Dialyse aktuell 2018; 22(02): 49
DOI: 10.1055/a-0550-5238
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das Gras auf der anderen Seite

Christian Schäfer
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Publication Date:
13 March 2018 (online)

Man kennt das Sprichwort: „Das Gras auf der anderen Seite des Hügels ist immer grüner“. Es impliziert bekanntermaßen, dass etwas, das man gerade nicht hat, immer besonders attraktiv und besser wirkt als das, was man derzeit besitzt. Nun kann man in diesem Zusammenhang fragen: Wie ist das eigentlich mit den Bedingungen in der Pflege in Deutschland im Vergleich z. B. zu Norwegen? Scheint es nur so, als ob es dort so viel besser zugeht, oder ist das tatsächlich so?

Hierzu lohnt es sich u. a., den Film von Alexander Jorde (Pflege-Azubi) und Nicole Rosenbach (freie Fernsehautorin) „Kranke Pflege – Alexander Jorde kämpft für einen Neustart“ anzuschauen. Wer ist das nochmal, Herr Jorde? Dies fragen sich jetzt vielleicht einige. Ganz einfach: Das ist der junge Mann, der in der ARD-Wahlarena im September 2017 vor der Bundestagswahl Dr. Angela Merkel (CDU) mit der Sachlage in der Krankenpflege konfrontierte – Sie haben wahrscheinlich davon gehört oder die Sendung selbst gesehen. Hierin brachte Jorde zur Sprache, dass in der bisherigen Amtszeit Merkels von 12 Jahren viel zu wenig für die Pflege getan worden und die Situation für die Pflegekräfte sowie die Patienten u. a. aufgrund von hohen Patienten-Personal-Schlüsseln deutlich schlechter ist, als es in Deutschland sein sollte und könnte. Merkel konnte die Kritik bezeichnenderweise nicht völlig entkräften und wirkte auch etwas unsicher bei der Faktenlage.

Was die oben angesprochene Dokumentation nun zeigt, ist zunächst eine beispielhafte Bestandsaufnahme der Situation der Pflege in deutschen Krankenhäusern: Überarbeitete Pflegekräfte, ein hoher Krankenstand, eine suboptimale Versorgung der Patienten bis hin zu potenziellen Gefährdungssituationen, Frustrationen, Zeitmangel, ein frühzeitiges Ausscheiden aus dem Beruf etc. prägen das Bild.

Dann der Schwenk nach Norwegen – Jorde wirkt trotz seiner offensichtlichen Beschäftigung mit der Thematik überrascht, wie paradiesisch es dort tatsächlich zugeht. Es scheint fast zu schön, um wahr zu sein: Eine Vollzeitstelle ist mit 33,5 Stunden definiert. Zudem sind Pflegekräfte so üppig vorhanden, dass sie sich intensiv mit den Patienten beschäftigen können und somit eine möglichst optimale Heilung und/oder Begleitung der Patienten erleichtert ist. Dies zieht eine Zufriedenheit mit der Arbeit nach sich. Außerdem wird bei Krankheitsfällen standardmäßig ein großer Wert darauf gelegt, dass die betroffenen Kollegen/-innen schnell und adäquat aus einem Personal-Pool vertreten werden. Hierarchien sind im norwegischen Gesundheitssystem weniger ausgeprägt als in Deutschland und es scheint generell eine größere Wertschätzung des Pflegeberufes zu herrschen – auch über eine bessere Bezahlung. Jorde unterhält sich u. a. mit einer Pflegerin, die nach Norwegen ausgewandert ist und es sich nicht vorstellen kann, unter den aktuellen Bedingungen in der Pflege wieder in Deutschland zu arbeiten. Kein Wunder, denkt man sich hierbei nur!

Es gibt also noch viel zu tun bzgl. der Pflege in Deutschland, die Weichen für die Zukunft sind nun zu stellen – gute Vorbilder gibt es genügend! Zumindest haben nun Spitzenpolitiker innerhalb der Bemühungen rund um die Bundesregierungsbildung weitere Maßnahmen diskutiert. Ein Anfang? Ja, aber es muss noch viel mehr kommen. Denn das Gras auf der anderen Seite des Hügels ist derzeit wirklich grüner.

Mit der Zukunft beschäftigt sich auch der Schwerpunkt der vorliegenden Ausgabe der Dialyse aktuell: Die Entwicklung der Nephrologie – vornehmlich aus ärztlicher Sicht – wird hier näher beleuchtet. Die Beiträge hierzu und auch die anderen Artikel in diesem Heft kann ich Ihnen wärmstens zur Lektüre empfehlen.