Z Gastroenterol 2018; 56(09): 1189-1190
DOI: 10.1055/a-0660-2060
Mitteilungen der Gastro-Liga
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der diesjährige Internationale Leberkongress (ILC) in Paris: Was können wir den Patienten berichten?

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Publication Date:
17 September 2018 (online)

In Deutschland gibt es erst seit 1995 für Säuglinge eine Impfempfehlung zur Verhinderung der Hepatitis-B-Infektion. Die Impfabdeckung liegt aber nur bei 95 bis 90 %, d. h., bei einer Reihe von Erwachsenen kann aufgrund einer Infektion in der frühen Kindheit eine chronische Hepatitis B vorliegen, besonders auch bei Migranten. Hierauf wurde im Postgraduierten-Kurs eingegangen. Risikogruppen sollten serologisch getestet werden (HBV-Marker und HBV-DNA). Bei Nachweis einer Virämie folgen Leberwertbestimmung, eine Elastizitätsmessung (Fibroscan) der Leber und regelmäßige Verlaufsuntersuchungen. Eine HBV DNA > 2000 IU/ml und/oder ein Wert der Lebersteifigkeit > 9kPa sind eine Indikation zur antiviralen Therapie (Entecavir, Tenofovir – oder bei bestimmten Konstellationen auch PegIFN-alpha). Ziele der Therapie sind der fehlende Nachweis von HBV-DNA, die Serokonversion von HBeAg zu anti-HBe und – im optimalen Fall – auch der Verlust des HBs-Antigens (gelingt selten, am ehesten mit PegIFN). Bei erhöhten Werten der Lebersteifigkeit muss regelmäßig auf ein Leberzellkarzinom gescreent werden.

Im Gegensatz zur Hepatitis-C-Virusinfektion kann die antivirale Therapie mit Nukleosidanaloga die Virämie nur unterdrücken, aber nicht komplett unterbrechen. Das Hepatitis-B-Virus (HBV) schleust sich über ein Transportprotein für Gallensäuren (NTCP) in die Leber ein. Diesbezüglich wurden sehr interessante Daten präsentiert. Das Lipopeptid Myrcludex hemmt die Aufnahme des Hepatitis-B-Virus in die Leberzelle am NTCP-Transporter. Obwohl ursprünglich gegen die HBV-Infektion entwickelt, eröffnet sich möglicherweise erstmals auch eine Therapie der Hepatitis-D-Virusinfektion (HDV), da das HDV mithilfe des HBV-Hüllproteins in die Leberzelle eindringt. In einer multizentrischen Phase-IIb-Studie wurden Wirksamkeit und Sicherheit einer Kombination von Myrcludex und Tenofovir bei über 200 Patienten mit Hepatitis-B/D-Koinfektion untersucht. Die Kombination, aber nicht Tenofovir alleine, führte zu einem dosisabhängigen Abfall der HD-Viruslast (GS-005). Damit eröffnet sich die Möglichkeit einer Dauertherapie der HDV-Infektion.

Für die chronische Hepatitis-C-Virusinfektion (HCV) gibt es inzwischen sehr gute Kombinationen direkt antiviral wirkender Substanzen (DAAs), die bei allen HCV-Genotypen wirksam sind (z. B. Sofosbuvir/Velpatasvir) und die Infektion bei über 95 % der Patienten eliminieren. Für die zuletzt zugelassene direkte antivirale Kombination Glecaprevir/Pibrentasvir (NS3/4A- und NS5A-Inhibitor) wurden auf dem ILC die ersten „real-world“-Daten des deutschen Hepatitis-C-Registers vorgestellt (GS-007). Die Behandlung war bei sehr geringen Nebenwirkungen hocheffizient (dauerhaftes virologisches Ansprechen in Woche 12 [SVR 12]: 97 %). Ähnlich gut waren die Ergebnisse in der italienischen Navigator-II-Studie (GS-013).

Patienten mit HCV-induzierter fortgeschrittener Leberzirrhose sind schwerer zu therapieren. Aber auch hier zeigten die „real world“-Daten eine erfreulich hohe Ansprechrate auf DAAs (SVR 12 zwischen 85 und 90 %). Nur bei knapp 5 % der Patienten musste die Therapie unterbrochen werden (HCV-Target Cohort, PS-033). Bevölkerungsbasierte Untersuchungen in Schottland zeigten, dass die stationären Aufnahmen dekompensierter HCV-assoziierter Leberzirrhosen nach breiter Einführung der DAAs um fast 40 % zurückgingen (GS-017). Man kann damit rechnen, dass mit konsequentem Einsatz der DAAs auch die Prävalenz der HCV-assoziierten Leberzirrhose und des hepatozellulären Karzinoms abnimmt, ebenso wie HCV-bedingte extrahepatische Erkrankungen.

Viele, wenn auch nicht alle Fragen der Behandlung der chronischen Virushepatitis sind gelöst. Die klinische Forschung wendet sich daher auf den Kongressen zunehmend metabolischen Schäden der Leber zu ([Abb. 1]). Ihre Ursache ist teilweise gesellschaftlicher Natur und liegt teilweise im individuellen Verhalten begründet. Der Intestinaltrakt und das Mikrobiom, die Entzündungssignale in die Leber schicken, vermitteln den Krankheitsprozess, der von Getränken und Ernährung, erhöhter Kalorienzufuhr und anderen toxischen Einflüssen ausgeht. Hier spielen u. a. Veränderungen der Zusammensetzung des zwischen Darm und Leber zirkulierenden Gallensäurenpools als Mediator eine Rolle (PS-068). Neue Biomarker für Leberentzündung (Acti-Test) und Zelluntergang (M30, Spaltprodukt von Cytokeratin) könnten helfen, den Zustand der Patienten richtig einzuschätzen (PS-071).

