Sportphysio 2019; 07(04): 198-199
DOI: 10.1055/a-0970-0660
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Prevention isn’t sexy“

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Publication Date:
11 September 2019 (online)

Bericht vom 6. Sport-Physiotherapie Symposium Salzburg

Vom 10.–12. Mai 2019 fand in Salzburg das 6. Sport-Physiotherapie Symposium unter dem Motto „Young Athletes Development – Load Management, Injury Prevention and Rehabilitation“ statt. Die Universität Salzburg stellte in Zusammenarbeit mit der „spt-education“ und dem fachlichen Netzwerk Sportphysiotherapie des österreichischen Verbandes „physioaustria“ ein spannendes und breit angelegtes Programm zusammen, welches sowohl trainingswissenschaftliche Aspekte als auch Themen aus Rehabilitation und Prävention abzudecken vermochte. Auch wenn zeitgleich der Jahreskongress der WCPT in der Schweiz stattfand, war der Kongress mit 300 Teilnehmern ausgebucht.

In den ersten zwei Tagen bestand der Kongress aus fünf Blöcken (Scientific Sessions) mit insgesamt 13 Referaten, gefolgt von zwei Diskussionsrunden mit je vier Experten aus dem Referententeam. Der dritte Tag konnte zusätzlich gebucht werden und bestand aus drei praktischen Workshops.

Nach einer kurzen Begrüßung der beteiligten Organisatoren eröffnete Prof. Dr. Ansgar Thiel von der Universität Tübingen die erste Scientific Session. Er präsentierte das Forschungsprojekt „Individuelles Gesundheitsmanagement im olympischen Nachwuchsleistungssport (GOAL)“. Das Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der Frage, wie erfolgreicher Sport und die Gesundheit von jugendlichen Spitzenathletinnen und -athleten optimal gefördert werden können. Er zeigte eindrücklich, dass im Jugendsport bereits viel Potenzial zu den Themen Burn-out, Essstörungen, Regeneration und Erholung sowie Leistungsbereitschaft besteht. Junge Athleten sind bereit, fast alles zu tun, um im Sport erfolgreich zu sein. Bei einer Befragung von Nachwuchsathleten stellte sich heraus, dass 25 % dazu bereit wären, 30 Jahre weniger lang zu leben und dafür sicher einen Weltmeister- oder Olympiatitel zu schaffen.

Dr. Phil Glasgow, Chef der „Irish Rugby Football Union“, ging einmal mehr der Frage nach der optimalen Gewebebelastung nach (vergleiche Heft 05/18 Sportphysio). Er regte die Teilnehmer dazu an, bei der Rehabilitation bereits das Ziel im Kopf zu haben, um den ganzen Weg zu verstehen. Der optimale Weg sollte früh starten, spezifisch für Adaptationsmechanismen sowie angepasst und progressiv sein, wobei die Outcomes klar definiert sein sollten.

„To begin with the end in mind means to start with a clear understanding of your destination.”

Phil Glasgow

Im Anschluss präsentierte Prof Dr. Urs Granacher von der Universität Potsdam, wie ein sicheres Krafttraining im Kinder- und Jugendsport aussehen sollte. Hierbei wurden die Stufen von „FUN-dament“ mit dominant neuronalen Adaptationen vorgestellt sowie die Progression in die Adoleszenz in Richtung „Train to train“ und bei den Erwachsenen in Richtung „Train to compete”. Aufgezeigt wurden Anpassungen auf hormoneller, neuronaler und muskulotendinöser Ebene. Unter professioneller Anleitung, stufengerecht und sicher angewandt, nimmt der Kraftaufbau im Jugendsport einen wichtigen Platz ein und schult die motorische Kontrolle und den präventiven Gedanken.

Das Thema wurde in diesem und im Folgeblock abgerundet durch Referate von PD Dr. Silvio Lorenzetti vom Bundesamt für Sport in Magglingen, Schweiz, und Evert Verhagen (PhD) von der Universität Amsterdam, die noch näher auf den Stellenwert und die Praxis des Krafttrainings im Wachstum eingingen. Betont wurde die Wichtigkeit des Spielens und der Vielseitigkeit in der Jugend zwischen 6 und 12 Jahren, da all diese Bewegungserfahrungen die sportmotorische Entwicklung positiv beeinflussen. Auch wurde das Thema Prävention im Kinder- und Jugendsport aufgegriffen und als Beispiel das Präventionsprogramm FIFA 11 + Kids angesprochen.

