Aktuelle Urol 2019; 50(01): 1-4
DOI: 10.1055/a-0759-3573
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

Arkadiusz Miernik
,
Thomas R. W. Herrmann
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Publication Date:
07 February 2019 (online)

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Prof. Dr. Dr. med. univ. Arkadiusz Miernik
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Prof. Dr. Thomas R. W. Herrmann

Im ersten Sonderheft von „Aktuelle Urologie“ haben wir uns der technologischen und apparativen Innovation im Operationssaal sowie dem Organ Prostata gewidmet. Nun möchten wir der Leserschaft die weiteren Schwerpunkte vorstellen. Im ersten Themenfeld werden Aspekte der neusten und künftigen Entwicklungen auf dem Gebiet der Harnsteintherapie diskutiert. Nach kontinuierlichen Innovationssprüngen im Bereich der Operationsinstrumente hat die flexible Ureterorenoskopie (fURS) als ein wahrer urotechnologischer Treiber die letzten Jahrzehnte der Urolithiasisbehandlung geprägt, neue Standards definiert sowie die Machbarkeitsgrenzen der minimalinvasiven intrarenalen Chirurgie erweitert. Die Ureterorenoskopie wurde über die letzten 20 Jahre technisch ununterbrochen weiter optimiert und in Kombination mit anderen Modalitäten, wie zum Beispiel der laserbasierten intrakorporalen Lithotripsie, zum führenden Werkzeug in der operativen Therapie von Harnsteinen fortentwickelt. Parallel zu der technologischen Perfektionierung und stets besser werdenden Anpassung an die anatomischen Gegebenheiten des oberen Harntraktes wurden auch die Operationstechniken der fURS weltweit weitgehend standardisiert. Dies hat dazu beigetragen, dass die URS heutzutage durch hohe Steinfreiheitsraten bei günstigen Komplikationsprofilen charakterisiert ist. Aktuell wird die Landschaft der urologischen Endoskopie durch Einweg-Geräte stark beeinflusst. Damit kann die Problematik der hohen Anfälligkeit und Reparaturkosten der Geräte zielführend adressiert werden. Auch wenn diese Entwicklung nicht unbedingt als Innovation angesehen wird, trägt sie doch zur Vereinfachung innerbetrieblicher Abläufe in den Kliniken bei und kann somit zum entscheidenden Faktor im gesamten Innovationsprozess in der Harnsteintherapie werden. Darüber hinaus wird derzeit eine Reihe von hochinteressanten Technologien in Kombination mit der Ureterorenoskopie experimentell und zum Teil auch klinisch erprobt. Es ist zu erwarten, dass weitere Verbesserungen und Innovationen wie die Druck- und Temperaturmessung während des Eingriffes in den nächsten Jahren in die praktische Anwendung kommen.

Bei einer derart rasanten Entwicklung darf eine systematische wissenschaftliche Begleitung der technologischen Fortschritte nicht ausbleiben. Insbesondere in der Steintherapie ist die Generierung von hochwertigen Evidenzgrundlagen durch den heterogen organisierten Versorgungsstandard häufig schwierig. Umso wichtiger ist es daher, multizentrisch und prospektiv angelegte Studien durchzuführen, um einen Betrachtungskontext für Behandlungsprozesse, die die klinische Praxis beeinflussen, zu gewinnen. Im zweiten Artikel der Sonderausgabe widmet sich eine Autorengruppe dieser Problemstellung. Patienten werden nach einer URS häufig zeitnah aus dem stationären Bereich entlassen. Eine systematische Erfassung der Komplikationen findet in der Regel nicht statt. Daher wird in dieser Arbeit untersucht, wie die klinischen Ergebnisparameter nach einer URS ausfallen. Die Autoren kommen zur Schlussfolgerung, dass insbesondere in den ersten 30 Tagen nach Entlassung eine engmaschige Beobachtung der Patienten stattfinden sollte, da in dieser Zeit nicht nur die Komplikationen erheblich zunehmen, sondern sich auch die Lebensqualität der Patienten statistisch signifikant reduziert.

Eine weitere technologische Behandlungsmöglichkeit der Urolithiasis ist die perkutane Nephrolitholapaxie (PCNL). Anfang der achtziger Jahre hatte diese Therapiemöglichkeit zusammen mit der extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie die offene Steinchirurgie abgelöst. In den letzten zwei Jahrzehnten ist es zu beachtlichen technologischen Innovationen auf diesem Gebiet gekommen. Die Miniaturisierungswelle hat auch die PCNL entscheidend geprägt. Durch volumenverminderte Instrumentenschäfte konnten intraoperative Blutungsraten bei meist gleichbleibender klinischer Effizienz gesenkt werden. Die miniaturisierte PCNL weist jedoch ebenfalls technologiespezifische Limitationen auf. Eine dieser Beschränkungen sind hohe Druckverhältnisse, die im Rahmen einer intrarenalen Manipulation eine potentielle Gefahr durch Einschwemmung der Spielflüssigkeit darstellen. Diese Thematik wird in einer weiteren Arbeit experimentell adressiert.

