Gesundheitswesen 2008; 70(8/09): 541-549
DOI: 10.1055/s-2008-1081207
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Einstellungen zu einer gerechten Organallokation

Ergebnisse einer VignettenanalyseFairness Judgements on the Allocation of Organ DonationsResults of a Factorial SurveyC. Gross 1 , P. Kriwy 1
  • 1Institut für Sozialwissenschaften/Soziologie, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
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Publication Date:
10 September 2008 (online)

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Zusammenfassung

Ziel der Studie: Das Thema Organallokation gewinnt auch im öffentlichen Diskurs zunehmend an Brisanz. Der Hauptgrund hierfür liegt in der fehlenden Spendebereitschaft – gerade auch in der deutschen Bevölkerung – und damit dem Fehlen von Organen. Nach welchen Kriterien das knappe Gut Organ verteilt werden soll, möchte dieser Beitrag aus alltagsweltlicher Sicht untersuchen.

Methodik: Mittels Vignettenanalyse wurden studentische Probanden dazu aufgefordert, fiktiven Organaspiranten mit variierenden Merkmalen einen Platz auf einer Warteliste für Organempfänger zuzuweisen.

Ergebnisse: Mehrebenenanalysen zeigen, dass Personen mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit und hoher Dringlichkeit einer Transplantation bevorzugt werden, ebenso wie jüngere Personen und Organempfänger, die für Kinder im gleichen Haushalt verantwortlich sind. Keinen Einfluss bewirken das Geschlecht, der Familienstand und Kinder der Organempfänger, die nicht im gleichen Haushalt wohnen. Neben Vignettenmerkmalen wurden auch die Einflüsse von Befragtenmerkmalen untersucht. Ältere Probanden vergeben eher vordere Wartelistenplätze. Es wurden allerdings keine fiktiven Personen bevorzugt, die hinsichtlich Alter, Geschlecht und Gesundheitsstatus den Befragten ähnlich sind (Homophiliethese).

Schlussfolgerungen: Auch wenn die als legitim anerkannten Verteilungskriterien von Spenderorganen ausschließlich medizinische oder als weitgehend medizinisch indizierte Kriterien umfassen, so konnte gezeigt werden, dass medizinische Laien bei der Vergabe von Warteplätzen für Spenderorgane dennoch über diese Kriterien deutlich hinausgehende Aspekte berücksichtigen. Insgesamt agieren die Probanden nach erstaunlich rationalem Kalkül. Sie optimieren nicht nur die Chance auf einen erfolgreichen Eingriff, sondern auch die vermutete Überlebensdauer der fiktiven Patienten.

Abstract

Objective: Organ donation is widely discussed due to the lack of willingness among the public to be an organ donor and the resulting lack of organs destined for organ procurement. Criteria for the allocation of organs are analysed here from the view of laypersons.

Methodology: In a factorial survey, graduate students have been challenged to waitlist a fictive population of organ recipients.

Results: The results of the multi-level analysis show that recipients with a high chance of survival and a high level of acuteness are favoured together with young recipients and people with children living in the same household. The attributes gender, marital status and children living outside the household of the organ recipients have no effect. In addition to factorial attributes, characteristics of the respondents have been analysed as well. Older respondents distribute more favourable places on the waiting list. Fictive recipients similar to the respondents (due to relative same age, gender and health status) were not preferred by the interviewees.

Conclusions: Even if official criteria for the allocation of organs account for medical or predominantly medical aspects, the results of the survey show that laypersons have further considerations in mind. In general, laypersons adjudicate organ procurement in a completely rational way. They maximise successful interventions and the survival time of the fictive patients.

Literatur

Korrespondenzadresse

Dipl.-Soz. C. Gross

Institut für Sozialwissenschaften/Soziologie

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Westring 400

24098 Kiel

Email: cgross@soziologie.uni-kiel.de