DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2008; 6(02): 1
DOI: 10.1055/s-2008-1077201
Editorial
Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Ein Ort für Osteopathie

N. N.
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
29 April 2008 (online)

 

    Als Platon seine eigene Philosophenschule gründete, kaufte er sich einen Garten, der dem attischen Heros Akademos geweiht war. Die Entscheidung, seine Schüler dorthin einzuladen, prägte das Wort Akademie und das nicht immer (un)berechtigte Vorurteil gegen Akademiker als Bewohner des Elfenbeinturmes. Platons Ortswahl war Programm: Der elitäre Olivenhain lag außerhalb der Polis, also jenseits der Anforderungen der Ökonomie und Demokratie. Seine Akademie und seine Lehre sollten nicht berührt sein vom Alltagsgeschäft und seine philosophische Erlösungslehre ließ nur die kontemplative Versenkung in die Welt der Ideen zu.

    Diese akademische Immunisierung gegen Erfahrung wurde schon damals von scharfen Kritikern als wirklichkeitsfern und elitär verurteilt. Diogenes trug seine Ideen auf dem Marktplatz mitten im Alltag der demokratischen Öffentlichkeit vor. Seine Kritik an der Ideenlehre Platons war praktisch, setzte auf verkörperte Wahrheit ohne elitären Vorherrschaftsanspruch. Von ihm wird erzählt, dass er am helllichten Tage mit einer Laterne nach dem Menschen (der Philosophie) suchte und Platons Bestimmung des Menschen als federlosen Vogel damit kommentierte, dass er ein gerupftes Huhn herum trug und rief: „Seht her! Ein Mensch!”

    Wo ist der Ort der Osteopathie? In der Praxis und Klinik oder in der Akademie, der Universität? Oder schrecken wir vor dem Anspruch, den eine Universität an uns stellen würde, zurück? Da osteopathisches (Be-) Handeln eine eigenständige klinische und wissenschaftliche Erfahrung hervorbringt, müssen wir einen Ort für Osteopathie entstehen lassen, der den lebendigen Strom und Eigensinn der Osteopathie verkörpern kann. Schaffen wir es nicht, Osteopathie als eigene Disziplin zu etablieren, kann es uns passieren, dass wir wie Diogenes eine erfolglose Lampensuch- und Federrupfaktion starten müssen. Inmitten der zahlreichen Osteopathie beanspruchenden Gruppen werden wir auch mit der besten Lampe keine Osteopathie mehr finden. Das gerupfte Huhn Osteopathie („Seht her! Ein Osteopath!”) entspricht dann zwar der Definition der Osteopathie, aber wird ihrer lebendigen Tradition und eigenen Klinik nicht gerecht.

    Akademisierung und wissenschaftliche Forschung sind notwendige Entwicklungsschritte - eine Gewähr, dass ein Ort für Osteopathie entsteht, sind sie nicht. Wir müssen klar machen, dass dieser Ort nur mitten in der osteopathisch-klinischen Erfahrung und dem Alltagsgeschäft des Umgangs mit dem Leiden der Patienten sich entwickeln kann. Wir müssen einfordern, dass Wissenschaft tatsächlich osteopathisches Wissen schafft und nicht nur den Nachweis der Wirksamkeit der Osteopathie erbringt. Und wir müssen darauf bestehen, dass wissenschaftliche Neugier über formalisierte Langeweile beim Aufbau der universitären Forschung siegt. Das lehrt uns die Geschichte eines der vorzüglichsten Mittel gegen verkrustete Akademisierung, die evidenzbasierte Medizin. War das Insistieren auf Evidenz am Anfang ein kreativer Akt demokratischer Wahrheitssuche der gesammelten Kompetenz der Forschergemeinschaft gegen die eingesessene Autorität der überkommenen Lehrmeinungen, ist Evidenz nun das Lieblingskind der Pharmaindustrie und kann durchaus als Totschlagargument gegen osteopathiespezifische Forschungsansätze benutzt werden. Wenn wir aufmerksam für Ambivalenzen im Prozess der Akademisierung bleiben und auf den Eigensinn der Osteopathie bestehen, kann Forscherdrang und Wissenslust einen Ort für die Disziplin Osteopathie hervorbringen.

    Die Herausgeber


    #