JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2019; 08(06): 226-227
DOI: 10.1055/a-1019-6279
Kolumne

44 Jahre …

Heidi Günther
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(Quelle: Paavo Blåfield/Thieme Gruppe)

„Der Mensch soll keineswegs mehr scheinen, als er ist, aber sich auch nicht weniger loben, als er wert ist.“

Joachim Panten (1947–2007), deutscher Aphoristiker und Publizist

Am ersten September hatte ich ein „Schnapszahl“-rundes Berufsjubiläum. Nicht dass es irgendjemand bemerkt hätte. Ich habe mir selbst auf die Schulter geklopft und mich ob meines Durchhaltevermögens gelobt. Trotzdem war es für mich ein bemerkenswertes Datum, und in den Tagen vor und nach diesem ersten September musste ich viel über diese unvorstellbar lange Zeit, die vielen Erfahrungen, Erlebnisse, Hochs und Tiefs nachdenken. Inklusive meiner Zeit in der Ausbildung bin ich sage und schreibe 44 Jahre in Sachen Krankenschwester unterwegs. Um ganz korrekt zu sein, bin ich eigentlich Kinderkrankenschwester. Ich habe aber schon zu Beginn der Ausbildung bemerkt, dass Kinder nicht so mein Fachgebiet sind. Leider war ein Wechsel in die damals sogenannte „große Krankenpflege“ nicht möglich, und so habe ich die Ausbildung tapfer und erfolgreich durchgestanden und abgeschlossen. Später habe ich versucht, einen Kompromiss zu finden, indem ich auf einer Station gearbeitet habe, auf der sowohl Erwachsene als auch Kinder zu betreuen waren. Ich war gewissermaßen der Prototyp der generalisierten Ausbildung.

Durch diese vielen Berufsjahre kann ich aus einem wahren Schatz an Erinnerungen und Erfahrungen schöpfen. Es gibt gute und schlechte, lustige und traurige und sicherlich viele bewusst und unbewusst verdrängte Erlebnisse. Mein Berufsleben begann in einem weißen Kittel, am Rücken zu schließen und bitte zwei Finger breit über dem Knie endend und mit einer Haube auf dem Kopf. Fünf Falten! Falten konnte ich sie, wie viele meiner Kolleginnen, nie selbst und musste mir immer jemanden suchen, der aus dem zu einem Brett gestärkten Halbkreis Baumwollstoff unter Zuhilfenahme von simplen Holzspießen eine Haube zustande brachte, die dann mit diversen Haarklammern am Kopf befestigt wurde.

Die Arbeitszeiten waren damals nicht viel anders als heute. Drei Schichten mit je acht Stunden. Aber die Arbeit an sich hat sich extrem gewandelt und technisch weiterentwickelt. Zum Glück, kann ich oft nur sagen. Als ich anfing, zog im Frühdienst eine von uns mit einem Eimer Desinfektionslösung los (oft musste die Schülerin daran glauben), um in den Zimmern der Patienten die Oberflächen zu putzen. Am Wochenende wurden sogar die Böden von uns gewischt! Einmalartikel auf den Stationen? Undenkbar. Wir haben Instrumente gereinigt, in Instrumentenkästen verpackt und in einem Sterilisator auf Station selbst sterilisiert. Wir haben Tupfer selbst gedreht und Binden aus einem Sack aus der Wäscherei im Nachtdienst aufgewickelt. Nur gut, dass diese Zeiten vorbei sind. Dafür habe ich aber auch noch gelernt, wie man eine Bülau-Drainage aus diversen Flaschen und Schläuchen zusammenbaut. Umweltfreundlicher war es damals aber allemal. Es gab noch keine Perfusoren und nur sehr einfache Infusiomaten. Beatmungsgeräte waren groß und sperrig und Monitore sehr, sehr einfach.

