Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2018; 25(04): 153-156
DOI: 10.1055/a-0644-0827
Kasuistik
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mefloquin: Totgesagte schaden länger

Mefloquine: the Doomed Keep Causing Damage
Burkhard Rieke
1   Tropen- und Reisemedizinische Praxis, Düsseldorf
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Publication Date:
16 August 2018 (online)

Anamnese

Nach vorheriger telefonischer Konsultation mit der behandelnden Kinder- und Jugendpsychiaterin wurde uns eine 12-jährige Patientin vorgestellt, die 4 Tage nach Rückkehr von einer 12-tägigen Reise in ein afrikanisches Malaria-Hochrisikoland, dem Herkunftsland eines der Elternteile, und einen Tag nach Einnahme der vierten Mefloquin-Prophylaxe-Dosis von wöchentlich 250 mg eine akute Psychose entwickelt hatte. Im Vordergrund standen dabei optische und akustische, aber auch taktile Halluzinationen und schwere Angstzustände, die eine kurzfristige stationäre Aufnahme, die Medikation mit Risperidon in ansteigender Dosierung und, wegen daraus resultierender Feinmotorikstörungen, Biperiden sowie die wochenlange Unterbrechung des Schulbesuchs erforderten. An weiteren Belastungsfaktoren, die die psychiatrische Pathologie beeinflussen könnten, wurden näher bezeichnete Reifungskonflikte und Partnerschaftskonflikte der Eltern diskutiert.

Beim Vorstellungstermin in der Praxis am Tag 61 ab Reisebeginn ([Tab. 1]) standen im Vordergrund eine fortbestehende, tendenziell weniger intensive, aber phasenweise akzentuierte Psychose mit optischen und akustischen Halluzinationen, Angstzustände und eine abendlich betonte Übelkeit, die zwischenzeitlich mit Ingwerpräparaten und Globuli behandelt wurde und zu einer Gewichtsabnahme von 57 auf 54 kg geführt hatte.

Tab. 1

Zeitleiste.

Reisetage

Medikamenteneinnahme / Symptome

Tag -6

Erste Dosis Lariam® 250 mg

Tag 0 Hinflug

Auf dem Flug 1 Vomex® Supp.

Tag 1

Zweite Dosis Lariam® 250 mg

Tag 9

Dritte Dosis Lariam® 250 mg

Tag 12

Abends Phenytoin 100 mg

Tag 13

Morgens Phenytoin 100 mg; Prednisolon unbekannte Dosis

Tag 14 Rückflug

Tag 17

Vierte Dosis Lariam® 250 mg

Tag 18

Beginn von Halluzinationen, Angstzuständen

Tag 40

Beginn Risperidon 0,5 mg 1-0-1

Tag 47

Risperidon 1 mg 1-0-1

Tag 54

Risperidon 1 mg 1-0-1,5 Akineton 2 mg 1-0-1

Tag 61

Mefloquinspiegel im Serum 244 µg/l

Die erweiterte Reiseanamnese ergab, dass die Patientin bereits 2007–2015 alle 2 Jahre im Zielland war und jeweils eine nach der Fachinformation gewichtsadaptierte prophylaktische Dosierung von Mefloquin ohne Zeichen von UAW erhalten hatte. Die jetzige Reise war die erste unter Erwachsenendosis. Das Mittel wurde regulär über eine öffentliche Apotheke in Deutschland besorgt. Auf dem Hinflug, der 2 Umstiege erforderte, hatte die nur von ihrer 2 Jahre älteren Schwester begleitete Patientin ein Vomex® Supp. zur Prophylaxe einer Kinetose angewandt. Im Reiseverlauf kam dann die Idee zu einem ersten Tauchgang auf, vor dem eine Tauchsport-Tauglichkeitsuntersuchung nicht abverlangt wurde. Am Ende des Übungstags im Pool und am Morgen des ersten Tauchgangs im Meer wurde von der Tauchbasis jeweils eine Dosis Phenytoin 100 mg zur Prophylaxe der Seekrankheit gegeben. Unter Wasser kam es zu starken Kopf- und insbesondere Ohrenschmerzen. Als deren Ursache stellten sich bei ärztlicher Untersuchung ein Trommelfellriss links und eine Einblutung rechts heraus, was systemisch mit der einmaligen Gabe einer unbekannten Dosis von Prednisolon und lokal links mit einer desinfizierenden Lösung behandelt wurde.

Vorerkrankungen, eine Vormedikation oder eine Suchtstoffexposition wurden nicht angegeben. Der Impfschutz war altersentsprechend bis auf die HPV-Impfung vollständig, reisebedingt waren zusätzlich aktuell eine Hepatitis-A-Impfung und im Alter von einem Jahr eine BCG-Impfung durchgeführt worden. Für eine Gelbfieberimpfung bestand keine Notwendigkeit.

Normalbefunde für EEG und MRT des Schädels lagen zum Vorstellungszeitpunkt vor. Eine HNO-Untersuchung bestätigte eine Trommelfellruptur links und eine Einblutung im rechten Mittelohr.

Befund:

  • 12,5-jähriges, jedoch älter wirkendes, ernstes Mädchen von 170 cm Länge und 54 kg Körpergewicht (BMI somit 18,7 kg/m2), mit psychomotorischer Verlangsamung und leicht eingeschränkter Schwingungsfähigkeit, zurückhaltend, kooperativ. Aktuell keine Halluzinationen, keine Angabe von Angst. Körperlicher Untersuchungsbefund unauffällig, auf die Wiedergabe von Details wird hier verzichtet.

  • Routinelabor mit Blutbild, Leber- und Nierenparametern, Urinstatus unauffällig. Mefloquinspiegel im Serum 244 µg/l.

  • Infektionsserologien (Indikationen hier nicht dargestellt): Negativ für anti-Hbs, Toxoplasmose, Schistosomiasis, Zysticerkose. Positiv für anti-HAV. 13C-Atemtest auf Helicobacter pylori negativ.

  • EKG: SR 55/min, eine SVES, Steiltyp, PQ mit 111 ms verkürzt, QTc mit 110% gering verlängert, keine ERBSt.

  • Serologien auf Enzephalitiserreger und Lumbalpunktion nicht durchgeführt wegen fehlender Entzündungszeichen im Labor und im kranialen MRT.