Infektionskrankheiten, die mit der Patientenversorgung assoziiert sind, so genannte
nosokomiale Infektionen (NI), stellen ein großes gesundheitspolitisches Problem dar.
In Deutschland traten im Jahre 2006 ca. 400 000 – 600 000 nosokomiale Infektionen
auf; bei ca. 10 000 – 15 000 Patienten waren sie Todesursache [1]. In zunehmendem Maße werden NI durch antibiotikaresistente Erreger verursacht. Allein
durch Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) kam es in Deutschland im
Jahre 2006 zu rund 14 000 NI [1]. Verstärkt treten multiresistente gramnegative Bakterien als NI-Erreger in Erscheinung,
zum Teil mit hoher Letalität.
Auch außerhalb der Patientenversorgung stellen Infektionskrankheiten eine Bedrohung
dar. Nach dem infektionsepidemiologischen Jahrbuch des Robert Koch-Instituts [2]
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steigt die HIV-Inzidenz seit 2001 stetig an, mit 2752 gemeldeten Erstdiagnosen im
Jahre 2007,
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wurden 2007 über 200 000 Norovirus-Erkrankungsfälle gemeldet, entsprechend einem Anstieg
um das 2œ-fache gegenüber dem Vorjahr,
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ist die Inzidenz der Tuberkulose zwar weiterhin rückläufig (5027 gemeldete Fälle im
Jahre 2007), liegt der Behandlungserfolg aber unterhalb dem von der WHO angestrebten
Anteil von 85 % und
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ist die Masernsituation in Deutschland im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern
nach wie vor nicht im Griff.
Die Problematik ist nicht neu, und die Gesetzgebung trug ihr u. a. durch das Infektionsschutzgesetz
und durch die Krankenhaushygiene-Verordnungen einiger Bundesländer Rechnung. Schlecht
bestellt ist es dagegen um das auf Infektionsprävention spezialisierte Personal. Einem
zunehmenden Bedarf stehen hier auf dem deutschen Arbeitsmarkt stagnierende, wenn nicht
rückläufige Zahlen qualifizierter Personen gegenüber.
Schlecht steht es z. B. um so elementare Dinge wie die Kenntnis der spezifischen Übertragungswege
bestimmter Infektionserreger, einer Grundvoraussetzung für den Einsatz effektiver
Präventionsmaßnahmen. So sind der Unterschied zwischen der aerogenen und der Tröpfchenübertragung
und die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Präventionsstrategien [3]
[4] vielen deutschen Klinikern, Mikrobiologen, Hygienikern und Arbeitsschützern nach
wie vor unbekannt.
Schlecht steht es aber auch um die Ausbildung von Ärzten mit Spezialisierung und hauptberuflicher
Betätigung im Bereich der Prävention nosokomialer Infektionen, den so genannten Krankenhaushygienikern,
die im Infektionsschutz eine wichtige Rolle spielen. Dieser Ausbildungsnotstand hat
sowohl quantitative als auch qualitative Dimensionen. Durch die Abschaffung von Hygiene-Lehrstühlen
und die Schließung von Hygiene-Instituten, deren Betätigungsschwerpunkt (meist) im
Bereich des Infektionsschutzes lag, entfallen akademische Ausbildungsstätten, die
durch außerakademische Einrichtungen nicht ausreichend ersetzt werden. Doch auch in
qualitativer Hinsicht wurden bei der Ausbildung von Hygienefachärzten und Krankenhaushygienikern
z. T. gravierende Fehler gemacht, z. B. durch die weitgehende Beschränkung auf Sterilisation
und Desinfektion sowie auf Luft, Wasser und die Krankenhausumgebung als potenzielle
Infektionsquellen [5]. NI-Prävention ist jedoch mehr als das [6] und umfasst heute solide Kenntnisse und Erfahrungen in folgenden Bereichen:
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Infektiologie (z. B. Klinik der häufigsten NI und wichtiger Infektionskrankheiten,
relevante Infektionsquellen und Übertragungswege)
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allgemeine Infektionsprävention (z. B. Organisatorische Maßnahmen, Isolierungs- und
Barrieremaßnahmen, Desinfektions- und Sterilisationsverfahren, Schutzimpfungen)
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evidenzbasierte Maßnahmen zur Prävention der wichtigsten NI, einschließlich Bewertung
von Publikationen im Hinblick auf ihre wissenschaftliche Aussagefähigkeit
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Grundlagen der Epidemiologie
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Surveillance von NI und Multiresistenzen
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Ausbruchs- und Krisenmanagement
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rationale antimikrobielle Therapie
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präanalytische und analytische Aspekte der mikrobiologischen Untersuchung von Patienten-
und Umgebungsproben
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gesetzliche und normative Grundlagen der NI-Prävention
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ökonomische Aspekte der NI-Prävention
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Organisationsstrukturen im Krankenhaus
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Vermittlung infektionspräventiver Erkenntnisse
Obwohl ein hoher Bedarf an qualifizierten Krankenhaushygienikern herrscht und diese
– z. B. in den genannten Krankenhaushygiene-Verordnungen – offiziell gefordert werden,
handelt es sich dabei weder um eine geschützte Berufsbezeichnung noch um einen Beruf
mit klar definierter Qualifikation und klar umrissenem Aufgabenspektrum. Weitgehende
Einigkeit besteht darüber, dass Kompetenz im Bereich der NI-Prävention ein Studium
der Humanmedizin voraussetzt (dennoch gibt es auch Beispiele von nicht-Humanmedizinern,
die hier hervorragende Arbeit leisten). Klar ist aber auch, dass weder ein abgeschlossenes
Studium der Humanmedizin noch eines der in Deutschland bestehenden Facharzt-Curricula
per se ausreicht, sich im Bereich der NI-Prävention qualifiziert zu betätigen. Hilfreich,
wenn auch nicht Voraussetzung hierfür, ist eine Facharztweiterbildung im Bereich der
Hygiene und Umweltmedizin oder der Mikrobiologie und Infektionsepidemioplogie. Angesichts
der voraussichtlich weiter steigenden Nachfrage werden wahrscheinlich auch Kliniker
mit infektiologischem Schwerpunkt in die Auswahl mit einbezogen werden müssen. Unabdingbar
für eine Betätigung im Bereich der NI-Prävention sind darüber hinaus aber auf jeden
Fall praktische Erfahrungen in der patientenorientierten Krankenhaushygiene und eine
intensive Fortbildung über Grundlagen und aktuelle Themen der NI-Prävention. Zertifizierte
Fortbildungsveranstaltungen werden inzwischen vielfach angeboten, so z. B. von
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der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM),
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der European Society for Clinical Microbiology and Infectious Diseases (ESCMID) gemeinsam
mit der Society for Healthcare Epidemiology of America (SHEA) sowie
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Institutionen aus dem universitären Bereich.
Diese Initiativen vermögen jedoch nicht, den Mangel an Ausbildungsstätten und das
Fehlen eines allgemein akzeptierten Fortbildungs-Curriculums für NI-Prävention zu
kompensieren. Bei der Schaffung und Ausweitung von Ausbildungskapazitäten sind Universitätskliniken
und Krankenhäuser gefragt. Bei der Schaffung eines Fortbildungs-Curriculums ist zu
hoffen, dass wissenschaftliche Fachgesellschaften der Bereiche Hygiene, Mikrobiologie
und Infektiologie berufspolitische Hindernisse überwinden und bald zu einem Konsens
finden.