Der Klinikarzt 2020; 49(05): 190-191
DOI: 10.1055/a-1148-1418
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Warum die intensivmedizinische Versorgung in Gefahr ist

Sascha David
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Publication Date:
12 May 2020 (online)

Der Fachkräftemangel spitzt sich in nahezu allen Bereichen der Medizin dramatisch zu. Was zunächst ein Problem regelversorgender Kliniken in ländlichen Gebieten war, ist mittlerweile auch in unseren Universitätskliniken angekommen. Die stetige Mehrarbeit zur Kompensation des fehlenden Personals zusammen mit dem steigenden ökonomischen Druck führt im Sinne eines Circulus vitiosus zu einer kontinuierlichen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen.

Der Mangel ist besonders in hochspezialisierten Pflegebereichen wie der Intensivmedizin zu einem existenziellen Problem geworden. In Deutschland kommt es in den letzten Jahren regelmäßig zu Bettensperrungen, da kein komplettes Behandlungsteam zur Verfügung steht. Der limitierende Faktor ist in aller Regel die fehlende Pflegefachkraft.

Eine Umfrage aus dem letzten Jahr unter Leitung von Christian Karagiannidis, Geschäftsführender Oberarzt an der Lungenklinik Köln-Merheim zeigte, dass 78 % aller Intensivstationen regelmäßig Betten sperren. 22 % gaben sogar an, täglich Betten sperren zu müssen [1]. Die Gründe für diese Situation sind mannigfaltig; monetäre Aspekte scheinen aber nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Der Mangel an Pflegekräften wird dagegen von etwa 44 % der Befragten genannt, und noch einmal 19 % führen die Bettensperrungen auf eine Kombination von Ärzte- und Pflegekräftemangel zurück.

Die politische Reaktion von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn – angeschoben durch den DKV-Spitzenverband und die DKG – ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Einführung von Personaluntergrenzen in pflegeintensiven Bereichen kann die negativen Folgen der Arbeitsverdichtung global gesehen allerdings nicht lösen, denn das Gesetz allein kann den Mangel auf dem Fachkräftemarkt nicht beheben.

Die Zukunft sieht düster aus. Eine Umfrage aus dem Deutschen Ärzteblatt unter Pflegefachkräften ergab, dass erschreckende 37 % ihren Beruf in den kommenden 5 Jahren verlassen und 34 % die Arbeitszeit reduzieren wollen [2]. Das liegt, glaubt man den Daten aus der Umfrage, vor allem an der fehlenden Wertschätzung – interessanterweise nicht so sehr durch die Gesellschaft als Ganzes, sondern in erster Linie durch die Krankenhausträger.

Wie können wir die dramatische Versorgungslücke auf deutschen Intensivstationen schließen und damit die Handlungsfähigkeit der Kliniken erhalten? Jenseits der bisher beschlossenen politischen Reformen müssen wir uns mittelfristig wahrscheinlich komplett vom DRG-System in der derzeitigen Form trennen und ein innovatives Vergütungssystem etablieren, das keine Fehlanreize setzt und bestimmte Interventionen unangemessen begünstigt. Es sollten künftig nicht allein quantitative Wettkämpfe entfacht, sondern auch qualitative Versorgungskriterien berücksichtigt werden. Einen entsprechenden Vorschlag haben deutsche Intensivmediziner bereits erarbeitet [3].

Bei allen kritischen Worten zur Versorgungsrealität ist die Intensivmedizin ein wunderbares Fach, das sich auch in Deutschland endlich emanzipiert. Für mich ist besonders die inter- und intraprofessionelle Interdisziplinarität bemerkenswert. Ich freue mich sehr, 5 ausgewiesene Expertinnen und Experten gewonnen zu haben, die Ihnen aus unterschiedlichen Kerngebieten berichten werden. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre und bin überzeugt, dass Sie aus allen Beiträgen etwas Wichtiges mitnehmen werden.

Ihr Sascha David

 
  • Literatur

  • 1 Karagiannidis C, Kluge S, Riessen R. et al Auswirkungen des Pflegepersonalmangels auf die intensivmedizinische Versorgungskapazität in Deutschland. Med Klin Intensivmed Notfmed 2019; 114: 327333 https://doi.org/10.1007/s00063-018-0457-3
  • 2 Karagiannidis C, Hermes C, Krakau M. et al Intensivmedizin: Versorgung der Bevölkerung in Gefahr. Dtsch Arztebl 2019; 116 (10) A-462/B-378/C-374
  • 3 Riessen R, Markewitz A, Grigoleit M. [Discussion paper for a hospital financing reform in Germany from the perspective of intensive care medicine]. Med Klin Intensivmed Notfmed 2019; 2020 115 5966