Die multiple Sklerose (MS) gehört zu den häufigsten Ursachen für Behinderungen im
jungen Erwachsenenalter. Für Deutschland wird die Zahl der Betroffenen auf 120000
bis 140000 geschätzt. Derzeit kommt es - mit steigendem Trend - zu jährlich etwa 47000
Behandlungsfällen wegen MS. Die Krankenhaushäufigkeit variiert nicht unerheblich zwischen
den Bundesländern [Abb. 1], ebenso unterscheidet sich die Verweildauer. Die totalen Krankheitskosten wurden
für Deutschland - abhängig vom Schweregrad - auf im Mittel 40000 Euro pro Betroffenen
und Jahr geschätzt [1], insgesamt also etwa 5,6 Mrd. Euro. Gemäß des Multiple-Sklerose-Registers [2] dauert es durchschnittlich 3,5 Jahre, bis die Diagnose gestellt wird; mehr als 70
% der Patienten werden immuntherapeutisch behandelt. Nur rund 37 % sind zumindest
teilzeitbeschäftigt, rund 40 % beziehen eine Erwerbsminderungsrente. Gemäß der „tief
gegliederten Diagnosedaten der Krankenhauspatientinnen und -patienten” des statistischen
Bundesamtes weisen rund 10 % (Männer 12 %, Frauen 8 %) einen primär chronischen Verlauf
auf, sodass ihnen keine Evidenz-basierte Therapie angeboten werden kann.
Vor diesem Hintergrund ist Forschung geboten - erfreulich ist, wie viel Bewegung in
den letzten Jahren in Diagnostik und Therapie der Multiplen Sklerose gekommen ist.
Immer differenziertere Möglichkeiten der Immuntherapie und Bildgebung sowie die Aufklärung
immunpathologischer Mechanismen beflügeln sich wechselseitig. Daraus resultiert eine
differenzierte klinische Diagnostik. Welche therapeutischen Implikationen sich aus
der - erst in den letzten Jahren erkannten - neurodegenerativen Komponente ergeben,
lässt sich noch nicht absehen.
Zentrale diagnostische Bedeutung kommt der Bildgebung mittels MRT zu, mit der sich
in den Schwerpunktbeiträgen dieses Heftes Holst et al. auseinandersetzen, wobei sie
das Hamburger MRT-Protokoll zum Einsatz in der klinischen Routine vorschlagen. Zettl
beleuchtet kritisch die Entwicklung der Diagnostik und Therapie auch mit Ausblicken
auf Entwicklungssubstanzen.
Nach derzeitigem Stand beginnt der pathogenetische Prozess mit der Einwanderung von
Lymphozyten in das ZNS. Hier bietet die oral applizierbare Entwicklungssubstanz Fingolimod
(FTY-720) besonderen Grund zur Hoffnung [3]: Fingolimod ist ein Derivat von Myriocin, eines Wirkstoffs des in der traditionellen
chinesischen Medizin genutzten Pilzes Isaria sinclairii. Fingolimod wirkt nicht zytotoxisch,
sondern hemmt die Auswanderung von Lymphozyten aus den Lymphknoten in das periphere
Blut. Die revidierten McDonald-Kriterien und darauf aufbauende, von Holst et al. diskutierte
Modifikationen erleichtern die Frühdiagnose und damit die Entscheidung zu frühzeitiger
immunmodulatorischer Therapie. Es ist selbstverständlich, dass der Patient daran autonom
mitwirkt. Kasper & Geiger präsentieren das inzwischen auch empirisch fundierte Hamburger
Konzept, wie Arzt und Patient mit den Unsicherheiten der statistischen Ergebnisse
von Studien umgehen können, um die für den Patienten am ehesten akzeptable Therapieentscheidung
zu fällen.
Abb. 1 Krankenhaushäufigkeit wegen Hauptdiagnose Multiple Sklerose (Quelle: Statistisches
Bundesamt)