Es gab noch Besuchszeiten. Meist mittwochs und am Wochenende und dann bitte nur zwischen 15 und 17 Uhr. Ehrlich gesagt, wünsche ich mir diese Regelungen manchmal wieder zurück. In unserem Haus sind Besuche gewissermaßen täglich von 6 bis 22 Uhr möglich, das ist oft für uns im Tagesablauf etwas nervig. Dabei haben sich die Verweildauern der Patienten deutlich reduziert. Wenn damals ein Kind geboren wurde, blieben Mutter und Kind eine Woche im Krankenhaus. Heute gehen sie nach wenigen Stunden nach Hause. Oder eine neue Hüfte! Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Tage oder gar Wochen zwischen Implantation und Entlassung lagen.

Heute werden die Patienten innerhalb von acht Stunden nach OP mobilisiert und gehen nach einer Woche in die Reha. In den Zimmern der Patienten, in denen gern vier Patienten oder mehr lagen, gab es weder Fernsehen noch Telefon. Oft nur ein Waschbecken und keine Toilette. Da musste sich der Patient schon auf die Gemeinschaftstoilette irgendwo auf der Station quälen.

Auch das Miteinander war ein anderes. Vor unserer Stationsleitung hatten wir einen Riesenrespekt (vor der Oberin – heute PDL – haben wir uns am besten versteckt!) und Chefvisiten waren der gefürchtete Höhepunkt der Woche. Da zog der Chefarzt mit einer ganzen Entourage von Zimmer zu Zimmer. Ich hätte als junge Krankenschwester niemals meine Vorgesetzte, einen Arzt oder ältere Kolleginnen geduzt. Heute ist das alles sehr viel lässiger und wird oft als Zeichen des Arbeitens auf Augenhöhe gewertet. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie sich die Dienstplanung und ganz zu schweigen die Urlaubsplanung auf Station gestaltet hat. Zumal wir fast alle Kinder hatten und zeitgleich Urlaub oder mindestens freie Tage beanspruchten. Mal waren Schulferien oder die Kinder krank, Kindergeburtstage oder Elternabende fanden statt. Keine Ahnung, wie meine Chefin uns alle unter einen Hut gebracht hat.

Ich habe unzählige Menschen kennengelernt, Patienten wie Kollegen. Über die Jahre hat sich fast mein gesamter Freundeskreis aus der Arbeit ergeben. Die Freunde aus früheren Berufsjahren sind mir bis heute erhalten geblieben. Das könnte daran liegen, dass ich als Stationsleitung nicht unbedingt als Freundin zur Debatte stehe. Oder es liegt schlicht am Alter. Denn die meisten meiner Kollegen sind jünger als mein eigener Sohn. Apropos Alter: Ich kann mich aus meinen sehr frühen Dienstjahren kaum an Kollegen erinnern, die damals so alt waren, wie ich es jetzt bin. Wo waren sie? In meinem jugendlichen Alter habe ich sie offensichtlich kaum wahrgenommen, und umgekehrt wird es jenen wohl nicht anders mit mir gegangen sein.

Ich hatte in all den Jahren wirklich mehr gute als schlechte Zeiten. Ich hatte auch oft Glück mit den jeweiligen Stationen, Kollegen und Fachbereichen, in denen ich gearbeitet habe. Ich war in staatlichen und privat geführten Häusern und könnte nicht sagen, dass das eine besser war als das andere. Ich habe so viel Veränderung und Entwicklung erlebt, dass ich es schon erstaunlich finde, was alles in ein Berufsleben passt. Noch erstaunlicher finde ich, was ich alles gelernt habe – oder auch nicht. Denn ich kann die Fotos unserer Wunddokumentation bis heute nicht in den PC einlesen und habe auch keine Lust mehr, es unbedingt lernen zu wollen. Da müssen jetzt die jungen Leute ran.

In der Mystik steht die 44 für ein hohes Energiepotenzial, für starke geistige Kraft und für ein Instrument, durch das Veränderung stattfindet, die einen wiederum zu Ruhm und Ehre führen soll. Na, das wäre dann doch ein bisschen zu viel des Guten!

In diesem Sinne Ihre

Heidi Günther
hguenther@schoen-kliniken.de



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Article published online:
05 December 2019

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