Ernährung & Medizin 2020; 35(04): 141
DOI: 10.1055/a-1115-9644
Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser, …

Karlheinz Schmidt

wir haben in diesem Heft unserer „Ernährung & Medizin“ einen Schwerpunkt auf die Regulationen homöostatischer Prozesse gelegt, die das Ziel haben, aufbauende (anabole) und abbauende (katabole) Zellfunktionen miteinander zu verknüpfen und so wechselseitige Steuerungen und Anpassungen zu ermöglichen.

Wachstum und Entwicklung sind die Lebensphasen, in denen physiologischerweise die anabolen Funktionen dominieren, während gegen Ende der Lebensspanne die katabolen Prozesse die Oberhand gewinnen und letztlich zum Organversagen führen. In der Lebensphase dazwischen besteht die regulatorische Aufgabe darin, das homöostatische Gleichgewicht von Aufbau und Abbau an die gestellten Leistungsanforderungen anzupassen.

Da in einem lebenden Organismus ständig Zellen, Organellen, Proteine und viele andere Strukturen neu gebildet werden, kommt dem darauf abgestimmten Abbau dieser Strukturen bei der Regulation der Homöostase große Bedeutung zu. Um nicht im „Müll“ zu ersticken, kann der Organismus verschiedenste Stoffwechselprogramme aktivieren, die zu einem verstärkten intrazellulären Abbau und anschließenden Recycling körpereigener Strukturen führen. Man hat eines dieser Stoffwechselprogramme in Analogie zur Ernährung als Autophagie (Selbstverzehr) bezeichnet.

Eine andere, nur eingeschränkt homöostatische Strategie besteht darin, funktionslose, überflüssige, nicht abbaubare Stoffwechselprodukte im Körper intra- oder extrazellulär zu deponieren, was jedoch zu vielfältigen Speichererkrankungen führen kann.

Ein wichtiger Bereich homöostatischer Regulationen sind auch Stoffwechselprogramme, die im Gefolge besonderer Leistungsanforderungen (Stress) aktiviert werden können, um das metabolische Gleichgewicht wiederherzustellen. So wird beispielsweise als Reaktion auf die unter metabolischem Stress vermehrt gebildeten fehlgefalteten Proteine die Proteinbiosynthese zurückgefahren und es werden vermehrt Chaperone gebildet, die eine korrekte Proteinfaltung unterstützen.

In dieses auf homöostatischen Regulationen beruhende integrierte Stresskonzept gehört auch das metabolische Programm der Entzündung als Reaktion auf virale oder bakterielle Infektionen, das letztlich den Stress überwinden und in das homöostatische Gleichgewicht zurückführen soll.

In extremen Stresssituationen können die homöostatischen Regulationen überfordert sein und Stoffwechselprogramme aktiviert werden, die zum Zelluntergang führen können (Nekrose, Apoptose).

Angesichts der Komplexität der homöostatischen Regulationen konnte erst die erfolgreiche Entwicklung der kombinierten Analytik von Transkriptom, Proteom und Metabolom quantitative Einblicke in diese Zusammenhänge ermöglichen. Das komplementärmedizinische „Metabolic Profiling“ erlaubt heute eine personalisierte, individuelle Diagnostik auf der Basis von „Multiomics“ und eröffnet zukünftig möglicherweise auch innovative Therapieansätze zur Stabilisierung der Homöostase.

Ihr
Karlheinz Schmidt



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Article published online:
04 December 2020

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