Diabetes aktuell 2018; 16(02): 41
DOI: 10.1055/a-0557-1648
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Typ-1-Diabetes – auch nach dem 30. Geburtstag und bis ins hohe Alter!

Peter Schwarz
1   Dresden
,
Antje Bergmann
1   Dresden
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Publication Date:
13 June 2018 (online)

Der Diabetes mellitus Typ 1 darf nicht als Krankheit angesehen werden, die sich immer im Kindes- oder im jungen Erwachsenenalter manifestiert. Kann bei neu erkannten Diabetespatienten mittleren Alters trotz einer raschen Therapieeskalation keine ausreichende Blutzuckerkontrolle erreicht werden, sollte man ebenfalls an einen Typ-1-Diabetes denken – insbesondere dann, wenn die Betroffenen zudem noch schlank und nicht übergewichtig sind. Interessanterweise gibt es mehr solcher Patienten als man vermuten möchte: Bei 4 von 10 Patienten, bei denen die Diabetesdiagnose im Alter zwischen 30 und 60 Jahren gestellt wird, liegt tatsächlich ein Diabetes mellitus Typ 1 vor, wie eine aktuelle Studie aus der Zeitschrift „Lancet Diabetes & Endocrinology“ nahelegt (Lancet Diabetes Endocrinol 2018; 6: 122–129; doi: 10.1016/S2213-8587(17)30362-5).

Klinisch unterschieden sich diese Typ-1-Diabetespatienten relativ klar von den Studienteilnehmern, bei denen ein Typ-2-Diabetes diagnostiziert werden konnte: Ihr Body-Mass-Index war deutlich niedriger (27 versus 32 kg/m²), sie wurden schneller insulinpflichtig (89 versus 6 % im ersten Jahr nach der Diabetesdiagnose), und sie mussten häufiger wegen einer Ketoazidose stationär behandelt werden (11 versus 0,3 %). Weniger eindeutig war die Differenzierung der beiden Gruppen über eine molekulargenetische Analyse des genetischen Risikoscores für die Entwicklung eines Typ-1-Diabetes. Auch wenn genetisch ein hohes Risiko ermittelt werden konnte, wiesen über 90 % dieser Diabetespatienten einen Typ-2-Diabetes auf. Ein hoher Risikoscore allein eignet sich also nicht dazu, die Diagnose ‚Diabetes mellitus Typ 1‘ zu stellen.

Doch auch wenn ein Typ-1-Diabetes erst im späteren Lebensalter manifest wird, ist dieser Diabetesphänotyp nicht „harmloser“ als ein Typ-1-Diabetes im Kindesalter, warnen die Studienautoren. Auch in diesem Fall benötigen die Patienten eine frühe Insulinisierung, und sie haben ein hohes Ketoazidoserisiko. Umso wichtiger ist es, den Blick auf einen möglichen „Late-onset“-Typ-1-Diabetes zu schärfen.

Korrekt diagnostiziert können Menschen mit einem Typ-1-Diabetes heute ein hohes Lebensalter erreichen, auch wenn ihre Lebenserwartung noch immer klar geringer ist als die von Stoffwechselgesunden. Mittlerweile sind hierzulande mehr als 100 000 Menschen mit Typ-1-Diabetes älter als 70 Jahre. Ärzte, Diabetesberater und Pflegende stehen damit vor neuen Herausforderungen: Biologisch ältere, multimorbide Menschen mit Diabetes benötigen spezielle Vorgehensweisen bei der Planung von Therapiezielen oder auch bezüglich der Pharmakotherapie.

Mit dem Blick auf unsere jungen Patienten gilt es wiederum, eine mögliche Erkrankung nicht nur frühzeitig zu erkennen und zu therapieren, um Betroffene möglichst lange vor Folgeerkrankungen und Komplikationen ihrer Stoffwechselstörung zu bewahren. Die Ziele sind inzwischen noch breiter gesteckt: Mit Studien wie TEDDY und Freder1k versuchen Forscherteams heute, ein potenzielles Diabetesrisiko frühzeitig und effektiv zu erkennen, um dann möglicherweise über eine immunwirksame Behandlung im Kleinkindalter die Zerstörung der Inselzellen und damit die Manifestation des Diabetes zu verhindern – beispielsweise über eine orale Gabe von Insulinpulver über die Nahrung (POInT-Studie) oder aber über die Applikation von intranasalem Insulin (PINIT-Stuide).

Dieses Schwerpunktheft unserer Diabetes aktuell gibt Ihnen die Möglichkeit, Ihr Wissen rund um den Typ-1-Diabetes zu prüfen und zu vertiefen, angefangen bei der Prävention über die Therapie bis hin zur modernen Typ-1-Diabetestherapie. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre!