Laryngorhinootologie 2018; 97(11): 814-816
DOI: 10.1055/a-0652-6846
OP-Techniken
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Fehlbildungschirurgie von Nase und Lippe

Rudolf Stellmach
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Publication Date:
07 November 2018 (online)

Nasenbodenbildung

Wenn die Lippe wie ein Vorhang über der Kieferspalte zusammengezogen wird, der Nasenboden aber ungebildet bleibt, kommt nur ein sehr kurzes Nasenloch zustande, und der Nasenflügel kann nicht ausreichend adaptiert werden. Der gleichzeitige Verschluß des vorderen Nasenbodens ist deshalb unerläßlich. Wir beschränken ihn auf das Gebiet der Kieferspalte, weil der Verschluß nur dieses Spaltbereichs im Säuglingsalter keine ungünstigen sekundären Lageveränderungen der Kieferstümpfe und keine Wachstumsstörungen hervorruft. Vielmehr wird dadurch die kieferorthopädisch günstige Annäherung der Alveolarfortsätze gewährleistet. Am medialen Lippenstumpf bleibt bei Totalspalten das Gewebe des Spaltrandes erhalten und wird in einen Zwischenkieferseptumlappen einbezogen.

Der Rotationsschnitt wird durch den Kupidobogenhöhepunkt, die Lippenrotdicke und die rückwärtige Lippenschleimhaut auf die Seitenfläche des Zwischenkiefers geführt, wo er auf dem Kieferkamm endet. Im Nasenvorhof läuft er unter Einbeziehung des vordersten Septumschleimhautrandes schräg abwärts zum Zwischenkieferhals ([ Abb. 2 ])

Auf der Innenseite des Nasenflügels ([ Abb. 1 ]) beginnt die Inzision direkt am vorderen Pol der unteren Nasenmuschel, wo sie auf den Rand der Apertura piriformis trifft und dann nach vorn in die Schleimhaut-Haut-Grenze am Hinterrand des Flügelknorpels umbiegt. An ihr entlang führt sie über die Spitze des Alveolarfortsatzes bis zum Kieferkamm weiter. Der umschnittene Randlappen wird vom Knochen subperiostal abgelöst und zur Spalte hin umgekippt ([ Abb. 2 ]). Bis an diesen Randlappen heran muß der am großen Stumpf gebildete Zwischenkiefer-Septumschleimhaut-Lappen reichen, dessen Basis am Zwischenkieferhals liegt. Die Entfaltung dieses Schleimhautlappens verlangt Vorsicht, da die Schleimhaut über dem seitlichen Zwischenkiefer dünn ist. Sie läßt sich besser scharf mit der Messerspitze als stumpf mit dem Raspatorium ablösen. Einrißmöglichkeit ist vor allem gegeben an der Verbindungsstelle zwischen Septum und Zwischenkiefer, wo sich eine tiefe Einziehung befindet. Der Lappen wird nach lateral herumgekippt und so weit mobilisiert, bis er an den Randlappen des kleinen Stumpfes heranreicht. Die Nähte erfolgen mit schwarzer Seide 4–0, die Knoten liegen nach innen ([ Abb. 3 ]).

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Abb. 1
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Abb. 2
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Abb. 3

Die Mobilisierung der Nase bekommt um so mehr Bedeutung, je größer die Spaltbreite ist. Der Nasenflügel wird im Zusammenhang mit dem seitlichen Lippenstumpf epiperiostal von seiner Fixierung am Oberkiefer gelöst ([ Abb. 4 ]), und dann wird der Nasenflügel unter Benutzung eines in die Wundtasche eingeführten Raspatoriums mit langsamem, aber stetigem Zug durch Dehnung der Wangenweichteile nach medial gebracht. Der mediale Lippenstumpf wird epiperiostal bis an die Spina nasalis anterior heran präpariert, und die Septumvorderkante wird 1 cm weit nach dorsal auf der nicht gespaltenen Seite submukös luxiert und in die Gesichtsmitte eingestellt. Eine scharfe Abtrennung des Septums vom Gaumen unterbleibt wegen der möglichen operationsbedingten Wachstumsstörung. Eine weitere Hilfe zur Adaptierung des Nasenflügels und zur Bildung der Nasenflügelansatzfurche besteht im Einschneiden von der Wundfläche aus bis unter die Haut im Verlauf dieser Furche. Danach wird der gut zugänglich gewordene Nasenflügel mit einer Schere subkutan auf der Schicht des lateralen Flügelknorpels bis zur Nasenspitze hin mobilisiert ([ Abb. 5 ]). Dadurch läßt sich eine Befreiung des tiefstehenden Flügelknorpeldoms von der Haut erreichen zum Zwecke der späteren Aufrichtung.

