Fortschr Neurol Psychiatr 2020; 88(03): 150-151
DOI: 10.1055/a-1101-1196
Editorial

Die Vielfalt der Neurologie und Psychiatrie

The diversity of neurology and psychiatry

Liebe Leserinnen und Leser der Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie. Es ist mir eine Freude, das vorliegende Heft einleiten zu dürfen. Wir haben ein buntes Potpourri neurologischer und psychiatrischer Themen zu einer spannenden Ausgabe zusammengestellt.

In der CME-Arbeit von Ferbert und Roth werden die hereditären Polyneuropathien behandelt. Wir alle wissen, dass Polyneuropathien zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen gehören und sehr häufig für uns die Ätiologie im Verborgenen bleibt. Bei Patienten mit der Charcot-Marie-Tooth Erkrankung ist dies anders, weil die Familienanamnese in die richtige Richtung lenken sollte. Hereditäre Polyneuropathien sind meist isolierte Erkrankungen und werden heutzutage nach den Erstautoren aus dem Jahr 1886, Charcot-Marie-Tooth Erkrankung, genannt. In dem vorliegenden Artikel wird in hervorragender Weise auf die einzelnen Krankheitsbilder eingegangen und was mich besonders beeindruckt hat, in sehr gutem Bildmaterial u. a. die typischen morphologischen Veränderungen (Hohlfüße) von solchen Patienten demonstriert. Wie nicht anders zu erwarten, haben die beiden Autoren auch die notwendigen neurophysiologischen Untersuchungen inkl. Ultraschall-Untersuchungen sehr gut gewertet und dargestellt und letztendes auch die molekulargenetischen Untersuchungen in ihren Übersichtsartikel mit aufgenommen. In den Kernaussagen finden sich außerordentlich hilfreiche und gut memorable Aussagen, wie man z. B. zwischen CMT 1 und CMT 2 allein durch die Testung der Nervenleitgeschwindigkeit des N. medianus unterscheiden kann.

Erfreulich ist, dass wir in diesem Heft auch ein neuropädriatrisches Thema, nämlich die zerebralen Sinus- und Venenthrombosen mit benignem Verlauf von Alsajet anhand eines Fallberichtes dargestellt bekommen. Neben der überzeugenden klinischen Deskription des Behandlungsfalles sind auch ausgezeichnete neuroradiologische Bilder Teil der Arbeit, welche die wesentlichen Auffälligkeiten dieses Kindes mit einem im Sinus confluens liegenden ausgedehnten Thrombus darstellen.

Gahr und Kollegen besprechen ein aus meiner Sicht im deutschen Sprachraum bisher noch nicht diskutiertes Phänomen, nämlich unterschiedliche Angaben über wirkstoffgleiche Handelspräparate in den Fachinformationen der produzierenden Pharmaunternehmen. Die Autoren haben insgesamt 941 Fachinformationen zu 116 Wirkstoffen untersucht und dabei interessante Abweichungen bezüglich der Schilderung der Nebenwirkungen feststellen müssen. Es handelte sich dabei um (neuro-psychopharmakologische) Wirkstoffe, bei denen die Autoren zeigen konnten, dass bei mehr als der Hälfte der Wirkstoffe in den unterschiedlichen Fachinformationen eine unterschiedliche Anzahl an Nebenwirkungen aufgeführt wurden. Hinter dieser Arbeit steckt ein enormes Arbeitspensum und eine hohe Akribie und Akkuratesse bezüglich der Evaluation. Spannend ist für uns praktizierende neuropsychiatrisch tätige Ärzte, dass wir ja häufig nicht wissen, welches Handelspräparat vom Apotheker an unsere Patienten abgegeben wird. Wir könnten somit bezüglich der ärztlichen Aufklärungspflicht bei unterschiedlich genannten Nebenwirkungen in Probleme geraten, deren Relevanz wir derzeit noch nicht bewerten können und die sicherlich einer juristischen Bewertung im Sinne einer Promotions- oder Habilitationsschrift zugeführt werden könnte.

Inge Missmahl beschreibt die psychosoziale Versorgung in Afghanistan, ein Land, das uns insbesondere durch die multiplen Kriegshandlungen leider in den letzten Jahren immer vertrauter geworden ist. Die Autorin schildert eindrucksvoll zwei Beispiele von Kindern, die im afghanischen System erhebliche Probleme aufgrund dessen hierarchischen Struktur erfahren haben. Die Autorin beschreibt, wie man als deutscher Psychiater oder Neurologe mit Mitgliedern eines uns fremden Kulturkreises umgehen sollte und das notwendige Verständnis für die Situation dieser Patienten entwickeln kann. Sie beschreibt, dass allein in Kabul pro Woche 400 – 500 Jugendliche, Frauen und Männer im Zentrum psychosoziale Unterstützung in Einzelgesprächen und Gruppen erhalten und für ihre weitere berufliche und private Laufbahn Hilfe finden. Diese Arbeit ist somit exemplarisch für viele andere Länder weltweit, die in ähnlich hierarchischen Strukturen leben und deren Angehörige ab und an Patienten auch in Deutschland werden können.

Waldmann und Kollegen beschreiben dann wieder ein sehr häufiges Phänomen, nämlich Störungen der olfaktorischen Wahrnehmung bei psychiatrischen und neurodegenerativen Erkrankungen. Sie beschreiben bei Erkrankungen wie Major Depression, Schizophrenie, Alzheimerdemenz und Parkinson die Veränderung der olfaktorischen Wahrnehmung und mögliche Ansätze zur Diagnostik und Therapie dieser Geruchsstörungen. Besonders interessant ist, dass sie einen eigenen Geruchsdiskriminationstest, nämlich den Düsseldorf Odour Diskrimination Test (DODT) entwickelt haben, der Duftreize aus Molekülmischungen statt aus monomolekularen Substanzen enthält. Die Autoren gehen davon aus, dass bei ihnen nicht die Ansprechbarkeit einzelner Geruchsrezeptoren wichtig ist, sondern sie einen Test entwickelt haben, der die allgemeine Geruchsleistung erfasst. Sie empfehlen das Prinzip, bei Geruchstests eher Geruchsmischungen als Einzelsubstanzen einzusetzen, z. B. mit Hilfe des DODT künftig zu verwenden.

Zusammenfassend liegt hier ein Heft vor, was einen bunten Reigen an spannenden neuropsychiatrischen Themen spannt und dessen Studium sicherlich Ihnen allen Freude bereiten wird.

Prof. Dr. H. Reichmann, Dresden



Publication History

Article published online:
31 March 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York