Den Abschluss des ersten Tages bildete ein Praxisbeispiel aus dem Skisport von Prof. Dr. Christian Raschner und Mag. Dr. Lisa Steidl-Müller (Universität Innsbruck).

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Ein interessiertes Fachpublikum folgte den Vorträgen beim 6. Salzburger Sport-Physiotherapie Symposium im AudiMax. ((Quelle: Universität Salzburg))

Der zweite Tag startete mit dem vierten Scientific-Session-Block und einem Beitrag von Dr. Clare Ardern von der Linköping-Universität in Schweden. Sie zeigte die ethische Verantwortung der medizinischen Betreuungspersonen im Jugendsport auf und hob hervor, dass das Interesse des Kindes zuoberst stehen muss, unter Berücksichtigung von Langzeitgesundheit und Einbezug der Eltern. Die notwendigen Informationen, um medizinische Entscheidungen treffen zu können, sollten respektvoll und verständlich für Eltern und Kind geteilt werden.

In einem zweiten Vortrag präsentierte Clare Ardern 4 Hauptfaktoren für die Return-to-Sports-Entscheidung nach einer VKB-Verletzung:

  • Eine Rekonstruktion heißt nicht automatisch, dass eine Rückkehr in den Sport gelingt.

  • Return-to-Sports-Tests sind nach wie vor nicht abschließend geklärt, aber als wichtig kristallisieren sich Quadrizepskraft, Sprungtests und mentale Bereitschaft für die Rückkehr heraus.

  • Empfohlen wird eine qualitativ optimale Rehabilitation, welche über 6 Monate (idealerweise ca. 9 Monate bei erwachsenen Personen, im Wachstum sogar um 12 Monate) dauert. Eine frühere Rückkehr erhöht das Wiederverletzungsrisiko massiv.

  • Das Arthroserisiko ist gleich hoch bei operierten und konservativ behandelten VKB-Verletzten. Ein größeres Risiko besteht, wenn der Knorpel oder der Meniskus mitbetroffen ist.

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Vortragende und Organisatoren des 6. Salzburger Sport-Physiotherapie Symposiums (von links): Erich Müller, Lisa Steidl-Müller, Phil Glasgow, Christian Raschner, Silvio Lorenzetti, Liba Sheeran, Hermann Schwameder, Evert Verhagen, Erik Hogenbirk, Rod Whiteley, Gerald Rainer-Mitterbauer und Karl Lochner ((Quelle: Universität Salzburg))

Dr. Liba Sheeran von der Cardiff-Universität, Wales, beleuchtete sehr praxisbezogen anhand von drei Beispielen Rückenbeschwerden bei jungen Athleten. Das Problem wird mit zunehmendem Athletenalter größer und steigt von 18 % bei 10-Jährigen auf 65 % bei 16-Jährigen, wobei Frauen öfter unter Rückenbeschwerden leiden. Während im Erwachsenenalter Athleten häufiger betroffen sind als Nichtathleten, zeigt sich dieser Unterschied im Jugendalter noch nicht so klar. Trotzdem wird betont, dass Rückenschmerzen häufig und ernst zu nehmen sind. Ein Teil der Präsentation und auch des Workshops am Folgetag wurde deshalb auch Red und Yellow Flags/Back Pain Beliefs gewidmet. Zudem zeigte Liba Sheeran im Workshop am folgenden Tag Möglichkeiten des Rumpfkrafttrainings bei jungen Athleten.

