Der Schmerzpatient 2018; 1(03): 108-109
DOI: 10.1055/a-0373-7914
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Fettdegeneration der Multifidus-Muskulatur und lumbale Dysfunktion

Markus Hildebrandt
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Publication Date:
10 July 2018 (online)

Zusammenfassung der Studie

Hintergrund

Seit 25 Jahren werden pathologische Veränderungen der lumbalen paravertebralen Muskulatur in zahlreichen Studien nachgewiesen. Die Veränderungen betreffen ausschließlich die Multifidus-Muskulatur: Muskelgewebe degeneriert und wird durch Fettgewebe ersetzt. Die pathophysiologischen Mechanismen, die zur fettigen Degeneration der Multifidus-Muskulatur führen, sind nicht genau bekannt. Als mögliche Ursachen werden sensomotorische Störungen bzw. neuropathische Schmerzmechanismen vermutet.

Vor allem Patienten mit chronischen Rückenschmerzen weisen in den Segmenten L3–L5 einen signifikant höheren Anteil fettig degenerierter Multifidus-Muskulatur auf als gesunde und schmerzfreie Personen. Dabei korreliert Übergewicht bzw. ein hoher Körperfettanteil nicht mit dem Ausmaß der fettigen Degeneration. Ob eine Degeneration der Multifidus-Muskulatur die Funktionalität der lumbalen Wirbelsäule verändert oder limitiert, wurde bis dato noch nicht untersucht. Die Multifidus-Muskulatur ist wichtig für die aktive Stabilisation der lumbalen Wirbelsäule.


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Ziel

Ziel der Studie war es, den Zusammenhang zwischen lumbaler Dysfunktion und fettiger Degeneration der Multifidus-Muskulatur zu untersuchen.


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Methodik

Design Querschnittstudie

Ein- und Ausschlusskriterien Für die Studie rekrutiert wurden 42 Patienten im Alter zwischen 20 und 75 Jahren mit lumbalen Rückenschmerzen und aktuellen MRT-Bildern der LWS. Von allen Patienten wurden Alter, Geschlecht, Schmerzdauer sowie der Body-Mass-Index (BMI) erfasst. Als Ausschlusskriterien galten Operationen an der lumbalen Wirbelsäule, neurologische Störungen der unteren Extremitäten, rheumatoide Grunderkrankungen, Tumor- und Infektionserkrankungen, Fettleibigkeit (BMI ≥ 35) sowie Schmerzzustände, die eine Untersuchung nicht zuließen.

MRT-Beurteilung Bei allen Probanden analysierte ein unabhängiger Gutachter die axialen, T1-gewichteten MRT-Bilder der Segmente L3–L5. Anhand des Muskel-Fett-Verhältnisses der Multifidus-Muskulatur wurden die Patienten in 3 Gruppen eingeteilt: Grad 0 entsprach einem Multifidus-Fettanteil von 0 – 10%, Grad 1 einem Fettanteil zwischen 10 und 50%, bei Grad 2 war mehr als die Hälfte der Multifidus-Muskelmasse verfettet. Bezüglich der Messresultate der Funktionsprüfung war der Gutachter verblindet.

Messungen Als lumbale Dysfunktion wurden Einschränkungen von lumbaler Beweglichkeit und Körperwahrnehmung, lumbaler Bewegungs- und Haltungskontrolle sowie die selbsteingeschätzte funktionelle Behinderung definiert.

Zur Bestimmung individueller lumbaler Dysfunktionen wurden alle Patienten anhand eines standardisierten Testprotokolls untersucht. Die lumbale Beweglichkeit in maximaler Flexion und Extension wurde mittels SpinalMouse gemessen, die Haltungskontrolle mittels Armvorhaltetest nach Matthiass bestimmt, wobei jegliche Veränderung der Wirbelsäulenhaltung unter Belastung erfasst wurde. Zur Beurteilung der lumbalen Bewegungskontrolle wurden die gängigen Bewegungskontrolltests verwendet. Die Körperwahrnehmung wurde via Zwei-Punkte-Diskrimination des lumbalen Rückens gemessen. Zur Erfassung der vom Patienten selbsteingeschätzten funktionellen Behinderung diente der Oswestry Disability Index (ODI).


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Ergebnisse

Alle 42 Patienten konnten getestet werden: 19 Frauen im Durchschnittsalter von 47 Jahren sowie 23 Männer im Durchschnittsalter von 40 Jahren. Nahezu 70% der Patienten klagten über seit mehr als 12 Wochen bestehende chronische Rückenschmerzen, während die übrigen Probanden unter akuten Rückenbeschwerden litten. Bei 85% aller untersuchten Patienten konnte eine fettig degenerierte Multifidus-Muskulatur nachgewiesen werden.

Das Alter der Patienten korrelierte mit dem Anteil fettig degenerierter Multifidus-Muskulatur (p = 0,025). Frauen wiesen einen höheren Grad an fettiger Degeneration der Multifidus-Muskulatur auf als Männer (p = 0,0019).

Bei chronischen Rückenschmerzpatienten konnte ein signifikant höherer Anteil fettig degenerierter Multifidus-Muskulatur festgestellt werden als bei Personen mit akuten Rückenschmerzen (p = 0,043). Der BMI hatte keinen Einfluss auf den Grad der fettigen Degeneration.

Es konnten zwar keine Zusammenhänge zwischen fettiger Degeneration der Multifidus-Muskulatur und Einschränkungen von lumbaler Bewegungs- und Haltungskontrolle, Körperwahrnehmung und den ODI-Werten nachgewiesen werden, allerdings korrelierte der Grad der fettig degenerierten Mm. multifidi signifikant mit einer eingeschränkten lumbalen Flexion (p = 0,032). Mit zunehmender degenerierter Multifidus-Muskulatur nahm die lumbale Flexion ab – vor allem zwischen Grad 1 und Grad 2.

Die Effektmoderatoren Alter, Geschlecht, Schmerzdauer und BMI hatten keinen Einfluss auf die Korrelation zwischen Fettdegeneration der Multifidus-Muskulatur und eingeschränkter lumbaler Flexion.


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Schlussfolgerung

Eine fettige Degeneration der Mm. multifidi imponiert in erster Linie bei chronischen Rückenschmerzpatienten, findet sich aber auch bei akuten Rückenschmerzpatienten sowie bei symptomfreien Personen.


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