Calcitriolmangel - eine Ursache des sekundären Hyperparathyreoidismus
Calcitriolmangel - eine Ursache des sekundären Hyperparathyreoidismus
Chronisch Nierenkranke entwickeln bereits in einem frühen Stadium ihrer Erkrankung,
lange bevor eine Dialyse notwendig wird, einen Calcitriolmangel. Die geschädigten
Nieren können nicht mehr ausreichend Calcitriol bilden. In der Folge sinken intestinale
Kalziumresorption, der Serumkalziumspiegel und die Nebenschilddrüsen erhöhen reaktiv
ihre Parathormon(PTH)-Ausschüttung. Weiter verstärkt wird der sekundäre Hyperparathyreoidismus
(sHPT) durch eine gesteigerte Phosphatretention der kranken Nieren. Gleichzeitig fehlt
aufgrund des Calcitriolmangels dessen regulierende Funktion auf das PTH: Der Vitamin-D-Rezeptor-Aktivator
(VDRA) hemmt nämlich die PTH-Produktion und -Sekretion und kontrolliert die Hyperplasie
der Nebenschilddrüsen.
Durch den so gestörten Mineralstoffwechsel wird insbesondere die Mediasklerose der
Arterien gefördert, die als eine Ursache der hohen Mortalität bei chronischer Nierenerkrankung
("chronic kidney disease", CKD) gilt. Ein CKD-Patient hat ein deutlich höheres Risiko,
während der Prädialyse zu versterben, als seine Dialysepflicht zu erreichen: Innerhalb
von fünf Jahren sterben 46% der CKD-Patienten in Stadium 4 und nur 19% beginnen mit
der chronischen Nierenersatztherapie (Abb. [1]; [10]) An der Dialyse selbst beträgt die jährliche Mortalität in Europa dann etwa 15%,
in den USA sogar über 20%.
Abb. 1 Mortalität und eine spätere chronische Nierenersatztherapie in den CKD-Stadien
2-4
Mehrere unabhängige Observationsstudien haben in den letzten Jahren eine verringerte
Mortalität durch VDRAs gezeigt [8], [14]. Ursache dafür ist vermutlich das große Spektrum an positiven biologischen Effekten,
die mit der VDRA-Therapie assoziiert sind. Denn Vitamin-D-Rezeptoren finden sich nicht
nur im Knochen, im Darm und an den Nebenschilddrüsen, sondern auch in den Gefäßen,
sowie im Myokard, den Nierentubuli, dem Renin-Angiotensin-Aldosteron-System, B- und
T-Lymphozyten usw. So lassen sich nicht nur die "klassischen" Effekte (PTH-Suppression,
Aufrechterhaltung des Knochenumsatzes) einer frühzeitigen VDRA-Substitution erklären,
sondern auch weitere positive, sogenannte pleiotrope Effekte.
Selektive VDRA ermöglichen Substitution ohne unerwünschte Wirkungen
Selektive VDRA ermöglichen Substitution ohne unerwünschte Wirkungen
Bei zunehmender Nierenerkrankung ist zur therapeutischen PTH-Suppression eine "physiologisch"
dosierte Calcitriolgabe oftmals nicht mehr ausreichend. Höhere Dosierungen führen
aber oft zu unerwünschten Auswirkungen: Nichtselektive VDRA (z. B. Calcitriol, Alfacalcidol,
Doxercalciferol) fördern die intestinale Kalzium- und Phosphataufnahme, erhöhen also
die sogenannte Kalzium- und Phosphatload. Bei Prädialysepatienten findet sich folglich
unter der Behandlung mit nichtselektiven VDRA häufig eine Hyperkalziurie. Dialysepatienten
ohne Restdiurese können diesen Überschuss an Kalzium und Phosphat im Körper nicht
mehr ausscheiden. Das Kalzium und Phosphat im Körper staut sich an und kann zu gefährlichen
Gefäßkalzifizierungen führen.
Seit einigen Jahren gibt es deswegen den selektiven VDRA Paricalcitol (Zemplar®),
der im Gegensatz zu den nichtselektiven VDRA speziell zur Therapie des sHPT entwickelt
worden ist. Paricalcitol bewirkt nur eine minimale intestinale Kalzium- und Phosphataufnahme
sowie eine stark verringerte Freisetzung von Kalzium und Phosphat aus den Knochen
[5], [2]. So ist eine intensive Therapie des sHPT möglich, auf die selbst calcitriolresistente
Dialysepatienten noch ansprechen [11].