Dr. Rod Whiteley vom Aspetar Sports Medicine Hospital in Doha, Katar, beleuchtete Überlastungsproblematiken der Schulter. Er lieferte gute Informationen zur Retrotorsion des Humerus bei jugendlichen Werfern. Er präsentierte Daten, dass im Babyalter die Nullstellung der Schulter 90° Abduktion und 90° Außenrotation beträgt und sich diese durch häufiges Werfen nicht normal entwickelt, sondern ein Teil dieser Stellung verbleibt. Diese Retroversion kann im Ultraschall gemessen werden und uns so eine Aussage liefern, ob eine Mobilisation in Innenrotation überhaupt Sinn macht oder ob diese knöchern vorgegeben ist. Zudem ging Rod Whiteley im Zusammenhang mit extrinsischen Risikofaktoren für eine Überlastung der Schulter auch auf das Kraftverhältnis der Innenrotatoren zu den Außenrotatoren ein, welches maximal 1,5 betragen darf.

Ein weiterer Teil in der Verletzungsprävention ist das (aktuell oft diskutierte) Verhältnis zwischen Chronic Workload (der Belastung der letzten vier Wochen) versus Acute Workload (der kurzzeitigen Belastung der letzten Tage). Akute Belastungsspitzen sind ein Risikofaktor bei der Entwicklung von Verletzungen nicht nur im Schulterbereich. Wie Liba Sheeran war auch Rod Whiteley am dritten Tag in einem zusätzlichen praktischen Workshop mit dem Schwerpunkt „Testbatterie bei SLAP-Läsionen“ vor Ort.

Igor Tak (PhD) aus Utrecht (NL) war ebenfalls sowohl am zweiten Tag mit einem Referat als auch am dritten Tag mit einem Workshop präsent. Während in seinem Workshop die klinischen Gruppen des Leistenschmerzes und dessen klinische Diagnostik im Vordergrund standen, versuchte er in seinem Referat Gründe zu finden, warum Präventionsprogramme zwar bekanntlich gut funktionieren, aber es trotzdem an deren Umsetzung hapert. Den Kern seiner Analyse fasste er in der Aussage „Prevention isn’t sexy!“ zusammen. Tak regte an, Prävention unter dem Begriff der Leistungsverbesserung zu promoten, da die bekanntesten Präventionsprogramme z. B. für Adduktoren und Hamstrings auch Sprint- und Kickfähigkeit verbessern. Zudem könnte auch das Argument einer Verminderung von Symptomen gerade bei lang bestehenden Problemen wie z. B. Leistenschmerzen zählen. Ein weiterer Tipp für gelungene Präventionsprogramme am Beispiel Leiste: einfache Basisübungen, die überall gemacht werden können, sowie Spaßfaktoren und kleine Wettkämpfe in das Training einbauen.

Dr. Mario Bizzini von der Schulthess Klinik in Zürich rundete das wissenschaftliche Programm mit einem Update zum Thema Concussion bei jungen Athleten ab. Neben der aktuellsten Version des „Sport Concussion Assessment Tool“ (SCAT5), welches es auch in einer Kinderversion gibt (den Child-SCAT5 gibt es bisher nur in Englisch, in Deutsch ist lediglich SCAT3 verfügbar), wurde neben Rehabilitationsschwerpunkten auch das schrittweise Return-to-Play-Programm (in dem neu bereits im ersten Schritt ADL-Aktivitäten erlaubt sind) sowie eine „Graduated Return to School“-Strategie vorgestellt.

Vor dem offiziellen Abschluss der zwei wissenschaftlichen Tage diskutierten je 4 Experten nochmals Möglichkeiten und Grenzen von Präventionsprogrammen und beantworteten online gestellte Fragen aus dem Publikum. Die drei praktischen Workshops am 3. Tag vertieften das Gelernte und rundeten das gelungene Symposium ab. Das nächste Symposium soll im Jahr 2021 stattfinden.

Martina Leusch

in Zusammenarbeit mit dem fachlichen Netzwerk Sportphysiotherapie physioaustria

LINKS ZU THEMEN DES SPORTPHYSIOTHERAPIE SYMPOSIUMS

Website zum Forschungsprojekt „Individuelles Gesundheitsmanagement im olympischen Nachwuchsleistungssport“: http://www.goal-study.de

Präventionsprogramm FIFA 11 + Kids: http://bit.ly/Fifa11Plus

Freier Artikel zur „Graduated Return to School“-Strategie: http://bit.ly/2GV1msh

Sport Concussion Asessment Tool – 5. Auflage: http://bit.ly/2LHjBVi