Aufgrund der Zunahme der Fallzahlen und der Fallschwere wird zukünftig eine vermehrte
Nachfrage nach Krankenhausärzten bestehen, auch in der Psychiatrie. Schon heute können
Kliniken etwa 25 % der offenen Stellen nicht mehr besetzen. Diese Situation wird sich
aufgrund der Altersstruktur der Ärzte in den nächsten 10 Jahren weiter verschlechtern.
Vor diesem Hintergrund hat das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) im Auftrag der Deutschen
Krankenhausgesellschaft (DKG) das Projekt „Neuordnung von Aufgaben des ärztlichen
Dienstes” durchgeführt [1], bei dem Entscheidungsträger aus 304 Krankenhäuser befragt wurden. Ziel war es herauszufinden,
welche Tätigkeiten des ärztlichen Dienstes von nichtärztlichen Berufsgruppen übernommen
werden können und dürfen. Bereits im Gutachten des Sachverständigenrates zur Entwicklung
des Gesundheitswesens von 2007 wurde auf die Notwendigkeit einer Neudefinition der
Aufgaben verschiedener Berufsgruppen im Gesundheitswesen hingewiesen [2]. Aus juristischer Sicht sei allerdings ein unantastbarer Kernbereich ärztlicher
Aufgaben zu benennen, der nicht delegierbar sei. Behandlungsmaßnahmen, die aufgrund
ihrer Schwierigkeit, Gefährlichkeit oder wegen Unvorhersehbarkeit etwaiger Reaktionen
spezifisches ärztliches Wissen voraussetzten, seien vom Arzt persönlich durchzuführen
oder unmittelbar zu überwachen. Tätigkeiten im Kernbereich der Diagnostik, Differenzialdiagnostik
und Therapie werden somit weiter nicht delegierbar sein, insbesondere wenn dadurch
eine Gefährdung für die Gesundheit des Patienten nicht ausgeschlossen werden kann.
Hier wird der bisherige sog. Arztvorbehalt weiter bestehen bleiben, wie er beispielsweise
in § 15 Abs. 1 SGB V festgeschrieben ist, wonach ärztliche Behandlung auch nur von
Ärzten zu erbringen ist und Hilfeleistungen anderer Berufsgruppen von den Ärzten zu
verantworten sind.
Welche Aufgaben können nun an nichtärztliches Personal übertragen werden? Das DKI
macht diesbezüglich eine Reihe von Vorschlägen, die überwiegend den somatischen Bereich
betreffen. Es teilt die Tätigkeiten in kurzfristige, mittelfristige und langfristige
übertragbare Aufgaben ein:
-
Kurzfristig übertragbare Tätigkeiten können nach kurzer Einweisung vom nichtärztlichen
Personal in gleicher Qualität durchgeführt werden. Beispiele sind: Codierung von Diagnosen,
venöse Blutentnahmen, intramuskuläre Injektionen, aber auch intravenöse Injektion
von Medikamenten und Anlage einer Venenverweilkanüle.
-
Mittelfristig übertragbare Tätigkeiten erfordern eine umfangreichere Anpassung der
Qualifikation. Als Beispiele werden genannt: Nichtärztliche Assistenz bei operativen
Eingriffen, Wundpflegemanagement oder Schmerzmanagement.
-
Langfristig übertragbare Tätigkeiten können erst erfolgen, wenn entsprechende rechtliche
Normen geändert werden. Als Beispiel wird der Einsatz nichtärztlichen Personals bei
Parallelnarkosen in der Anästhesie genannt.
Ziel all dieser Maßnahmen sei laut DKG der notwendige „effizientere Personaleinsatz
im Krankenhaus” [3]. Aus Sicht der DKG könne auch bei einer Neuordnung der ärztlichen Tätigkeiten –
bei entsprechender Qualifikation des nichtärztlichen Personals – eine kompetente Betreuung
der Patienten sichergestellt werden.
Welche Implikationen ergeben sich daraus für die Psychiatrie? Bei Durchsicht des Kataloges
der übertragbaren Tätigkeiten [1] zeigt sich, dass viele davon bereits in den psychiatrischen Kliniken gerade vom
Pflegepersonal durchgeführt werden (z. B. venöse Blutentnahmen, intramuskuläre und
subkutane Injektionen, Ruhe-EKG u. a.). Viele der ansonsten genannten Tätigkeiten
sind im Bereich der somatischen Medizin angesiedelt und haben für die Psychiatrie
keine Relevanz.
Darüber hinaus werden von nichtärztlichen Mitarbeitern in einer psychiatrischen Klinik
eine Reihe von weiteren Aufgaben übernommen, die in der DKI-Studie gar nicht erfasst
wurden: So leiten häufig Pflegekräfte Entspannungsgruppen oder Aktivierungsgruppen.
Sie führen die Wachtherapie und Lichttherapie durch und sind Cotherapeuten in Gruppenpsychotherapien
(insb. Psychoedukation) und in Angehörigengruppen. Auch das Stations- und Patientenmanagement
vom Zeitpunkt der Aufnahme bis zur Entlassung mit Erledigung zahlreicher administrativer
Aufgaben erfolgt kompetent durch das Pflegepersonal. Viele der vom DKI vorgeschlagenen
Tätigkeiten im Bereich der Administration und Dokumentation werden dadurch bereits
abgedeckt. Das mögliche Einsparpotenzial in psychiatrischen Kliniken ist aufgrund
der vielerorts bereits praktizierten vielfältigen Einbindung des Pflegepersonals in
den gesamten Behandlungsprozess somit wohl eher gering, es sei denn, dass auch die
Erhebung von Teilen der Anamnese (z. B. Sozial- und Fremdanamnese) von einer qualifizierten
Pflegekraft übernommen wird; hinsichtlich der Erhebung von Basisdaten der Biografie
erscheint dies auch möglich und effizient, wenn dies standardisiert erfolgt und zu
keiner doppelten Erhebung durch Arzt und Pflegepersonal führt.