Effektive und sichere PTH-Senkung bei Dialyse- und Prädialysepatienten
Effektive und sichere PTH-Senkung bei Dialyse- und Prädialysepatienten
Bisher war der Einsatz von Paricalcitol als i.v.-Präparat auf die Hämodialyse (HD)
beschränkt. Im Frühjahr 2008 werden nunmehr Paricalcitol Kapseln verfügbar sein, welche
die Prävention und Therapie des sHPT bei Dialyse- und Prädialysepatienten ermöglichen.
Phase-III-Studien bestätigen den Nutzen von Paricalcitol für Prädialysepatienten:
In drei doppelblind randomisierten, placebokontrollierten Studien wurden 220 CKD-Patienten
im Stadium 3 und 4 untersucht und die Wirkung von Paricalcitol mit Placebo über insgesamt
24 Wochen verglichen [4]. Einschlusskriterien waren eine glomeruläre Filtrationsrate (GFR) zwischen 60 und
15 ml/min/1,73m2, ein wiederholtes PTH von über 150 pg/ml, ein Serumkalzium wiederholt zwischen 2,0
und 2,5 mmol/l sowie ein Serumphosphat wiederholt unter 1,69 mmol/l.
Den primären Endpunkt, zwei aufeinanderfolgende Abnahmen vom Ausgangs-PTH um mehr
als 30%, erreichten in der Paricalcitolgruppe 91% der Patienten, in der Placebogruppe
nur 13% (p < 0,001). Insgesamt konnte durch Paricalcitol der PTH-Spiegel um 45% gesenkt
werden und 75% der mit Paricalcitol therapierten Patienten erreichten einen PTH-Wert
unter 110 pg/ml (K/DOQI-Zielwert im CKD-Stadium 4). Hinsichtlich Hyperkalzämie- und
Hyperphosphatämiehäufigkeit, erhöhtem Kalzium-Phosphat-Produkt, Kalzium- und Phosphatausscheidung
im Urin sowie GFR-Änderungen unterschieden sich die beiden Gruppen nicht. Der PTH-Rückgang
in der Paricalcitolgruppe ging mit einem signifikanten Abfall der Knochenumsatzmarker
einher: Die knochenspezifische alkalische Phosphatase ("bone specific alkaline phosphatase",
BSAP) und Osteocalcin normalisierten sich im Sinne eines konsolidierten Knochenstoffwechsels.
Genauso wirksam zeigten sich Paricalcitol Kapseln bei Dialysepatienten [12]. 88 Peritonealdialyse(PD)- und HD-Patienten wurden doppelblind randomisiert und
placebokontrolliert über drei Monate mit oralem Paricalcitol behandelt, um die PTH-senkende
Wirkung versus Placebo zu ermitteln. Wieder galt als primärer Endpunkt eine Abnahme
des PTH-Ausgangswertes um mindestens 30%.
Dieses Ziel wurde sowohl in der HD- als auch in der PD-Gruppe unter Paricalcitol von
mehr Patienten erreicht als unter Placebo (HD: 83 versus 16%, PD: 100 versus 0 %;
p < 0,001). 72 % der mit Paricalcitol behandelten Patienten erreichten einen PTH-Wert
unter 300 pg/ml (mittlerer PTH-Ausgangswert: 721,4 pg/ml). In keiner Gruppe fanden
sich klinisch relevante Schwankungen der Kalzium- und Phosphatserumspiegel und das
Kalzium-Phosphat-Produkt blieb unter 55 mg2/dl2. Die Parameter des Knochenumsatzes (BSAP, Osteocalcin) stiegen in den Placebogruppen
weiter an und sanken demgegenüber in den Paricalcitolgruppen, wobei es aber nicht
zu einer Übersuppression der BSAP kam.
Das Nebenwirkungsprofil von oralem Paricalcitol unterschied sich weder bei Coyne et
al. [4] noch bei Ross et al. [12] signifikant von dem unter Placebo.
Kardiorenale Protektion unter Paricalcitol
Kardiorenale Protektion unter Paricalcitol
Neueren Studien zufolge hat Paricalcitol auch einen positiven Einfluss auf verschiedene
Nierenfunktionsparameter. Im Jahr 2005 beschrieben Agarwal et al. bei Patienten in
den CKD-Stadien 3 und 4 eine semiquantitativ mit Dipstick gemessene Reduktion der
Proteinurie unter oralem Paricalcitol, und zwar unabhängig vom Einsatz von ACE-Hemmern
oder Angiotensinrezeptorblockern (Abb. [2]; [1]).
Abb. 2 Paricalcitol reduziert die Proteinurie, auch bei Patienten mit ACE-Hemmern
und Angiotensinrezeptorblockern (ARB) nach [1]
Die Proteinurie, der Verlust von Eiweiß über die Nieren, ist Zeichen einer Nierenerkrankung.
