intensiv 2019; 27(04): 174-175
DOI: 10.1055/a-0897-6721
Kolumne
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nach Ostern ist vor Ramadan

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Publication Date:
08 July 2019 (online)

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(Quelle: Paavo Blåfield)

„Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen.“

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), deutscher Dichter

Der 1. Mai ist der Tag der Arbeit, und wie es sich gehört und weil ich frei und damit Zeit habe, mache ich mich also an dieselbe und schreibe eine neue Kolumne. Auf den Tanz in den Mai habe ich, wie eigentlich in jedem Jahr, dankend verzichtet und bin ein bisschen froh und sehr, sehr dankbar, dass mein Auto in diesem Jahr von den wenig lustigen Streichen der sehr traditionsbewussten, gern in zünftiger Tracht gekleideten und in den allermeisten Fällen in der sogenannten Freinacht offensichtlich sehr betrunkenen bayerischen Jugend verschont geblieben und nicht unter Rasierschaum und Toilettenpapier versunken ist. Das ist ja schon mal sehr erfreulich.

Je nachdem, in welchem Bundesland wir leben, haben wir im Jahr bis zu 19 Feiertage, und auch hier ist Bayern wieder einmal ganz weit vorn. Die Berliner waren noch bis 2019 ein bisschen knapp mit ihren neun Feiertagen dran, und ich weiß jetzt nicht genau, aus welchen Beweggründen ausgerechnet der 8. März – der Internationale Frauentag – zum Feiertag für die Berlinerinnen und Berliner erklärt wurde. Ich wundere mich ein bisschen, dass es so glimpflich und ohne Proteste aller anderen Frauen in den restlichen Bundesländern über die Bühne ging. Ist es nicht ein Feiertag (mindestens) aller Frauen? Vielleicht hat diese Ruhe um diesen neuen Feiertag etwas mit dem Ursprung, der Historie des eigentlichen Internationalen Frauentags zu tun. Und vielleicht ist es in sehr konservativen Gegenden des Landes politisch gewollt, kein Aufsehen um diesen neuen Feiertag der Berliner zu machen. Nicht, dass eine Frau diesen neu gewonnenen freien Tag noch nutzt, nachdenkt und hinterfragt, warum sie immer noch weniger verdient als ihr männlicher Kollege – das möchte man nicht.

Dann wenden wir uns lieber dem katholischsten aller katholischen Feste zu, und da dürfen dann auch alle mitmachen: Ostern. Dieses Fest haben wir ja gerade erfolgreich hinter uns gebracht, und ich war wieder einmal arbeiten. Wenn ich Zeit und Lust hätte, könnte ich mal nachzählen, wie viele Feiertage, also Ostern, Pfingsten, Weihnachten, Silvester und die nicht weniger wichtigen Familienfeiertage ich in meinem Leben auf den diversen Stationen verschiedener Kliniken verbracht habe. Von den Wochenenden ganz zu schweigen. Ich habe gelesen, dass jeder Fünfte und in der Summe bis zu neun Millionen Menschen in diesem Land an diesen Tagen arbeiten.

Also in meinem Stadtteil nicht. Gerade an diesen Osterfeiertagen fiel mir morgens um fünf Uhr auf, dass nicht ein einziges Licht irgendwo in den Wohnungen brannte – nur bei mir! Das hat mich wenig optimistisch gestimmt und schon gar nicht motiviert zur Arbeit fahren lassen. Ich habe mittlerweile auch festgestellt, dass mir im Laufe meines doch schon einige Jahre währenden Berufslebens die Wochenend- und Feiertagsarbeit zunehmend schwerfällt. Das reißen auch die dazuverdienten Zuschläge und freien Tage nicht mehr raus. Außerdem war noch vor einigen Jahren die Arbeit an diversen Feiertagen auch noch ein bisschen anders als heute (zumindest in meiner Erinnerung!). Entspannter, ruhiger. Es waren weniger Patienten auf Station. Die Angehörigen, die zu Besuch kamen, waren freundlich gestimmt. Wünschten vielleicht sogar einen schönen Feiertag und verloren einen Halbsatz darüber, dass wir arbeiten müssen. Heute nicht mehr. An diesen Ostertagen hatten wir nicht weniger zu tun als sonst, waren dafür aber in Feiertagsbesetzung. Die Besucher kamen, wenn überhaupt, nur kurz und am besten am Vormittag, wo die Stationsarbeit ihren Höhepunkt hat, bei ihren Angehörigen vorbei und gaben uns, die ja nur ihre Arbeit machen, das Gefühl zu stören. Dumm auch, dass die Cafeteria in unserem Haus an den Wochenenden und Feiertagen geschlossen ist. Wir hätten ein Band in Endlosschleife laufen lassen können, um unser Bedauern ob dieses Zustands kundzutun. Und ganz nebenbei: Auch für die, die an diesen Tagen arbeiten, gibt es keine Möglichkeit, sich bei Bedarf irgendwas aus eben dieser Cafeteria zu holen. So war es schon fast ein kleiner Höhepunkt, als meine Mutter am Ostersonntag auf Station kam und uns ein Osternest und ein Osterbrot brachte.

Ich will zwar nicht verschweigen, dass die Leitung des Hauses traditionell in der Woche vor Ostern Schokoladenosterhasen für die Kollegen verteilt hat. Aber auch dieses Prozedere hat sich deutlich verändert. Es wurde „verschlankt“, um es mal diplomatisch auszudrücken. Waren es noch vor Jahren der kaufmännische Direktor und die Personalchefin, die auf den Stationen reinschauten, frohe Ostern wünschten und ein bisschen Small Talk betrieben, war es in diesem Jahr die Assistentin des kaufmännischen Leiters, die die Zahl der Mitarbeiter abfragte, entsprechend viele Hasen auf den Tresen stellte und wieder verschwand. Vielleicht waren es auch nur Zeichen der Verunsicherung oder des Mitleids der jungen Frau, die sie um Worte ringen ließ. Was sollte sie auch sagen? War doch super Wetter für die Ostertage vorausgesagt und in ihren Augen jeder zu bedauern, der dann arbeiten muss und nicht die ersten Sonnentage in irgendeinem Biergarten oder Park verbringen konnte.

Na ja, wie schon gesagt: Nach Ostern ist vor Ramadan. Und dank meines Multikulti-Teams mit seinen verschiedenen gelebten Glaubensrichtungen sollte sich die Verteilung der Arbeit an solchen Feiertagen einfacher für alle gestalten lassen.

In diesem Sinne Ihre

Heidi Günther

hguenther@schoen-kliniken.de