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Abb. 1A Hepatotrope Viren führen primär zur Lebererkrankung, die sich dann auf andere Organe auswirkt mit hepatischer Enzephalopathie, kardialen und renalen Funktionsstörungen, Störungen der intestinalen Barriere und Veränderungen der Darmflora. B Durch veränderte Lebensbedingungen (Nahrung, kalorienreiche Getränke, Alkohol) gelangen inflammatorische Signale in den Körper, die die Leber schädigen, aber gleichzeitig auch andere Organe (ZNS, viszerales Fett, kardiovaskuläres und hormonelles System) betreffen. Derzeit findet durch die immer erfolgreichere Behandlung der Viren ein Paradigmenwechsel der Erkrankungen von A nach B statt. Dies spiegelt sich auch zunehmend in den Themen der Kongresse für Lebererkrankungen.

Die neue Nomenklatur des hepatischen alkoholtoxischen Schadens wurde vorgestellt (EASL clinical practice guidelines). Man spricht jetzt von AUD (alcohol use disorder = Alkoholkonsum-Erkrankung) – im Gegensatz zur alkoholischen Lebererkrankung, was auch die Auswirkung des Alkohols auf andere Organsysteme spiegelt. Das AUDIT-Questionnaire (bei uns als verkürzter AUDIT-C-Test propagiert) sollte verwandt werden, um nach vermehrter Alkoholeinnahme zu screenen, und die gastroenterologischen/hepatologischen Zentren sollten interdisziplinäre psychosoziale Therapieansätze vorhalten. Baclofen ist ein GABA-Rezeptor-Agonist, der vor allem als Relaxans bei neurologischen Erkrankungen mit Spastizität der Skelettmuskulatur eingesetzt wird. Man fand, dass die Substanz auch Alkoholabhängigkeit bei einigen Menschen positiv beeinflussen kann. Nach Metaanalysen ist der Effekt aber begrenzt und fraglich. Eine nationale französische Untersuchung fand in einer prospektiven, allerdings unkontrollierten Studie, dass die Integration der Baclofen-Therapie in ein medizinisch-psychosoziales Konzept über einen Zeitraum von 9 Monaten die Alkoholeinnahme signifikant senkt (PS-072).

Obwohl die Behandlung der nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung primär auf das Nahrungsverhalten und körperliche Aktivität abzielen sollte, werden hier zunehmend Medikamente erprobt. FGF19 ist ein Proteohormon, welches u. a. die Gallensäuren-Synthese und die hepatische Lipogenese senkt. Hier wurde ein neues FGF19-Analogon (NM282) vorgestellt, das zur Verbesserung von histologischen Veränderungen und der pathologischen Leberwerte bei der Fettleberhepatitis führt (GS-014). Weitere Substanzen versuchen Proteine in der Leber zu inhibieren, die Makrophagen und/oder hepatische Sternzellen und damit Entzündung und Bindegewebsbildung in der Leber bei metabolischen Erkrankungen anstoßen. Keine dieser Studien schien für eine baldige Übernahme in die klinische Routine überzeugend. Hier könnten gesundheitspolitische Maßnahmen wesentlich erfolgreicher sein.

Können chronische Entzündungsprozesse in der Leber nicht unterbrochen werden, kommt es zur Zirrhose. Hier hat die Behandlung mit nicht selektiven ß-Blockern einen festen Platz, um Komplikationen der portalen Hypertension zu verhindern. Unklar bleibt, bei welchen Patienten Vorsicht geboten ist. Eine Studie stellte das signifikante Absinken des Herzminutenvolumens und des mittleren arteriellen Blutdrucks unter ß-Blockern als Warnzeichen heraus (PS-137). Der intrahepatische Stent-Shunt (TIPS) ist eine etablierte Maßnahme, um den refraktären Aszites und die Rezidivblutung aus Varizen bei der Leberzirrhose zu behandeln. Seit einigen Jahren wird darüber hinaus der frühe Einsatz des TIPS bei bestimmten Patienten mit akuter Varizenblutung propagiert. Allerdings sind für diese Anwendung die logistisch-organisatorischen Verhältnisse in den meisten Ländern unzureichend; aber auch der Beleg durch gute klinische Studien ist begrenzt. In diesem Zusammenhang bestätigte die retrospektive Auswertung einer großen Zahl chinesischer Patienten, dass die frühe TIPS-Anlage (< 72 h nach Blutungsbeginn) das Überleben gegenüber der Standardtherapie verbessert (PS-140). Wir brauchen dennoch weitere prospektive kontrollierte Studien zur Fragestellung, bei welchen Patienten ein TIPS zur Behandlung der akuten Varizenblutung eingesetzt werden sollte.

Der Autor dankt Ulrich Spengler für die Durchsicht des Textes.

Informationen zum Autor

Prof. em. Dr. Tilman Sauerbruch CV: Studium der Medizin 1966 – 1971; Ausbildung zum Internisten und Gastroenterologen 1972 – 1979; Oberarzt und C2 / C3-Professur an der Medizinischen Fakultät der LMU 1983 – 1992; Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I und C4-Professur an der Universität Bonn 1992 – 2012; Kommissarischer Direktor der Klinik für Gastroenterologie und Endokrinologie an der Universität Göttingen 2012 – 2014

Tilman Sauerbruch, Prof. emeritus
Universität Bonn
Vorsitzender der Gastro-Liga
Sigmund-Freud-Straße 25
53105 Bonn