Soll- und Ist-Zustand bei der Versorgung von Alzheimer-Patienten sind auch heute noch
weit voneinander entfernt. Nationale und internationale Fachgesellschaften, wie die
Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), die Deutsche Gesellschaft
für Neurologie (DGN) sowie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
(IQWiG) bestätigen den klinischen Nutzen von Acetylcholinesteraseinhibitoren (AchI).
Nach den Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie (www.dgn.de) gilt:
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Die dauerhafte Behandlung mit Acetylcholinesteraseinhibitoren (AChI) gilt als evidenzbasierte
Therapie der 1. Wahl bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Erkrankung.
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AChI sind wirksam, auch in der Einschätzung durch unabhängige Institute wie die Cochrane
Collaboration und Gremien mit Regierungsauftrag, wie IQWiG und NICE.
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Der Nutzen ist umso größer, je früher mit der Behandlung begonnen wird.
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Jeder Patient sollte auf die maximal verträgliche Dosis eingestellt werden.
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Zu jedem beliebigen Zeitraum profitieren behandelte gegenüber unbehandelten Patienten
von der Therapie.
Die Behandlungsrealität sieht jedoch leider anders aus. Nur jeder vierte Demenzpatient
(26%) in Europa erhält ein Antidementivum [1]. Die Wahrscheinlichkeit ein Antidementivum zu erhalten, sinkt mit zunehmendem Alter.
Dabei sprechen die Studienergebnisse eine klare Sprache. Auf den Ebenen von Kognition
und Pflegebedürftigkeit, über die sich nach einer EMNID-Umfrage aus dem Jahr 2006
die Patienten am meisten Sorgen machen, liegen deutliche Ergebnisse vor. Nach einer
Metaanalyse des National Institute for Clinical Excellence (NICE) von Studien über
den Effekt von Cholinesterasehemmern auf die Kognition, zeigt sich insbesondere für
Galantamin eine gute Wirksamkeit in allen Schweregraden [2]. Auch zu weiteren patientenrelevanten Eckpunkten wie Alltagsaktivität, Verbesserung
psychopathologischer Symptome, Betreuungsaufwand und Lebensqualität der betreuenden
Angehörigen liegen evidente Daten vor. So verringert sich die erforderliche Pflegezeit
bei mittelschwerer Demenz unter Galantamin pro Tag und Patient im Durchschnitt um
121 Minuten [6]. Den hohen Nutzen von Galantamin bestätigt auch das IQWiG in seiner Stellungnahme
zur Bewertung der
Acetylcholinesterasehemmer. Eine positive Wirkung auf psychopathologische Symptome,
Lebensqualität der (betreuenden) Angehörigen und Betreuungsaufwand wurden dabei einzig
für Galantamin festgestellt (Tab. [1]).
Abb. 1 Metaanalyse von NICE: Galantamin hat in der Verhinderung des Kognitionsabbaus
die Nase vorn
Abb. 2 Langzeitdaten zur Änderung der Kognition unter Galantamin
Tab. 1 Nutzenbewertung von Galantamin für Patienten und Angehörige
Als Ursache für den Vorteil von Galantamin gegenüber anderen AChIs wird der duale
Wirkmechanismus von Galantamin diskutiert. Neben der Hemmung der Acetylcholinesterase
moduliert Galantamin auch die nikotinergen Rezeptoren und erleichtert so die neuronale
Signalweiterleitung. Die Empfindlichkeit dieser Rezeptoren wird erhöht und damit die
Freisetzung von Glutamat verstärkt, das Lernen und das Gedächtnis werden verbessert
[2].
Erhalt der Kognition
Erhalt der Kognition
Raskind et al. veröffentlichten bereits in 2000 die Ergebnisse einer sechsmonatigen,
doppelblinden, placebokontrollierten Studie bezüglich eines Effektes von Galantamin
auf die Kognition an 636 Patienten mit einer leichten bis mittelschweren Alzheimer-Erkrankung.
Bei Studienende war der Unterschied zwischen Verum- und Placebogruppe auf der ADAS-cog/11-Subskala
(11-Item AD Assessment Scale cognitive subscale) signifikant gegenüber Placebo (p
< 0,001) [3]. Die Studie wurde danach offen weitergeführt. Mittlerweile liegen die Daten auch
aus anderen offenen Fortsetzungsstudien bis zu vier Jahren vor, welche die Wirksamkeit
von Galantamin auf die Kognition bestätigen [4].