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Abb. 4
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Abb. 5

Der seitliche Lippenstumpf wird danach vorgenäht, indem der Schleimhautrand an die Inzision im Vestibulum, an den unteren Rand des Kieferspaltverschlusses und am Inzisionsrand des großen Kieferstumpfes angeheftet wird ([ Abb. 6 ]). An der Basis der Kolumella wird der 2 mm lange Rückwärtsschnitt (back-cut) in sich vernäht, wodurch eine erweiterte Rotation des Lippenmittelteils bewirkt wird. Das innen am Nasenflügel gestielte dreieckige Läppchen wird mit seiner Spitze in den Einschnitt hinter der Kolumella eingenäht ([ Abb. 7 ]). Der mobilisierte Spitzenknorpel der Spaltseite wird durch eine perkutane U-Naht am vorderen Nasenlochwinkel zum Spitzenknorpel der gesunden Seite hochgenäht und über einen kleinen Tupfer auf der Nasenspitze fixiert.

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Abb. 6
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Abb. 7

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Lippenplastik bei doppelseitiger Lippenspalte

Ein linearer oder leicht bogenförmiger Verlauf der Lippennaht ergibt das ästhetisch beste Aussehen. Wenn immer möglich, sollte der Lippenverschluß auf beiden Seiten in einer einzigen Operationssitzung vorgenommen werden, weil die Symmetrie bei zweizeitigem Vorgehen schwerer erreichbar ist. Unvollständige Lippenspalten lassen sich stets einzeitig operieren. Bei vollständigen Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten steht dagegen der Zwischenkiefer trotz kieferorthopädischer Frühbehandlung gelegentlich noch so weit vor, daß beim Zusammenbringen beider Lippen in einer Operation eine zu große Spannung in Kauf genommen werden müßte. Um Heilungsstörungen zu vermeiden, ist zweizeitiges Operieren mit einer Pause von 8 Wochen vorzuziehen.

Entsprechend [ Abb. 8 ] erfolgt die Schnittführung zunächst am Prolabium, von dem ein 3 mm breiter sichelförmiger Anteil des Lippenrots an der Lippenhaut verbleibt. Die Kieferspalten werden mit dem in [ Abb. 2 ] und folgende für einseitige Totalspalten beschriebenen Zwischenkieferseptumlappen überbrückt. Sehr wichtig ist die Auffüllung des lückigen Lippenrots im Prolabium über dem Zwischenkiefer durch kräftige Lippenrotläppchen aus beiden seitlichen Lippenstümpfen. Zu ihrer Bildung wird das auslaufende Lippenrot zipfelförmig in dicker Schicht umschnitten.

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Abb. 8

[ Abb. 9 ] zeigt, wie das Lippenrotläppchen mit Hilfe der Schere gebildet wird, nachdem zuvor die Inzisionslinie mit dem Skalpell gelegt wurde. Es muß an seiner Basis dick genug sein, so daß sich bei der Schwenkung nach unten an der Umbiegungsstelle kein häßlicher Knick bildet.

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Abb. 9

In [ Abb. 10 ] ist der Kieferspalt vernäht entsprechend dem Vorgehen der [ Abb. 3 ] für einseitige Totalspalten. Das Lippenrotmittelteil wird so weit aufgespalten, wie es die Einlagerung des seitlichen Lippenrotläppchens nötig macht.

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Abb. 10

In [ Abb. 11 ] ist der Zustand nach der Naht dargestellt, wenn die Operation auf eine Lippenseite beschränkt werden muß. Man erkennt, daß die Auffüllung des Lippenrots in der Lippenmitte von einer Seite her noch nicht ausreichend ist.

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Abb. 11

Die Operation der zweiten Spaltseite wird in solchen Fällen 8 Wochen später ausgeführt. Sie entspricht genau der Operation auf der ersten Seite. Da das Prolabium aber in der Zwischenzeit zu dieser Seite hin verzogen wird, empfiehlt es sich, die Schnittführung für die zweite Spaltseite bereits bei Ausmessung der Lippe in der Erstoperation oberflächlich einzuritzen. Das im Lippenrot einzulagernde Lippenläppchen wird unter das zuerst eingenähte Läppchen genäht ([ Abb. 12 ]).

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Abb. 12

Aus: Kastenbauer E. R., Tardy jr., Eugene M. Ästhetische und Plastische Chirurgie an Nase, Gesicht und Ohrmuschel. 3., unveränd. Aufl. 2005.


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