Sprache · Stimme · Gehör 2020; 44(04): 172-174
DOI: 10.1055/a-1135-0261
Der kleine Repetitor

Placebo- und Noceboeffekt

In nicht unerheblichem Ausmaß bestimmen Placeboeffekte den Therapieerfolg medizinischer Interventionen in allen Fachgebieten, und Noceboeffekte zeichnen für einen signifikanten Anteil von unerwünschten Wirkungen verantwortlich. Doch der Blick auf Placeboeffekte hat sich inzwischen grundlegend gewandelt: von einem Fehler, den man in der medizinischen und pharmakologischen Wirksamkeitsforschung peinlich genau kontrollieren bzw. ausschalten wollte, hin zu einem kontextuellen therapeutischen Effekt und bis hin zu einem therapeutischen (Ko-)Konzept. Als kontextueller therapeutischer Effekt tritt der Placeboeffekt z. B. bei einer Verum-Therapie auf, also einer Therapie mit einem echten Medikament. Als therapeutisches (Ko-)Konzept wird er bewusst eingesetzt und systematisch untersucht, etwa um Kosten im Gesundheitssystem zu sparen (Stichwort: randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie).

Fazit

Eine positive Erwartung an eine Therapie, positive Krankheitserfahrungen, Qualitäten des Therapeuten und/oder eine tragfähige, vertrauensvolle Arzt- bzw. Therapeut-Patient-Beziehung können nach Gabe eines Medikaments ohne medizinische Wirkung bzw. nach einer Scheintherapie Krankheitssymptome lindern oder gar verschwinden lassen (Placeboeffekt).

Eine negative Erwartung oder negative Erfahrungen wie auch Angst können nach Gabe eines Medikaments ohne medizinische Wirkung bzw. nach einer Scheintherapie zu einer Verschlechterung von Krankheitssymptomen führen oder solche erst auslösen (Noceboeffekt).

Die klinische Aufgabe für Behandelnde besteht in der Optimierung von Patientenerwartungen sowie in der Veränderung dysfunktionaler Erwartungen.

Eine Herausforderung für die klinische Praxis ist es, Placebo- bzw. Nocebo-Responder zu identifizieren. Das würde erlauben, Therapieeffekte richtig einordnen zu können, weil Placebo-Responder zur Wirkunterschätzung einer Therapiemaßnahme führen und Nocebo-Responder zu einer Wirküberschätzung.

Schwierig bleibt allerdings die Beantwortung der Frage, ob die immens angewachsene Placebo-Forschung sich nicht selbst zu überholen droht, indem ein Phänomen als Placeboeffekt interpretiert wird, für das es andere plausible kausative Erklärungskonzepte gibt.



Publication History

Article published online:
30 November 2020

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