Der Klinikarzt 2019; 48(11): 454-455
DOI: 10.1055/a-1020-1071
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Rationale Antibiotikatherapie – Ist weniger mehr?

Mathias W. Pletz
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Publication Date:
22 November 2019 (online)

Die Auswahl einer adäquaten kalkulierten Antibiotikatherapie wird im Zeitalter der globalen Ausbreitung multiresistenter Erreger zu einer schwierigen Herausforderung.

Bis vor ca. 10 Jahren wurde im Sinne von „hit hard and early“ (oder „frapper fort et frapper vite“, um beim Originalzitat von Paul Ehrlich zu bleiben) [1] vor allem die Notwendigkeit einer frühzeitigen und möglichst breiten Antibiotikatherapie betont, da verschiedene Studien zeigten, dass eine verzögerte adäquate Initialtherapie die Letalität bei schweren (!) Infektionen erhöhen kann [2]. Dies reflektierten auch die damaligen Leitlinien. Beispielsweise forderte die American Thoracic Society in der Leitlinie zur Nosokomialen Pneumonie von 2005 jeden Patienten mit einer im Pflegeheim erworbenen Pneumonie eine Dreifach-Therapie bestehend aus 2 Antibiotika mit Pseudomonas-Wirksamkeit und einem MRSA-wirksamen Antibiotikum [3]. Spätere Studien zeigten jedoch, dass 1) MRSA und Pseudomonas aeruginosa bei Pflegeheimpatienten nicht häufiger auftreten als bei anderen Patienten [4] und 2) diese auf maximale Sicherheit bedachte Dreifach-Therapie die Sterblichkeit erhöhte – insbesondere wenn sie nicht indiziert war, also keine multiresistenten Erreger nachgewiesen wurden [5].

Seit der letzten Dekade werden zunehmend Studien publiziert, die belegen, dass eine zu breite und zu lange Antibiotikatherapie mit einer erhöhten Letalität einhergehen bzw. dass eine verkürzte und/oder deeskalierte Therapie das Überleben verbessern kann [6], [7]. Andere Studien adressieren die Toxizität und das Interaktionspotenzial von Antibiotika, insbesondere der Fluorochinolone. Sogar die früher als sehr sicher wahrgenommenen Makrolide wurden nun mit kardiovaskulärer Letalität assoziiert. Des Weiteren wird zunehmend die Bedeutung des Mikrobioms für die sogenannte Kolonisationsresistenz erkannt, die eine Besiedelung mit multiresistenten Erregern verhindert.

Das Mikrobiom kann durch eine Antibiotikatherapie nachhaltig gestört werden. Insbesondere die (Zer-)Störung des intestinalen Mikrobioms kann über eine Beeinträchtigung der Darm-Immun-Achse die Infektanfälligkeit generell erhöhen. Darüber hinaus können Resistenzgene, die durch Antibiotika in Kommensalen selektioniert wurden, durch horizontalen Gentransfer auf Pathogene übertragen werden.

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Die „dunkle Seite“ der Antibiotikatherapie.

In allen modernen Leitlinien zu Infektionen spielen daher „Antibiotic Stewardship“-Empfehlungen eine zunehmende Rolle [8]. Es gilt „So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich.“ – ein Paradigma, das im Alltag nicht immer leicht umzusetzen ist.

Insofern soll das vorliegende Heft, das generelle und fokusspezifische Empfehlungen der rationalen kalkulierten Antibiotikatherapie beinhaltet, eine praktische Hilfe sein. Neben Pneumonie, intraabodminellen Infektionen und Harnwegsinfektionen haben wir auch einen Beitrag zu Staphylococcus aureus-Bakteriämie aufgenommen. Diese häufige Blutstrominfektion kann ambulant oder nosokomial erworben werden. Sie ist mit einer ausgesprochen hohen Letalität von 20–30 % behaftet, die durch ein optimales Management – z. B. im Rahmen eines Antibiotic Stewardship Programmes halbiert werden kann [9], [10].

Es freut mich insbesondere, dass es gelungen ist, namhafte Autoren zu gewinnen, die an entsprechenden Leitlinien federführend mitgearbeitet haben und bei denen ich mich an dieser Stelle nochmals herzlich bedanken möchte.

Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wünsche ich im Namen aller Autoren eine erkenntnisreiche Lektüre.

Ihr

Mathias Pletz

 
  • Literatur

  • 1 Ehrlich P. Address in Pathology, ON CHEMIOTHERAPY: Delivered before the Seventeenth International Congress of Medicine. Br Med J 1913; 2: 353-359
  • 2 Ferrer R, Martin-Loeches I, Phillips G. et al Empiric antibiotic treatment reduces mortality in severe sepsis and septic shock from the first hour: results from a guideline-based performance improvement program. Crit Care Med 2014; 42: 1749-1755
  • 3 American Thoracic Society Infectious Diseases Society of America. Guidelines for the management of adults with hospital-acquired, ventilator-associated, and healthcare-associated pneumonia. Am J Respir Crit Care Med 2005; 171: 388-416
  • 4 Ewig S, Kolditz M, Pletz MW, Chalmers J. Healthcare-associated pneumonia: is there any reason to continue to utilize this label in 2019?. Clin Microbiol Infect 2019; 25: 1173-1179
  • 5 Kett DH, Cano E, Quartin AA. et al Improving Medicine through Pathway Assessment of Critical Therapy of Hospital-Acquired Pneumonia (IMPACT-HAP) Investigators. Implementation of guidelines for management of possible multidrug-resistant pneumonia in intensive care: an observational, multicentre cohort study. Lancet Infect Dis 2011; 11: 181-189
  • 6 Schuts EC, Hulscher MEJL, Mouton JW. et al Current evidence on hospital antimicrobial stewardship objectives: a systematic review and meta-analysis. Lancet Infect Dis 2016; 16: 847-856
  • 7 de Jong E, van Oers JA, Beishuizen A. et al Efficacy and safety of procalcitonin guidance in reducing the duration of antibiotic treatment in critically ill patients: a randomised, controlled, open-label trial. Lancet Infect Dis 2016; 16: 819-827
  • 8 Rhodes A, Evans LE, Alhazzani W. et al Surviving sepsis campaign: international guidelines for management of sepsis and septic shock: 2016. Crit Care Med 2017; 45: 486-552
  • 9 Kimmig A, Weis S, Hagel S, Forstner C, Kesselmeier M, Pletz MW. [Infectious Disease Consultations in Patients with Staphylococcus Aureus Bacteraemia – a Retrospective Observational Study at Jena University Hospital]. Dtsch Med Wochenschr 2018; 143: e179-e187
  • 10 Vogel M, Schmitz RPH, Hagel S, Pletz MW. et al Infectious disease consultation for Staphylococcus aureus bacteremia – A systematic review and meta-analysis. J Infect 2016; 72: 19-28