physiopraxis 2018; 16(07/08): 59-61
DOI: 10.1055/a-0603-1447
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Hannah Krappmann: mit 24 Jahren im Landesvorstand – „Weil ich mich engagiere, darf ich mich auch beschweren!“


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Publication Date:
20 July 2018 (online)

Hannah Krappmann (24) hat ihre Ausbildung am Uniklinikum in Mannheim absolviert, ist seit Oktober 2016 Physiotherapeutin und arbeitet in einer großen Praxis in Wiesloch. Bereits zum Ende des ersten Ausbildungsjahres trat sie dem Berufsverband Physio-Deutschland bei, weil es für sie nicht sein kann, dass dieser tolle und wichtige Beruf so wenig Anerkennung in der Medizinwelt erfährt. Das möchte sie mit ihrem Engagement ändern, denn sie ist davon überzeugt: Ohne eine starke Interessenvertretung mit Rückhalt von möglichst vielen Kollegen wird sich nichts ändern.

Im Juli 2015 wurde sie Juniorensprecherin von Baden-Württemberg, im November 2016 Bundesjuniorensprecherin und im April 2018 in den Vorstand des Landesverbands Baden-Württemberg von Physio-Deutschland gewählt.

Hannah, obwohl du vor Beginn der Ausbildung wusstest, dass die Rahmenbedingungen zum Teil starr sind und die Vergütung nicht besonders toll ist, hat dich das nicht abgeschreckt, Physiotherapeutin zu werden. Was motiviert dich dafür?

(lacht) Ruhiges Fahrwasser ist allgemein nichts für mich. Mein Anspruch war nicht, einen Beruf zu finden, der die perfekten Rahmenbedingungen bietet. Mir war wichtig, dass die Tätigkeit, die ich machen will, stimmt. Wenn man so will, eine ehrliche Arbeit mit viel Hintergrundwissen zu Anatomie und Physiologie. Und wo es durchaus Potenzial gibt, was zu verändern. Ich finde es reizvoll, mit der Physiotherapie Alternativen zu OPs oder Medikamenteeinschmeißen zu haben.

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ABB. 1 Nachwuchsarbeit. Schulbesuche liegen Hannah sehr am Herzen und gehören zu ihrer Aufgabe als Mitglied im Landesvorstand.
Abb.: J. Dusche [rerif]
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ABB. 2 Impulsgeberin. Bei einer Veranstaltung der Regiogruppe Freiburg sprach Hannah über die Nöte der Angestellten.
Abb.: R. Reiche [rerif]
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ABB. 3 Eines ihrer Vorbilder: Hannah Krappmann mit Schulleiterin Jutta Hinrichs
Abb.: J. Dusche [rerif]

Gibt es Menschen, die dich beruflich besonders geprägt haben?

Ja. In der Praxis, in der ich jetzt arbeite, war ich früher in Behandlung. Die Mentalität und Professionalität der beiden Inhaber haben mir gefallen.

Während der Ausbildung war dann Schulleiterin Jutta Hinrichs ein Vorbild für mich, weil sie mit so viel Herzblut bei der Sache ist. Trotz Streichung des Schulgeldes hat sie versucht, das Beste für uns Schüler herauszuholen. Und sie hat uns immer den Rücken gestärkt.

Du sagtest bei einer Podiumsdiskussion: „Junge Therapeuten, die nicht wie viele meiner Mitschüler vor Ausbildungsende das Handtuch schmeißen, werden oftmals in ihrer ersten Anstellung desillusioniert. Ausgebremst durch den Heilmittelkatalog, wird die Umsetzung des Erlernten weder inhaltlich noch zeitlich möglich – der Traumjob wird zur Fließbandarbeit.“ Hattest du mal überlegt, hinzuschmeißen?

Nein, hatte ich nie, weil ich die Praxis in Wiesloch als Ziel vor Augen hatte.

Also ist deine jetzige Stelle eine Traumstelle?

Auf jeden Fall. Die Rahmenbedingungen der gesetzlichen Kassen machen es uns nicht leicht. Doch dadurch, wie die Praxis organisiert ist und es doch einige Patienten gibt, die auf Selbstzahlerbasis die Behandlungszeit verlängern, ist die Behandlung auch mal länger als die mit den Kassen vereinbarten Behandlungsrichtzeiten. Da bin ich sehr froh darum. Wenn wir mehr Zeit haben, können wir anders therapieren, und es geht den Patienten schneller besser.

