JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2020; 09(02): 50-51
DOI: 10.1055/a-1101-6729
Kolumne
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Alle Jahre wieder

Heidi Günther
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Publication Date:
07 April 2020 (online)

„Auch das kürzeste Wort bleibt am Ende nur Geschwätz, wenn es nicht auf irgendwelchem Wege zu Taten führt.“

Arthur Schnitzler (1862–1931), österreichischer Arzt, Erzähler und Dramatiker

Wie in jedem Jahr um diese Zeit schreibe ich über das frisch gekürte Wort, Unwort und den Satz des vergangenen Jahres. Also, wenn ich schreibe, sind sie frisch gekürt; wenn Sie es lesen, altbacken und wahrscheinlich längst vergessen. Das ist auch in Ordnung. Dennoch warte ich, weil ich viel Spaß an der Sprache habe, jedes Jahr darauf, was wohl die Jury entschieden hat. Das ist fast wie beim Bambi oder Oscar …: „Die Jury“, in diesem Fall die Gesellschaft für deutsche Sprache, „sagt: …“ Und wie in fast jedem Jahr bin ich ein bisschen enttäuscht.

Das Wort des Jahres für 2019 ist: „Respektrente“. Der Bundesarbeitsminister hat es erfunden, und die Jury empfand diese Wortschöpfung als eine Neubildung eines „Hochwertwortes“. Ich würde in dieser Begrifflichkeit die erste Silbe gern durch „Hohn“ ersetzen. Minister Heil will mit der Einführung einer Grundrente nach 35 Erwerbsjahren erreichen, dass diese nicht mehr unterhalb des Existenzminimums entlangschrammt. Wahrscheinlich dann ganz knapp darüber. Das Ganze natürlich voller Respekt für alle und jeden – und am meisten wahrscheinlich für sich selbst, ob seiner Kreativität.

Da kann ich jetzt aber mal ein Geheimnis verraten: Wenn ich nach 47 Berufsjahren in Rente gehen werde, werde ich viel zu tun haben. Zunächst werde ich aus meiner Wohnung ausziehen müssen. Diese kann ich dann nicht einmal mehr ansatzweise noch bezahlen. Also ab in die Peripherie, aufs Land, in eine Alters-WG oder … ich weiß auch nicht wohin. Dann werde ich umgehend auf Jobsuche gehen, um meine Rente aufzupeppen. Was das dann sein wird, kann ich mir heute noch nicht vorstellen. Ganz bestimmt nicht auf einer Station. Denn irgendwann muss es auch mal gut sein. Ich muss noch einmal erwähnen: das Ganze nach dann 47 Jahren Vollberufstätigkeit ohne Pausen durch Elternzeit (die gab es damals noch nicht) oder um mich selbst zu finden oder wegen plötzlichen Reichtums. Und ja, falls sich jemand fragt, ich habe privat vorgesorgt. Aber meine finanziellen Möglichkeiten waren in all den Jahren auch dabei leicht begrenzt.

Wäre also „Respektrente“ das Unwort des Jahres geworden, wäre ich mit dieser Wahl sehr einverstanden gewesen. So ist es „Klimahysterie“ geworden. Ich war auch hier enttäuscht. Ohne damit die unsäglichen Probleme, die durch den Klimawandel entstehen werden oder schon entstanden sind, zu verharmlosen oder gar das unbedingte und wichtige Engagement all der Menschen weltweit zu schmälern. Ich bin voll für Klimaschutz, Nachhaltigkeit und alles, was dazugehört, und verfolge alles, was rund um den nötigen Klimaschutz passiert, mit großem Interesse. „Klimahysterie“ – ein Begriff der wieder einmal einer Äußerung aus dem rechten Parteienspektrum unseres Landes entspringt. Ja, was will man da auch erwarten und könnte ganze Reden von AfD-Politikern zu „Unreden“ des Jahres wählen. Wahrscheinlich freuen sich die entsprechenden Herrschaften auch noch über die ihnen zuteil gewordene Aufmerksamkeit.

Ich will aber nicht nur kritisieren. Habe ich doch meine eigenen „Unworte“ des Jahres. Zunächst glaubte ich, es wird „Transportschein“ werden. Nach meinen Erfahrungen nehmen die von den Patienten gewünschten und von den Krankenkassen offensichtlich finanzierten Heimtransporte nach stationären Aufenthalten exorbitant zu. Und ich meine nicht die alte Dame oder den alten Herrn, die nach einer Endoprothesenimplantation oder einer Vorfußamputation im Krankentransport zur Reha oder nach Hause transportiert werden müssen und sollen. Ich meine junge Leute nach elektiven Eingriffen, die während ihres stationären Aufenthalts kaum im Zimmer, sondern mehr in der Cafeteria oder am Raucherplatz anzutreffen sind. Die, wenn es dann an die Entlassung geht, keine Familie oder Freunde haben, die sie abholen könnten, und auch kein Geld für ein Taxi nach Hause. Ich hatte Zeiten, da dachte ich, wenn ich noch einmal das Wort „Transportschein“ höre, flippe ich aus. Abgesehen davon kommen die Krankentransportunternehmen hier in München oft an ihre Grenzen.

Aber zum Jahresende hin habe ich einen neuen Favoriten gefunden. „Lieferengpassmitteilung“! Seit Monaten bekomme ich auf meinen Stationsaccount regelmäßig (im Dezember 2019 allein sieben) Benachrichtigungen über aktuelle Lieferengpässe von Arzneimitteln. Da stehen dann nicht etwa zwei, drei exotische Medikamente drauf. Es sind lange Listen mit üblichen, täglich angeordneten Medikamenten. Unglaublich. Ich komme ja aus der ehemaligen DDR, und da hätten mich Lieferengpässe jetzt nicht so geschockt. Aber in der Bundesrepublik in 2019/20? In den Nachrichten war zu hören, dass es mittlerweile etwa 300 wichtige Arzneimittel betrifft. Und warum? Weil viele Arzneimittelproduktionen aus Kostengründen ins Ausland verlagert werden. Zum Beispiel wird Piperacillin/Tazobactam weltweit nur noch in zwei chinesischen Werken hergestellt werden. Übrigens ein Antibiotikum, dass auf unserer Station gewissermaßen ständig im Einsatz ist. Ibuprofen wurde knapp, weil ein Werk in Texas ausgefallen war.

Jetzt fordert unter anderem die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml, dass wieder vermehrt Arzneimittelproduktion in Deutschland stattfinden soll. Damit würden dann zwar die Preise steigen, aber billig würde eben nicht immer ausreichen. Wer hätte das gedacht?

Ich werde jedenfalls in diesem Jahr persönliche „Unworte“ sammeln und vielleicht bei der Gesellschaft für deutsche Sprache einreichen. Übrigens und nur der Vollständigkeit halber wurde auf die Wahl des Jugendwortes und des Satzes des vergangenen Jahres verzichtet. Die Auswahl wird wohl nicht so „swag“ (Jugendwort 2011) gewesen sein!

In diesem Sinne

Ihre

Heidi Günther

hguenther@schoen-kliniken.de