern, der häufigsten Herzrhythmusstörung, wurde die Bedeutung der Psyche für die Lebensqualität im Krankheitsverlauf erkannt. Das DGK-Positionspapier zu psychosozialen Einflussfaktoren in der Kardiologie ist seit unserem letzten Psychokardiologie-Themenheft schon in der zweiten Aktualisierung erschienen [2]. Ein evidenzbasiertes, dynamisches Fach wie die Kardiologie verschließt vor dieser Evidenz nicht die Augen, sondern versucht, sie in die Versorgungspraxis zu integrieren. Das Interesse der Kardiologie an der Psychotherapie wächst auch dadurch, dass sich psychotherapeutische Ansätze oder integrierte Konzepte wie die Collaborative Care [3] als zunehmend effektiv auch in der Reduktion der Mortalität bei Patienten, die sowohl an einer Herzerkrankung als auch einer psychischen Erkrankung leiden, erwiesen hat, während Studien mit Psychopharmaka in diesem Bereich eher zu enttäuschenden Ergebnissen geführt haben.

Herzerkrankungen sind nach wie vor die häufigste Todesursache in Deutschland. Ihre Entstehung und ihr Verlauf lassen sich durch einen fürsoglicheren und achtsameren Umgang mit sich selbst deutlich besser beeinflussen, als dies bei den meisten anderen Krankheitsbildern der Fall ist. Wenn die Kardiologie also den Wert der Psychotherapie für ihre Patienten entdeckt, wird viel Arbeit auf uns zukommen.

Ein Teil dieser Patienten ist natürlich jetzt schon in unseren Kliniken und Praxen. Etwa jeder vierte Patient über 50 hat wahrscheinlich eine arterielle Hypertonie, vielleicht jeder zehnte zumindest eine beginnende koronare Herzkrankheit. Wir behandeln also eigentlich psychokardiologische Patienten, ohne es zu wissen. Ein Ziel dieses Themenheftes ist es, unser Bewusstsein für die spannenden Zusammenhänge zwischen Herz und Seele zu schärfen. Eine Konsequenz davon könnte sein, dass wir stärker darauf achten, bei der Ermutigung zu einem selbstfürsorglichen Umgang den Körper mehr im Blick zu haben: mehr Bewegung, bessere Spannungsregulation und sich nicht durch Nikotin und Fastfood selbst vergiften.


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Ein Medizinstudium ist nicht nötig

Zum Einstieg dieses Heftes haben wir ein kleines Experiment gewagt: Die Essentials informieren ausschließlich über die kardiologischen Grundlagen – und geschrieben hat sie keine Kardiologin, sondern eine Psychologin. Wir möchten damit zeigen, es keines zusätzlichen Medizinstudiums bedarf, um sich das für die Psychokardiologie erforderliche medizinische Grundwissen anzueignen. Wichtig sind aber Neugier und die Bereitschaft zur Kooperation mit einem bisher vielleicht unbekannten Fachgebiet und neuen Berufsgruppen, wozu nicht nur die Kardiologie, sondern z. B. auch die Bewegungstherapie gehört. Psychokardiologie ist also praktisch umgesetzte Psychotherapie im Dialog!

Ein wenig Mut gehört natürlich auch dazu, sich auf dieses Gebiet vorzuwagen. Natürlich macht es auch uns Therapeutinnen und Therapeuten Angst, wenn wir wissen, dass der nächste Patient einen implantierten Defibrillator trägt. Was ist, wenn ich den Patienten zu sehr aufrege und das Ding in der Stunde losgeht?? Solche Ängste sind verständlich. Aber sind sie ein Grund, diesen Menschen psychotherapeutische Unterstützung vorzuenthalten?

Wir haben unsere Autorinnen und Autoren gebeten, an möglichst vielen Fallbeispielen darzustellen, wie Psychokardiologie konkret umgesetzt werden und wie sie helfen kann. Dabei wird deutlich, dass der Nutzen das Risiko bei Weitem übersteigt. Und deutlich wird beim Lesen der Beiträge auch: Psychokardiologie macht Spaß!

Wir hoffen, dass diese Funke beim Lesen auf Sie überspringt und Sie manche Ihrer Patienten nach der Lektüre aus einem neuen Blickwinkel sehen können.

Volker Köllner

Barbara Stein


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Publication History

Article published online:
26 May 2021

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Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

 
  • Literatur

  • 1 Böhm M, Köllner V. Psychokardiologie: ein sich stark entwickelndes Feld, von dem viele spannende Ergebnisse zu erwarten sind (Interview). PiD – Psychotherapie im Dialog 2011; 12 (01) 80-81
  • 2 Albus C, Waller C, Fritzsche K. et al. Bedeutung von psychosozialen Faktoren in der Kardiologie – Update 2018. Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. Kardiologe 2018; 12: 312-331 DOI: 10.1007/s12181–018–0271–4.
  • 3 Katon WJ, Lin EH, Von Korff M. et al. Collaborative care for patients with depression and chronic illnesses. N Engl J Med. 2010; 363: 2611-2620