Gesundheitswesen 2020; 82(12): 955-960
DOI: 10.1055/a-1205-1069
Originalarbeit

Menschen ohne Krankenversicherung – Prävalenz und Rückführung in die sozialen Sicherungssysteme durch den Sozialdienst am Beispiel des Universitätsklinikums Essen

Prevalence of People without Health Insurance and Interventions of Hospital Social Work at the University Hospital of Essen
Ingo Neupert
1   Sozialdienst, Universitätsklinikum Essen, Essen
,
Claudia Pieper
2   Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen
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Zusammenfassung

Ziel der Studie Trotz der seit 2007 grundsätzlich geltenden Versicherungspflicht leben in Deutschland Menschen ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz. Daten zur Prävalenz oder zur Beschreibung dieser Bevölkerungsgruppe gibt es kaum, vor allem für den stationären Sektor. Die vorliegende Studie beschreibt deren Prävalenz und soziodemographische Verteilung am Beispiel des Universitätsklinikums Essen über einen Zeitraum von fünf Jahren. Darüber hinaus berichten wir Ergebnisse der Kostenträgerermittlung und deren monetäre Auswirkungen für den Leistungserbringer.

Methodik Eingeschlossen wurden Patienten mit fehlendem oder unklarem Versicherungsstatus der Jahre 2014–2018. Für eine differenzierte Auswertung wurden vier Statusgruppen gebildet Patienten mit Leistungsanspruch in Deutschland, EU-Bürger, Patienten aus Drittstaaten und Patienten ohne Aufenthaltsstatus.

Ergebnisse Die Stichprobe umfasst 918 Patienten ohne Krankenversicherungsschutz (mittleres Alter 31,3±20,6 Jahre, 52,1% Männer). Für den Fünfjahreszeitraum wurde in 74% der Fälle ein Kostenträger ermittelt und dadurch eine Kostenerstattung in Höhe von insgesamt 7,5 Million Euro erreicht. Die größte Inanspruchnahme zeigt sich in den Fachabteilungen Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit 20%, der Kinderheilkunde mit 17%, der Orthopädie und Unfallchirurgie mit 14% und der Innere Medizin mit 13%.

Schlussfolgerung Die Studie belegt, dass Menschen ohne Krankenversicherungsschutz im medizinischen Versorgungssystem nach wie vor existieren. Für den stationären Sektor zeigen die Ergebnisse, dass eine Kostenträgerermittlung und Kostenerstattung möglich sind und sich die Kosten beziffern lassen. Um insgesamt zielgruppenspezifischere Maßnahmen für die Praxis entwickeln zu können, bedarf es intensivere Forschungsansätze zu den Ursachen und Einflussfaktoren. Die Verfügbarkeit flächendeckender Informationen würde die Thematik der fehlenden Vergütung für diese Patientengruppe politisch diskutierbar machen.

Abstract

Objective In Germany, a number of people remain without health insurance, thus unable to access the formal health care sector. Reliable statistics covering the prevalence and description of uninsured patients, especially in the inpatient health care sector, are still lacking. Our study therefore aimed to assess the prevalence of uninsured patients at University Hospital of Essen over a period of five years. Furthermore, we report rates of identification of cost providers and refunded disbursement.

Methods Uninsured patients from 2014–2018 were included. We defined the following subgroups for stratification according to the right of access to health insurance: patients with right of access to health insurance in Germany, EU citizens, patients from third countries, patients without residence permit status.

Results Data of 918 uninsured patients (mean age 31.3±20.6 years, 52,1% men) from 2014 to 2018 were evaluated. Over five years, identification of cost provider was successful in 74% and yielded in a total refund of 7.5 million Euros. In most instances, patients were treated in the gynaecological and maternity clinic (20%), paediatric clinic (17%), orthopaedic clinic and trauma surgery (14%) and the clinic for internal medicine (13%).

Conclusion Our study shows that there are still people in Germany who do not have health insurance. Referring to the inpatient health care sector, results show that it is possible to calculate treatment costs, to identify cost providers and to refund medical costs. To apply target group-specific approaches in practice, more research is needed addressing both causes and risk factors. The availability of comprehensive data could improve discussions at a political level on medical compensation not available to patients.



Publication History

Article published online:
31 August 2020

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