Zeitschrift für Phytotherapie 2019; 40(01): 1-2
DOI: 10.1055/a-0799-6829
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

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Publication Date:
25 March 2019 (online)

im Namen aller Herausgeber, der Schriftleitung und des Verlages darf ich Sie zum 40. Jahrgang dieser Zeitschrift begrüßen. Wir nehmen das gesunde Erreichen dieses Lebensalters trotz seit Jahren regelmäßiger präventiver Einnahme unserer liebsten Kräutlein nicht als Selbstverständlichkeit hin, haben doch deutschsprachige Fortbildungszeitschriften in der heutigen Zeit sehr stark mit Konkurrenz v. a. aus den elektronischen Medien zu kämpfen. Auch haben sich in diesen vier Dekaden zahlreiche sog. Peer-reviewte Zeitschriften mit Impact-Faktor im Bereich Naturheilkunde, besonders Phytotherapie, und Komplementärmedizin etablieren lassen, die es vor allem den Autoren, die noch nicht auf den obersten Karrierestufen angekommen sind, wie ein Luxus anmuten muss, für die ZPT zu schreiben. Den vielen – es werden vermutlich mehrere Hundert sein – Autoren dieser vier Jahrzehnte, in denen über 240 Hefte und Kongressbände erschienen sind, sprechen wir ebenso unseren ganz herzlichen Dank aus wie natürlich Ihnen, den Lesern!

Zu Beginn der 2. Lebenshälfte der ZPT, also vor genau 20 Jahren, etablierte sich die Institution „Arzneipflanze des Jahres“. Ein neuer ZPT-Jahrgang sollte die aktuelle stets vorstellen (dies erfolgt in Heft 3). Sie wird vom Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Würzburg gekürt. Die Würzburger Kollegen, besser bekannt mit ihrer Aktivität Forschungsgruppe Klostermedizin, haben bereits im September 2018 den Weißdorn bekannt gegeben, was selbst dem Deutschen Ärzteblatt einen Hinweis wert war. Aus dem Begründungstext: „Weißdorn ist seit Generationen als Arzneimittel zur Unterstützung von Herz und Kreislauf bekannt. Aufgrund vieler neuer Erkenntnisse zu den Wirkungen und der Bedeutung für die Pflanzenheilkunde wurde Weißdorn vom Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde an der Universität Würzburg zur Arzneipflanze des Jahres 2019 gewählt“ [1]. Eine dieser neuen Erkenntnisse ist eine Anfang 2018 publizierte sog. Sub-Analyse einer der ambitioniertesten Phytotherapie-Studien bislang, die ihr Hauptziel seinerzeit verfehlte. In dieser im Prüfplan nicht vorgesehenen Sub-Analyse zeigte sich nun, dass Patienten mit zwar eingeschränkter, aber im Gesamtkollektiv etwas besserer Pumpfunktion des geschwächten Herzens durch Weißdorn offenbar auch bezüglich „harter“ kardiologischer Endpunkte, insbesondere des plötzlichen Herztodes, profitieren konnten [2]. Das ist natürlich noch kein Beleg, sondern eher die Aufforderung, dies nun in einem geeigneten, sicherlich sehr aufwendigen Studienmodell neu zu untersuchen. Im Nachhinein ist man bekanntlich immer klüger: Ältere Kollegen aus unschuldigen Vor-EBM-Zeiten waren tendenziell schon immer der Meinung, dass für die ganz schwachen Herzen der Weißdorn nicht ausreiche, da müsse Digitalis her, das aber bei den nur wenig geschwächten allein wegen seiner schlechten Verträglichkeit zu meiden sei!

Damit sind wir schon bei einem der Themen dieses Heftes. Die ZPT, die führende Fachgesellschaft GPT sowie wichtige Meinungsbildner sehen einen je nach Standpunkt variierenden, jedoch deutlich großen Anteil der Zukunft in qualitätsgesicherten Phytopharmaka mit guten klinischen Studien und möglichst positiver Erwähnung in Leitlinien. Vor Jahren wurde dies in einer z. T. aggressiv geführten, jetzt aber wohl abgeschlossenen Diskussion als „rationale Phytotherapie“ etikettiert. Darüber hinaus gibt es damals wie heute eine klare Existenzberechtigung für individualisierte Therapiestrategien, die sich vor allem in der Teetherapie (Beitrag Meyer, S. 24), aber auch Lösungen, Externa usw. realisieren lassen. Es ist nahezu eine Schande, dass wir für viele wichtige klinische Probleme – Depression, Ängste, Herz-Kreislauf u.v. a. m. – den Patienten nicht sicher sagen können, ob ein Tee ähnlich gut wirken könnte wie das qualitätsgesicherte Produkt mit positiver Metaanalyse und Leitlinien-Erwähnung aus dem Apothekenregal.

Der 1. Teil zum Schwarzkümmel (Nigella sativa) zeigt erneut, welche Entwicklungschancen in hierzulande bislang wenig beachteten Pflanzen stecken (Beitrag Vlachojannis & Chrubasik-Hausmann, S. 9). Auch hier bedarf es Mut, guter Dokumentation von Kasuistiken, Expertenkonsens, RCT, kurzum aller Erkenntnishebel, bis wir vielleicht erst in 20 Jahren genauer wissen, welche Indikationen mit welchen Dosierungen sich lohnen.

Wir versprechen Ihnen immer wieder – und halten das hoffentlich auch ein – Sie über antimikrobielle Eigenschaften von Phytotherapeutika zu informieren. Dies ist künftig eine der wichtigsten Aufgaben der Pflanzenheilkunde weltweit. Der Beitrag Scharf / Hensel (S. 4) zeigt sehr kompetent auf, wie wichtig es ist, grundlegende Eigenschaften der Großen Moosbeere (Cranberry) zu erforschen und zu verstehen, um die z. T. recht widersprüchlichen Ergebnisse der ausgedehnten klinischen Forschung interpretieren zu können. Wendet man die Kriterien der Evidence-based Medicine (EBM) stur an, steht man vor einem Rätsel, da zahlreiche, z. T. methodologisch hochwertige klinische Studien und mindestens 5 (!) aus ihnen extrahierte systematische Reviews zu sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen gelangen [3], [4]. Wir lernen erneut, dass die Interaktion eines Vielstoffgemisches mit dem Organismus leider etwas komplexer als die einer chemisch definierten Monosubstanz ist, und man mit Studien allein nicht vorwärtskommt, solange man spezifische Eigenschaften der Extrakte nicht versteht.

Adipositas-Therapie bleibt weltweit in aller Munde. Es gibt weiterhin keine sinnvoll einsetzbare chemisch definierte Substanz. Umso verständlicher, dass auch das Reich der Naturstoffe nach guten Kandidaten abgegrast wird. Wir hatten in Heft 4 2018 eine Originalarbeit zum Schimmelpilz Aspergillus veröffentlicht. Wir danken Herrn Kollegen Biesalski für einen kritischen und sehr detaillierten Leserbrief (S. 19) und den Autoren Sokolowski und Voet für ihre Antwort (S. 23), eine Intensität der Auseinandersetzung, die wir uns öfter wünschten!

Viel Freude und Anregungen beim Lesen

wünscht Ihnen

Rainer Stange