Einleitung
Das Cowden-Syndrom wurde erstmalig von Lloyd und Dennis 1963
beschrieben und nach der ersten Patientin benannt [1].
Charakteristisch ist das Auftreten von bestimmten Hautveränderungen,
Schilddrüsenerkrankungen und Mammopathien sowie das erhöhte Risiko
der Malignomentstehung. Histologisch finden sich Hamartome sowohl der Haut als
auch des Gastrointestinaltraktes. Es konnte ein defektes Tumorsuppressorgen als
Ursache des Cowden-Syndroms identifiziert werden. Wir berichten nachfolgend
über eine 56-jährige Patientin mit einem Schilddrüsenkarzinom in
der Anamnese sowie charakteristischen HPV-negativen Fibropapillomen der
Unterlippe und Mundschleimhaut.
Fallbericht
Anamnese
Eine 56-jährige Patientin bemerkte seit mindestens zehn
Jahren warzenartige Hautveränderungen mit sukzessivem
Größenwachstum an der Unterlippe. Die Hautveränderungen
verursachten keine Beschwerden. Bei der Patientin war vor über 10 Jahren
ein Schilddrüsenkarzinom festgestellt und konsekutiv eine Thyreoidektomie
durchgeführt worden. An weiteren Nebendiagnosen bestanden ein
metabolisches Syndrom mit Diabetes mellitus Typ II NIDDM, Adipositas und
arteriellem Hypertonus. Die Familienanamnese war in Bezug auf Haut- und
Erbkrankheiten leer.
Hautbefund
Es zeigten sich an der linken Hälfte der Unterlippe
(Außenseite und enoral) Beete von verrukösen, zerklüfteten
Papeln. An der buccalen Mundschleimhaut fanden sich beiderseits vereinzelte
Papeln ([Abb. 1] u. [2]). Nebenbefundlich fielen eine ausgeprägte Lingua
plicata ([Abb. 2]) und axillär beidseits eine
Akanthosis nigricans mit ausgedehnter Papillomatose auf ([Abb. 3]).
Abb. 1 Beetartige,
verruziforme Papeln der Unterlippe.
Abb. 2 Mehrere Papeln der
Mundschleimhaut buccal sowie ausgeprägte Lingua plicata.
Abb. 3 Acanthosis nigricans
sowie multiple pendulierende Fibrome.
Histologie
Zur Diagnosesicherung führten wir Probeexzisionen an Lippen-
und Wangenschleimhaut durch, deren histologische Begutachtung Fibropapillome
zeigten. Die Präparate wiesen eine korbgeflechtartige Orthokeratose,
geringgradige Akanthose, lockeres koriales Bindegewebe, vermehrte Anschnitte
von dilatierten kapillären Blutgefäßen mit geringgradig
entzündlichen Infiltraten aus Lymphozyten und Histiozyten perivaskular
auf. Stellenweise lag eine kompakte Parakeratose vor. Es fanden sich
Einlagerungen eines zellreichen Entzündungsexsudates mit zahlreichen
Neutrophilen. In der PAS-Spezialfärbung fand sich kein Nachweis von
Pilzelementen. Jegliche Adnexstrukturen fehlten. Die Probe einer Papel der
Wangenschleimhaut wurde mittels PCR auf HPV-DNA untersucht – das Ergebnis
war negativ.
Koloskopie
In der rechten Flexur zeigte sich ein ca. 10 mm
großer Polyp. Im gesamten Kolon mit Betonung im Rektum stellten sich
multiple, mehr oder weniger große Polypknospen dar ([Abb. 4]).
Abb. 4 Koloskopie mit
Nachweis mehrerer Polypknospen.
Labor
Unauffällig bzw. altersentsprechend waren
Differenzialblutbild, Leber-/Nierenparameter, Blutzucker, CRP, die Tumormarker
CEA, CA15 – 3, CA 19 – 9 und CEA.