Eine sinnvolle Delegation ärztlicher Aufgaben an nichtärztliches Fachpersonal könnte
sich im administrativen Bereich ergeben hinsichtlich der Anforderungen von Befunden
oder des Ausfüllens der psychiatrischen Basisdokumentation (BADO). Dies könnte eine
weitere Entlastung der Ärzte bezüglich ihrer in den letzten Jahren zunehmenden administrativen
Aufgaben [4] bedeuten. Der DKI-Vorschlag der Vorbereitung des Arztbriefes durch nichtärztliche
Fachangestellte erscheint dagegen nicht effizient: Denn auch das nichtärztliche Personal
braucht Zeit und kostet Geld. Viele Tätigkeiten können vom Arzt aufgrund seiner Ausbildung
und Kenntnis des Patienten besser und schneller erfolgen. Im Sinne eines wirklich
effizienteren Personaleinsatzes sollten solche Tätigkeiten beim Arzt bleiben. Dies
erscheint auch aus haftungsrechtlichen Gründen geboten, so z. B. beim Erstellen von
Attesten, Rezepten und Entlassungsbriefen. Auch die Durchführung einer „Basisinformation
im Rahmen der Patientenaufklärung” – wie vom DKI vorgeschlagen – ist problematisch,
angesichts der zunehmenden Arzthaftungsprozesse bezüglich einer unzureichenden Aufklärung
[5]. Und ob die Patienten ihre Informationen überwiegend von nichtärztlichem Personal
bekommen wollen und eine partizipative Entscheidungsfindung ohne den Arzt stattfinden
soll, bleibt zu bezweifeln [6]. Der – politisch gewollte – Ausbau der Patientenberatung [7] wie auch die angestrebte Patientenbeteiligung gerade in der Psychiatrie [8] ohne die Mitwirkung des Arztes, ist wenig vorstellbar.
Generell ist die rechtliche Problematik erheblich. Ob die nicht-ärztlichen Mitarbeiter,
die eine ärztliche Aufgabe übertragen bekommen, haftungsrechtlich tatsächlich „auf
der sicheren Seite” stehen, ist nicht garantiert. Letztendlich entscheiden die Gerichte
rückwirkend, ob der nichtärztliche Mitarbeiter die übertragene Tätigkeit im Einzelfall
tatsächlich hätte ausführen dürfen oder ob er wegen der besonderen Schwierigkeit im
Rahmen eines Übernahmeverschuldens für Fehler haftet. Leitende Ärzte werden intensiv
zu prüfen haben, ob eine Delegation ärztlicher Aufgaben – selbst da wo sie grundsätzlich
rechtlich möglich sein sollte – wegen örtlicher Besonderheiten zu einer Haftung aus
Organisationsverschulden führen kann. Besonders problematisch ist die Substitution
ärztlicher Leistungen durch die Pflege, bei der das volle Haftungsrisiko an die dann
selbstständig arbeitende Pflegekraft übergehen würde. Eine solche Substitution ist
nach dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz (PWG) möglich. In welchem Umfang die Rechtsprechung
diesem Paradigmenwechsel auch in problematischen Einzelfällen folgen wird, bleibt
abzuwarten. Auf dem 111. Deutschen Ärztetag wurde jedenfalls erhebliche Kritik an
der neuen Gesetzeslage laut.
Am Schluss bleibt daran zu erinnern, dass hinter all diesen Vorschlägen der DKG (neben
dem Ärztemangel) nichts anderes steckt als das weitere Bemühen nach Kosteneinsparungen
in den Kliniken. Anstelle einer Gesundheitsökonomie erleben wir weiter nur eine Ökonomisierung
des Gesundheitssystems. Ziel der Umsetzung der Vorschläge der DKI-Studie ist natürlich,
ärztliches d. h. teueres Personal einzusparen und durch billigere Personalgruppen
zu ersetzen. Das bedeutet aber, dass künftig noch weniger Ärzte in Kliniken tätig
sein werden. In letzter Konsequenz der Delegation und Substitution zahlreicher Aufgaben
bleiben dem Arzt noch die fragmentierten Funktionen der raschen (Differenzial-)Diagnostik
und (medikamentösen) Therapie. Er wird überwiegend in kritischen Situationen und in
Bereitschaftsdiensten eingesetzt werden. Der Arzt wird – ungeachtet der in den letzten
Jahren zunehmenden Leistungsverdichtung [9] und eines PsychPV-Erfüllungsgrades in den Kliniken von durchschnittlich 90 % [10] – in noch kürzerer Zeit noch mehr Patienten diagnostizieren und behandeln müssen.
Ein ganzheitliches, ärztlich geleitetes „case management” unter umfassender Berücksichtigung
der biopsychosozialen Situation des Patienten (und seiner Angehörigen [11]) wird unter solchen Rahmenbedingungen noch weniger möglich sein. Hier stellt sich
die Frage, ob dies tatsächlich eine lohnende Zukunft für psychiatrische Kliniken darstellt.
Und: Eine längerfristige Lösung der Probleme im stationären Bereich wird sich durch
die „Neuordnung von Aufgaben des ärztlichen Dienstes” nicht ergeben, dazu bedarf es
umfassenderer Ansätze [12]
[13]
[14]
[15].