Du bist gerade mal 1,5 Jahre Physio und schon „Teamleitung Physiotherapie“ eines achtköpfigen Teams. Einige sind länger im Job als du. Bist du die geborene Führungskraft?

(lacht) Nein, das würde ich nicht sagen. Ich bin nicht die fachliche Leitung, sondern eher die Vermittlerin zwischen Team und Geschäftsführung. Organisatorische Dinge liegen mir, und ich habe, seit ich dort arbeite, immer wieder Verbesserungsvorschläge eingebracht. Das wichtigste ist die Zusammenarbeit im Team, und die funktioniert bei uns wirklich gut.

Die Teamleitung bringt den Vorteil mit sich, dass ich nicht 38,5 Stunden am Patienten arbeite, sondern mir 8–9 Stunden pro Woche für Organisation bleiben. Einmal in der Woche ist zum Beispiel Teamleitermeeting. Da setzen sich die Leiter aus Rezeption, Training und Therapie mit dem Geschäftsführer zusammen und besprechen, was aktuell ansteht. Einmal im Monat findet eine interne Fortbildung statt und ein Meeting mit allen Praxismitarbeitern. Da geht viel Zeit dafür drauf, aber dem Praxisinhaber ist es sehr wichtig, dass wir uns regelmäßig fortbilden und weiterentwickeln.

Lass uns zu deiner Vorstandstätigkeit kommen. Du bietest als Vorstand dienstags zwischen 19 und 20 Uhr eine Sprechstunde an. Was für Anfragen erreichen dich darüber?

Ich bin für den Angestellten-, Schüler- und Studentenbereich zuständig. Einige Angestellte wollen wissen: Was macht ihr aktuell für uns? Nichtmitglieder fragen: Warum sollte ich Mitglied werden?

Und was antwortest du dann?

Bei unserer Angestelltenumfrage von 2015 kam heraus, dass der Schuh der Angestellten am meisten bei der Vergütung drückt, an zweiter Stelle stand der Behandlungstakt. Da können wir von einem Erfolg sprechen, dass wir durch den Wegfall der Grundlohnsummenbindung aktuell höhere Vergütungen von bis zu 30 Prozent aushandeln konnten. Uns als Physio-Deutschland ist es dabei wichtig, dass die Erhöhung auch an die Praxisangestellten weitergegeben wird. Ich ermuntere auch die Angestellten, das einzufordern und in den Dialog mit den Praxisinhabern zu gehen.

Einige Angestellte haben von den Erhöhungen gar nichts mitbekommen. Als Verbandsmitglied bekommen sie alle wichtigen Nachrichten, sei es zu Preisverhandlungen oder Schulgeldfreiheit, über den wöchentlichen Newsletter auf dem Silbertablett serviert.

Was für Aufgaben erwarten dich sonst noch?

Alle 6 Wochen treffen wir uns in Stuttgart in der Geschäftsstelle zur Vorstandssitzung und besprechen anstehende Themen, aktuell den von einigen Mitgliedern wahrgenommenen Verordnungsrückgang in Baden-Württemberg. Wir leiten Maßnahmen ein, etwa die Kontaktaufnahme zum Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung, um bei dem Beispiel zu bleiben.

Zudem werden wir zu den Regionaltreffen eingeladen und informieren die Mitglieder über aktuelle Entwicklungen. Ich besuche zudem die Berufsfachschulen und stelle dort die Arbeit des Berufsverbandes vor. Das ist mir sehr wichtig.

Unter meiner Vorgängerin Silke Groß hat sich in Baden-Württemberg ein Netzwerk für Klinikleitungen gebildet. Ich möchte nun im Herbst ein Treffen für Angestellte ins Leben rufen und hoffe sehr, dass sich engagierte Angestellte melden, denn bislang war hier das Interesse an Verbandsarbeit eher gering. Mir ist wichtig zu erfahren, wo bei ihnen der Schuh drückt, um ja nichts zu übersehen.

Ist im Vorstand sein ein Ehrenamt?

Ich kriege dafür eine Aufwandsentschädigung, gerade auch für die Tage, die ich nicht in der Praxis sein kann. Ich bin ganze Tage oder Wochenenden weg, wenn beispielsweise Treffen mit den anderen Bundesländern stattfinden. Täglich müssen Mails beantwortet werden und ich bringe mich viel in sozialen Medien ein.