Letztes Jahr stellte Prof. Elio Scarpini, Mailand, auf dem 17th Meeting of the European Neurological Society (ENS) die ersten Daten einer über zwei
Jahren laufenden placebokontrollierten Studie zur Kognition vor (Abb. [2]) [5]. Die italienische Untersuchung schloss 254 Patienten mit leichter bis mittelschwerer
Alzheimer-Erkrankung ein. Zunächst erhielten diese in einer offenen Phase 16mg/d Galantamin
für 12 Monate. Anschließend wurden die Responder randomisiert mit Galantamin oder
Placebo weiterbehandelt. 176 Patienten beendeten die offene 12-Monatsphase. Davon
wurden 139 Patienten (80%) als Responder identifiziert und in der doppelblinden Phase
randomisiert (n = 76 unter Galantamin, n = 63 unter Placebo).
Die Studie wurde abgebrochen, wenn ein Patient eine Verschlechterung von 4 Punkten
auf der ADAS-cog/11-Subskala erreichte. Während der zweijährigen Therapiedauer war
dies nach sechs Monaten nur bei einem Patienten (1,3%) in der Galantamingruppe bzw.
sieben Patienten (11%) in der Placebogruppe der Fall. Insgesamt erreichten die Patienten
der Galantamingruppe diesen Endpunkt erst nach durchschnittlich 726 Tagen, die Patienten
der Placebogruppe bereits nach 552 Tagen (p < 0,05). Eine relevante Verschlechterung
der Kognition konnte also nachweislich um rund sechs Monate durch die Galantamintherapie
verzögert werden (Tab. [1]).
Eine Metaanalyse des NICE zeigte die Verlangsamung des kognitiven Abbaus (ermittelt
mit dem Mini-Mental-Status-Test, MMST) in allen Schweregraden unter Galantamin auch
im Vergleich zu den anderen AChIs (www.nice.org.uk). In schweren Demenzstadien verbesserten sich die Patienten unter Galantamin sogar
um 6,1 Punkte auf der ADAS-cog/11-Subskala im Vergleich zu den Ausgangswerten (Abb.
[1]).
Galantamin - sichtbare Wirksamkeit
Galantamin - sichtbare Wirksamkeit
Die Wirksamkeit von Galatamin kann in bildgebenden Verfahren wie der funktionellen
Magnetresonanztomografie (fRMT) auch direkt beobachtet werden. Mit dieser Methode
können kortikale metabolische Störungen und Aktivierungsdefekte sichtbar gemacht werden.
Patienten mit Alzheimer-Demenz weisen im Vergleich zu gesunden Kontrollgruppen eine
regionale Verlangsamung des kortikalen Stoffwechsels auf.
Nach einer Pilotstudie von Dr. Arun Bokde, München, und Mitarbeiter kann auch direkt
mittels fMRT beobachtet werden, dass Galantamin diese Aktivierungsdefekte wieder verbessert.
Die Untersucher behandelten Alzheimerpatienten über drei Monate mit Galantamin (Reminyl®)
und nahmen jeweils vor und nach dem Behandlungszeitraum ein fMRT der Patienten auf.
Während der Aufnahme stellten sie den Probanden dabei unterschiedliche Aufgaben (z.B.
die Lokalisation von Bildern zu vergleichen). Bei diesem Lokalisationsvergleich fielen
vor der Behandlung die Aktivierungsmuster der Patienten deutlich geringer aus als
bei der gesunden Kontrollgruppe. Nach drei Monaten entsprachen dagegen die fRMT-Aufnahmen
bei diesem Versuch denen von Gesunden.
Dr. Katrin Wolf, Eitorf
Quelle: Bokde A. Vortrag "Wirksamkeit sichtbar gemacht in fMRT" im Rahmen des Symposiums
"Alzheimer Demenz: Rezeptoren, Bilder, Patienten", veranstaltet von der Janssen-Cilag
GmbH, Neuss, auf der 52. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie
und funktionelle Bildgebung (DGKN) am 10. April 2008 in Magdeburg