Zeitschrift für Palliativmedizin 2008; 9(2): 67-75
DOI: 10.1055/s-2008-1067426
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Futility” - Übertherapie am Lebensende? Gründe für ausbleibende Therapiebegrenzung in Geriatrie und Intensivmedizin

„Futility” - Overtreatment at the End of Life? Reasons for Missed Cessations of Therapy in Geriatric and Critical Care MedicineH.  Albisser Schleger1 , H.  Pargger2 , S.  Reiter-Theil1
  • 1Institut für Angewandte Ethik und Medizinethik, Universität Basel
  • 2Operative Intensivbehandlung, Departement Anästhesie, Universitätsspital Basel
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Publication Date:
18 June 2008 (online)

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Zusammenfassung

Der Begriff der medizinischen Nutzlosigkeit ist kontrovers. Trotz fehlender Einigkeit über eine Definition von „Futility” spielt das Konzept jedoch eine wichtige Rolle in Therapieentscheidungen, gerade am Lebensende. Die qualitative Interviewstudie untersucht Stellenwert und Bedeutung des Begriffs „Futility” aus der Sicht von ärztlichen und pflegerischen Mitarbeitenden in der Geriatrie und der Intensivmedizin. Sie belegt auf der Grundlage einer systematischen Inhaltsanalyse ein ethisches Problembewusstsein für Übertherapie in den klinischen Abteilungen (76 % der befragten Ärzte und 86 % der Pflegefachpersonen). Die Gründe für eine nicht erfolgte Therapiebegrenzung lassen sich zum überwiegenden Teil den Ärzten zuordnen. Innerhalb dieser Gruppe sind die Aussagen sehr vielseitig und reichen von Informationsdefiziten über inter- und intraprofessionellen Dissens bis zu Angst, Unsicherheit und überhöhtem Ehrgeiz. Diese Wahrnehmung von Problemen kann beim Personal zu Belastungen führen („moral distress”) und wirft die Frage nach einer angemessenen Patientenbehandlung auf. Eine Liste von Fragen und eine gezielte Verbesserung der Gesprächskultur sollen dabei helfen, Entscheidungen, die den Nutzen oder Schaden von Therapien betreffen, auf ethisch ausbalancierte Kriterien zu stützen.

Abstract

The concept of medical futility is highly controversial. Although no consensus exists regarding the definition of futility, the concept plays an important role in making treatment decisions, especially at the end of life. The qualitative interview study investigates the significance and meaning of futility as seen by physicians and nurses in geriatric and intensive care. On the basis of a systematic content analysis evidence is shown that staff articulates an awareness of over-treatment to be prevalent in the collaborating clinical departments (76 % of the physicians and 86 % of the nurses). The reasons for missed cessations of therapy are mainly attributable to doctors. Within this group the statements are very heterogenous and go from lack of information to intra- and inter-professional disagreement to fear, uncertainty and excessive ambition. This perception of problems can lead to moral distress among staff and raises the issue of appropriate patient care. A list of questions and an improved culture of conversation are suggested as measures to base decisions on balanced ethical criteria to evaluate the usefulness of treatments.

Literatur

1 Der Einfachheit wegen verwenden wir im gesamten Artikel ausschließlich die männliche Bezeichnung.

2 Z. B. Artikel 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union; Artikel 2 des Deutschen Grundgesetzes; Artikel 10, Abs. 1 der Schweizerischen Bundesverfassung: Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1), allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1) sowie Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2).

3 Eine kursive Schreibweise in den Klammern bedeutet, dass ein Wort oder ein Satzteil sinngemäß zum besseren Verständnis ergänzt wurde.

4 vgl. Fußnote 2.

5 Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde auf die Anwendung von Biologie und Medizin, Artikel 2.

Prof. Dr. Hans Pargger

Operative Intensivbehandlung, Universitätsspital Basel

Spitalstraße 21

4031 Basel, Schweiz

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Email: parggerh@uhbs.ch