Die modernen Endoskopieinstrumente sind nicht nur ein hocheffizientes Therapeutikum, sondern stellen auch eine hervorragende Plattform für Entwicklungen und Optimierungen der Diagnostik dar. In den letzten Jahren haben sich insbesondere in der Diagnostik der oberen Harnwege vielversprechende Trends gezeigt. Bisher war die Weißlichtendoskopie der Goldstandard in der Detektion von endoluminalen Pathologien des Harntraktes. Insbesondere in den letzten zehn Jahren haben sich jedoch neue Modalitäten etabliert. Diese basieren entweder auf den technischen Möglichkeiten der Lichtmodulation und bedürfen somit keiner intravesikalen Instillation im Vorfeld, oder sie ermöglichen dann durch die Anwendung von urotheliumwirksamen Markern eine verbesserte Diagnose zum Beispiel von Harntrakttumoren. Auch hier handelt es sich nicht um eine einzige technologische Entwicklung, sondern in der Regel um eine zielgerichtete Fusion mehrerer Modalitäten, um eine klinische Fragestellung besser beantworten zu können (HD Visualisierung, Narrow Band Imaging, Endomikroskopie, etc.). Diese Entwicklung erweist sich als vorteilhaft für den Patienten, da die Diagnostik einen unmittelbaren Einfluss auf die Therapie hat. Schlussfolgernd lässt sich die gesamte Behandlungsqualität potenziell erhöhen.

Eine effiziente Diagnostik des Urotheliums sowie Stratifizierung von Patienten, die sich mit einem urothelialen Tumor in der Behandlung befinden, kann zunehmend anhand von molekularen Zellmerkmalen erfolgen. Es ist zu hoffen, dass sich dieser Trend in Zukunft weiterhin verstärken wird. Die Anwendung von Hochdurchsatzanalysen ermöglicht zudem eine umfangreiche, individuelle Informationsakquise, die ein viel besseres Verständnis des patientenspezifischen Erkrankungsverlaufes ergeben kann. Hier kommt insbesondere die Anwendung von Big data zum Tragen, da auf gesammelte Daten anderer Patienten zugegriffen werden kann, um eine individualisierte Profilierung zu realisieren. In Zukunft kann sich dadurch eine gravierende Veränderung des klinischen Vorgehens bei Urothelkarzinompatienten ergeben. Insbesondere wird die Frage nach adjuvanten Therapien und der Radikalität der Versorgung besser beantwortet werden können. Auch das Monitoring von Patienten, welche eine systemische Therapie erhalten, könnte durch den Einsatz von Liquid-Biopsy Technologien maßgeblich optimiert werden.

Das Heft 2 der Sonderausgabe „Urotechnologie“ befasst sich mit Arbeiten allgemeiner Natur. Eine davon beschäftigt sich mit dem Einsatz von Gesundheits-Apps in der Urologie. Smartphones haben in den letzten Jahren die Kommunikation und das Informationsmanagement unserer Gesellschaft revolutionär verändert. Es ist nicht zu übersehen, wie stark sich diese Trends in der Medizin bemerkbar machen. Der Zugang zu Information ist nicht nur für Ärzte, sondern auch für Patienten um einiges einfacher geworden. In diesem Kontext stellt sich die Frage, wie Wissensinhalte kontrolliert und zielgerecht aufgearbeitet werden sollen. Der Einsatz von unterschiedlichen IT-Technologien und Datenverarbeitungssystemen im Behandlungsprozess von urologischen Patienten birgt sowohl Chancen als auch Risiken. Aufgrund des theoretisch uneingeschränkten Gestaltungsspielraumes für solche Modalitäten als auch äußerst umfangreiche, in der Regel exponentielle Skalierungseffekte müssen Qualität- und Zertifizierungsstandards unter Mitwirkung von medizinischen Fachgesellschaften definiert werden. Um den Datenaustausch und die Nutzung für unterschiedliche, sowohl wissenschaftliche als auch wirtschaftliche Zwecke zu ermöglichen, sollten alle Akteure dieser Debatte in ein offenes, permanentes und paritätisches Gespräch eingebunden werden.

Der letzte Artikel dieser Sonderausgabe adressiert die Problematik der älteren und hochbetagten Patienten. Durch die Alterung der Gesellschaft sowie Änderung der Altersstrukturpyramide gewinnt die Geriatrie an besondere Bedeutung. Das Aufkommen von Patienten über 65 Jahre wird in der nächsten Zeit prognostisch substanziell zunehmen. Daraus ergibt sich die Anforderung und auch der Wunsch, diese spezielle Patientengruppe möglichst optimal medizinisch zu versorgen. Im letzten Manuskript wird die Bedeutung des ISAR-Screening im geriatrischen Patientengut beschrieben und die praktische Bedeutung der gewonnenen Informationen im klinischen Alltag diskutiert. Die Autoren fassen zusammen, dass das psychometrische Instrument für die Deskription von vulnerablen, multimorbiden und älteren Patienten in der Urologie sehr gut in der Routineversorgung eingesetzt werden kann.

Im zweiten Heft der Sonderausgabe präsentieren wir folglich weiterhin interessante und hoffentlich zukunftsweisende Bereiche der Urologie, die im Zuge von technologischen Veränderungen und Innovationen unseren klinischen Alltag prägen und beeinflussen. Wir bezeugen damit unseren Bemühungen Vertrauen, mit den folgenden Publikationen aus dem Bereich „Urotechnologie“ das Fachgebiet prominenter zu machen, um weitere Aktivitäten, Forschungsarbeiten und berufspolitische Maßnahmen folgen zu lassen, aber auch das Interesse und die Aufgeschlossenheit der Leserinnen und Lesern zu technischen Errungenschaften und künftigen Trends nachhaltig zu stärken. Die Editoren möchten allen Autorinnen und Autoren sowie Mitgestaltern der zwei Sonderausgaben für Ihre hochqualitativen und umfangreichen Beiträge an dieser Stelle herzlich danken!

Arkadiusz Miernik
Thomas R. W. Herrmann