Bleibt da noch viel Zeit für dein Privatleben?

Ja, ich habe noch Zeit für meinen Freund, meine Freunde und meine Familie. Aber man lernt dadurch sehr, die Zeit zu intensivieren (lacht). Es gibt wenige bis gar keine Stunden in der Woche, in denen ich nicht weiß, was ich tun soll. Das finde ich aber angenehm. Ich bin nicht der Typ, der sich das ganze Wochenende aufs Sofa fläzen würde.

Mir macht die Verbandsarbeit unheimlich Spaß, und sie ist mir sehr wichtig. Dadurch, dass ich mich engagiere, darf ich mich auch beschweren, wenn etwas nicht richtig läuft. Nicht in Ordnung finde ich es, vom Sofa aus auf Facebook zu mosern und sonst kein bisschen initiativ zu werden.

Das Gegeneinanderarbeiten in der Branche muss aufhören.

Und wie bringst du dich ins Gleichgewicht?

Ich reise total gerne. Nach dem Abitur war ich ein Jahr in Australien und nach dem Examen mit meinem Freund 6 Wochen in Südafrika. Als Nächstes geht es mit dem VW-Bus nach Italien und dann kommendes Jahr nach Kanada.

Um mich körperlich fit zu halten, schaue ich, dass ich so oft wie möglich rausgehe, und ich mache gerne Fitness-Sport.

Du möchtest dich für bessere Arbeitsbedingungen für Angestellte einsetzen. Was muss sich unbedingt ändern? Und warum?

Die Vergütung muss sich noch weiter verbessern. Bei den 30 Prozent Vergütungserhöhung sehe ich uns noch nicht am Ende. Da muss noch ein ganzes Stück draufgepackt werden. Gleichzeitig darf aber nicht die Qualität leiden, indem die Behandlungszeiten immer weiter verkürzt werden. Die Kasse muss dafür bezahlen, was die Patienten wirklich brauchen. Und das sind i. d. R. mehr als 15–20 Minuten. Auch die Abschaffung der Zertifikate ist mir wichtig. Wir brauchen dringend die Novellierung der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, die uns in dieser Legislaturperiode auch zugesichert wurde. Hierbei können wir uns gut vorstellen, einige Zertifikate wie etwa die MLD in die Ausbildung zu integrieren.

Physio-Deutschland macht sich also stark für die Abschaffung der Zertifikatspositionen?

Uns wird ja immer vorgeworfen, dass wir uns über Fortbildungen finanzieren. Das ist falsch.

Gibt es noch etwas, das dir wichtig ist?

Ich wünsche mir, dass die ganze Branche mehr miteinander arbeitet und nicht gegeneinander. In den sozialen Netzwerken strömt einem manchmal ein richtiger Hass entgegen – gegen Verbände und deren Vertreter, die in Augen anderer vermeintlich nichts tun. Aktuell geht zum Beispiel die Protestaktion von Heiko Schneider und „Therapeuten am Limit“ in die richtige Richtung, der nicht einfach nur meckert, sondern aktiv wird (S. 7). Das bewundere ich sehr, und als Berufsverband unterstützen wir das natürlich!

Mich überraschte, dass alle Berufsverbände die Protesttour von Heiko Schneider unterstützten, die Demos aber weiterhin nicht.

Demonstrationen haben grundsätzlich eine Berechtigung. Als Berufsverband haben wir auch schon zu Demos aufgerufen. Derzeit konzentrieren wir uns aber auf gezielte Gespräche mit der Politik, planen aber auch eine verbändeübergreifende Kampagne, bei der die Patienten im Mittelpunkt stehen werden.

Was müsste passieren, dass du in fünf Jahren zurückschaust und sagst: „Wie gut, dass ich den Sprung in den Vorstand gewagt habe“?

Dass wir es schaffen, in Baden-Württemberg das Schulgeld komplett abzuschaffen und eine Therapeutenkammer einzurichten. Mir ist auch wichtig, die Abbruchquote in der Physiotherapieausbildung zu senken und die Physiotherapeuten in ihrem Beruf halten zu können. Ich möchte, dass die Physiotherapeuten zufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen sind und ihren Job dadurch gut machen können.

Das Gespräch führte Elke Oldenburg.