Diagnose, Therapie und Verlauf
Die klinischen Befunde und das Schilddrüsenkarzinom in der
Eigenanamnese waren gut vereinbar mit einem Cowden-Syndrom. Die Diagnose
stellten wir anhand der modifizierten Kriterien nach Salem und Steck
[20]
[23]. Die Fibropapillome der
Unterlippe wurden mittels Laserablation entfernt. Röntgen des Thorax und
Sonografie des Abdomens zeigten keinen Hinweis für Malignität. Einer
neurologischen Untersuchung sowie einer kranialen Computertomografie wollte
sich die Patientin nicht unterziehen. Wir stellten die Patientin zur
genetischen Familienberatung vor und empfahlen regelmäßige
Krebsvorsorgen, insbesondere auf dem gynäkologischen Fachgebiet.
Besprechung
Beim Cowden-Syndrom handelt es sich um einen Symptomkomplex mit
individuell unterschiedlicher klinischer Ausprägung [2]. Als histologische Gemeinsamkeit der Veränderungen
lassen sich Hamartome nachweisen, die allen drei Keimblättern entspringen
können, weshalb das Cowden-Syndrom auch als Multiples Hamartom-Syndrom
bezeichnet wird [3]. Führende Symptome sind
charakteristische Hautveränderungen, Mammo- und Thyreoidopathien. Bei
80 % der Patienten treten pathognomonische oder weniger
spezifische Hautveränderungen auf [4]. Die
charakteristischen Hautveränderungen werden als mukokutane gefurchte
Papeln im Gesichtsbereich, vor allem periorbital und enoral (wie im
dargestellten Fallbeispiel), akrale papulöse Keratosis an Hand- und
Fußrücken und Tricholemmome und Trichoepitheliome im Gesichtsbereich
definiert [5]. An weniger spezifischen
Hautveränderungen finden sich gehäuft die Lingua plicata, Lipome,
Xanthome, Café-au-lait-Flecken, Vitiligo und andere Läsionen
[6]
[7].
Die häufigsten extrakutanen Manifestation des Cowden-Syndroms
sind Thyreoidopathien bei ca. 2/3 der Betroffenen, wie z. B.
follikuläre Adenome [8], sowie Mammopathien bei ca.
der Hälfte der Patienten vorkommend [9]. Auch
intestinale, meist asymptomatische Hamartome [10],
treten auf und sind zumeist in Kolon und Rektum lokalisiert [11]. Histologische Kennzeichen der intestinalen Hamartome
sind eine hohe Anzahl von normotypischen Drüsen mit mukoidem Inhalt,
ödematöse und entzündliche Veränderungen der Lamina propria
und lymphoplasmazelluläre Infiltration [12]. Ebenso
wurden neurologische Veränderungen beobachtet (z. B. Makrozephalien
und das Lhermitte-Duclos-Syndrom). Letzteres ist ein seltenes, benignes
dysplastisches zerebelläres Gangliozytom, das beim Cowden-Syndrom
öfter beobachtet wird [13]. Auch
otolaryngologische, opththalmologische, gynäkologische, renale und
kraniomaxillofaziale Manifestationen sind beschrieben worden
[14]. Besondere Bedeutung für die Prognose hat die
hohe Prävalenz von Karzinomen. Bei 1/3 der Patienten treten
Mamma-Karzinome zumeist beidseitig auf. Bei immerhin 12 % der
Patienten werden Schilddrüsenkarzinome beobachtet [15]
[16]. Auch Tumore des
Gastrointestinaltraktes, Nierenkarzinome, Ovarial-Karzinome,
Endometriumkarzinome und Hauttumore (z. B. Merkelzell-Karzinom) werden
gehäuft beobachtet [14].