Bei CKD korreliert die Menge des Eiweißverlusts mit der Schwere der Erkrankung. Je
größer die Proteinurie, desto höher ist auch die Inzidenz des terminalen Nierenversagens
[7]. Die Proteinurie ist also ein Progressionsmarker der CKD, genauso wie für das Sterberisiko
aufgrund von kardiovaskulären Komplikationen. Ein Rückgang der Proteinurie ist ein
Prädiktor eines längeren Überlebens.
Auf die Proteinurie können verschiedene Faktoren wie Blutdruck, Blutfette, Blutzucker
und Aufnahme von Kochsalz über die Nahrung Einfluss nehmen [3], [9]. Gemäß den ersten, vielversprechenden Ergebnissen von Agarwal et al. hat auch der
selektive VDRA Paricalcitol direkten Einfluss auf die Proteinurie und hätte somit
renalprotektiven Charakter.
Erste quantitative Daten (in mg/d) liegen seit letztem Jahr aus tierexperimentellen
Studien von Freundlich et al. vor [6]. In einem 5/6-Nephrektomie-Modell konnten sie durch Paricalcitol eine signifikante
Verbesserung aller folgenden Parameter zeigen: Nierenfunktion (gemessen am Serumkreatinin),
Hypertonie und Proteinurie (Abnahme um bis zu 73 % von durchschnittlich 91 auf bis
zu 25 mg/d). Histopathologisch-morphometrische Befunde wie Hypertrophieausmaß, renale
Schädigungsindizes (Glomerulosklerose, tubulointerstitieller Schadensindex) zeigten
ebenfalls signifikante Regredienz.
Die Mechanismen der generellen VDRA-Effekte sehen Freundlich et al. in einer Aktivitätsminderung
des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS), von dem man weiß, dass es ebenfalls
über Vitamin-D-Rezeptoren verfügt. Ein VDRA-Mangel aktiviert das RAAS. Die Folgen
eines (über)aktivierten RAAS sind neben der Progression der myokardialen und vaskulären
Dysfunktion auch eine Progredienz der chronischen Nierenerkrankung. Unter Paricalcitol
wird die Expression von Renin und Angiotensinogen in der Niere herunterreguliert,
was sich an einer reduzierten mRNA-Expression nachweisen lässt.
Auch Tan et al. [13] konnten in umfassenden Untersuchungen zeigen, wie unter Paricalcitol die renalen
Schäden (Fibrosierung) vermindert werden. Die durch die Proteinurie gesteigerte Chemokinexpression
führt zu Entzündungsreaktionen, die in Vernarbung bzw. Fibrosierung der Glomeruli
enden. Paricalcitol unterdrückt die renalen Inflammations- und Reparationsprozesse
und blockiert die Aktivierung der Bindegewebe bildenden Zellen.
Dieser Tubuluszell- und Fibrosierungsschutz durch Paricalcitol könnte eine Erklärung
für die signifikante Verbesserung der renalen Funktion in verschiedenen experimentellen
CKD-Modellen sein. Im Rahmen der prospektiven Vital[1]-Studie soll der Effekt von Paricalcitol Kapseln auf die Proteinurie bei diabetischer
Nephropathie jetzt genauer untersucht werden.
Frühe Therapie von Dialyse- und Prädialysepatienten möglich
Frühe Therapie von Dialyse- und Prädialysepatienten möglich
Bei Patienten mit sekundärem Hyperparathyreoidismus ist die Therapie mit Vitamin-D-Rezeptor-Aktivatoren
indiziert. Bei Schwierigkeiten mit dem Kalzium-Phosphat-Management ist der selektive
VDRA Paricalcitol günstiger als Calcitriol, da er die Kalzium- und Phosphatspiegel
nicht klinisch relevant erhöht. Paricalcitol Kapseln ermöglichen neben der Therapie
von Hämodialysepatienten nun auch die frühzeitige und unkomplizierte Behandlung von
Peritonealdialyse- und Prädialysepatienten.
Erste Daten deuten außerdem auf eine renale Protektion im Sinne einer CKD-Progressionshemmung
durch Paricalcitol hin, die in den kommenden Jahren durch weitere klinische Studien
noch genauer untersucht wird. Paricalcitol scheint den histologischen Schaden an der
Niere zu verlangsamen, die Proteinurie zu reduzieren und somit die renale Funktion
zu verbessern - Vorteile, von denen die Patienten möglichst früh profitieren sollten.
Dr. Martina Berthold, Weimar
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Abbott GmbH & Co. KG, Ludwigshafen