Es sind fast nur Kaukasier (95 %) und überwiegend
(60 %) Frauen betroffen [17]. Zumeist
manifestiert sich die Erkrankung in der 3. oder 4. Lebensdekade
[16]. Obgleich ein autosomal-dominanter Erbgang
vorliegt, findet sich nur in 10 – 15 % der
Fälle eine familiäre Häufung [12]. Die
Prävalenz wurde vor Identifikation des Gendefektes zunächst auf
1 : 1 000 000 geschätzt und aktuell mit
1 : 200 000 angegeben, liegt jedoch wahrscheinlich noch
höher [3]
[18]
[19]. Zugrunde liegt ein defektes PTEN-Gen auf 10q23.3
(„Phosphatase und Tensin Homolog-Gen”), das als
Tumorsuppressorgen fungiert [20]. Das Genprodukt ist
eine PI3-Phosphatase, welche die Zellproliferation kontrolliert. Ein Verlust
der PTEN-Genfunktion kann bei vielen menschlichen Karzinomarten gefunden werden
[21]. Derselbe Defekt liegt auch bei der juvenilen
Polyposis des Darms und beim Bannayan-Riley-Ruvalcaba-Syndrom vor, einer
ebenfalls autosomal-dominant vererbten Genodermatose [20]
[22]. Das Cowden-Syndrom und das
Bannayan-Riley-Ruvalcaba-Syndrom weisen eine teilweise überlappende
Symptomatik auf: Die klassischen Triade des Bannayan-Riley-Ruvalcaba-Syndroms
besteht aus Makrozephalie, genitaler Lentiginose und – analog zum
Cowden-Syndrom – intestinaler Polyposis [23]. Auch
verruca-ähnliche Hautveränderungen im Gesichtsbereich sind bei beiden
Syndromen beschrieben worden [23].
Die Diagnosestellung des Cowden-Syndroms erfolgt modifiziert nach
Salem und Steck [20]
[24] anhand
von klinischen Kriterien. Es werden pathognomonische Hautläsionen,
Major-Kriterien und Minor-Kriterien differenziert ([Tab. 1]). Die Diagnose kann bei folgenden
Konstellationen gestellt werden:
-
Vorhandensein von pathognomonischen Läsionen:
a)
mindestens 6 faziale Papeln, davon mindestens 3 Tricholemmome
b)
faziale Papeln und enorale mukosale Papillomatose
c) enorale mukosale
Papillomatose und akrale Keratose
d) mindestens 6 palmoplantare
keratotische Läsione
-
Vorhandensein zweier Major-Kriterien, davon eines Makrozephalie
oder Lhermitte-Duclos-Syndrom
-
Vorhandensein eines Major-Kriteriums und dreier
Minor-Kriterien
-
Vorhandensein von vier Minorkriterien
Bei direkten Verwandten eines betroffenen Patienten kann die
Diagnose bereits gestellt werden bei einer der folgenden drei
Konstellationenen:
-
Vorhandensein von mukokutanen pathognomonischen
Läsionen
-
Vorhandensein eines Major-Kriteriums
-
Vorhandensein von zwei Minor-Kriterien
Tab. 1 Diagnostische Kriterien
für das Cowden-Syndrom.
Pathognomonische
Läsionen
|
Major-Kriterien
|
Minor-Kriterien
|
Faziale
Tricholemmome Akrale Keratose Papillomatöse
Papeln Mukosale Läsionen
|
Mammakarzinom Thyreoidkarzinom (meist
follikulär) Endometriumkarzinom Lhermitte-Duclos-Syndrom Makrozephalie
|
Andere thyroidale
Erkrankungen Mentale Retardierung Intestinale
hamartomatöse Polypen Fibrozystische
Mastopathie Lipome Fibrome Urogenitale
Tumoren Urogenitale Malformationen Lingua plicata
|
Aufgrund der hohen Prävalenz von Malignomen kommen
gründlichen Vorsorgeuntersuchungen eine besonders große Bedeutung
zu. Empfohlen werden jährliche gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen,
zumindest initial Schilddrüsenuntersuchungen und initial dermatologische
Vorsorgeuntersuchungen sowie Koloskopien. Des Weiteren besteht die
Möglichkeit, genetische Beratung und Familienuntersuchungen
durchzuführen.