Einführung
Einführung
Krankenunterlagen stehen im Eigentum des Arztes und unterfallen der ärztlichen Aufbewahrungspflicht,
wobei diese sich über die Patientenkartei bis hin zu sämtlichen Ergebnissen von bildgebenden
Verfahren (Röntgen, MRT, Sonographie etc.) erstreckt. Gem. § 10 Abs. 3 (Muster-) Berufsordnung
für die deutschen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä) obliegt dem Arzt dabei die Pflicht,
sämtliche ärztliche Aufzeichnungen über einen Zeitraum von 10 Jahren nach Abschluss
der Behandlung aufzubewahren, soweit nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften
eine längere Aufbewahrungsfrist besteht. Eine solche "andere gesetzliche Vorschrift"
existiert hierbei u.a. im Hinblick auf Aufzeichnungen über Röntgenbehandlungen, welche
gemäß § 28 Abs. 3 Röntgenverordnung (RöV) für eine Dauer von 30 Jahren nach der letzten
Behandlung aufzubewahren sind. Nach Ablauf der jeweils maßgebenden Frist, können die
Unterlagen vernichtet werden. Daneben sieht zudem § 10 Abs. 4 MBO-Ä vor, dass Ärztinnen
und Ärzte auch im Falle der Praxisaufgabe die Aufbewahrung ihrer ärztlichen Aufzeichnungen
und Untersuchungsbefunde unter Berücksichtigung der entsprechenden Fristen und Wahrung
der Schweigepflicht zu gewährleisten oder mit Zustimmung der Patienten dafür Sorge
zu tragen haben, dass sie in gehörige Obhut gegeben werden.
Während die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aufbewahrung standesrechtlich also ihren Niederschlag
in § 10 Abs. 3 und Abs.4 MBO- Ärzte findet, ist sie in zivilrechtlicher Hinsicht als
eine Nebenpflicht des zuvor zwischen dem Arzt und den Patienten geschlossenen Behandlungsvertrages
zu qualifizieren. Daneben gilt es außerdem den Bereich des öffentlichen Rechts zu
beachten, aus welchem für die Vertragsärzte ebenfalls eine Aufbewahrungspflicht resultiert.
Diese wird wiederum durch § 57 Abs. 3 BMV-Ä ("Die ärztlichen Aufzeichnungen sind vom
Vertragsarzt mindestens 10 Jahre nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren, soweit
nicht andere Vorschriften - z. B. die Verordnung über den Schutz vor Schäden durch
Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung - RöV) - eine abweichende Aufbewahrungszeit vorschreiben.")
bzw. § 13 Abs. 10 EKV ("Der Vertragsarzt hat die Befunde, die Behandlungsmaßnahmen
sowie die veranlassten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung in geeigneter
Weise zu dokumentieren. Die ärztlichen Aufzeichnungen sind mindestens zehn Jahre aufzubewahren,
soweit nicht andere Aufbewahrungsfristen vorgeschrieben sind.") konkretisiert, dessen
Verbindlichkeit sich über die entsprechende Satzung der Kassenärztlichen Vereinigung
ergibt (§ 81 Abs. 3 Nr. 1 SGB V).
Praxisaufgabe ohne Nachfolger
Praxisaufgabe ohne Nachfolger
Wenn ein Arzt seine Praxis schlichtweg aufgibt, ist er, wie bereits dargelegt, standesrechtlich
dazu verpflichtet, eine Aufbewahrung der Unterlagen unter Wahrung der Schweigepflicht
zu gewährleisten. Mithin muss es den Patienten auch in einer solchen Situation weiterhin
möglich sein, ihr Einsichts- und Auskunftsrecht wahrnehmen zu können. Fraglich ist
somit jedoch, wie und vom wem eine ordnungsgemäße Aufbewahrung de Patientenunterlagen
zu gewährleisten ist, wenn der Praxisinhaber verstirbt und sich auch kein Nachfolger
für die Praxis finden lässt, so dass eine vollständige Praxisaufgabe im Sinne einer
Auflösung erfolgt.
In einer derartigen Konstellation gilt es zu beachten, dass die standesrechtliche
Aufbewahrungspflicht mit dem Tod des Praxisinhabers grundsätzlich erloschen ist, da
das Standesrecht selbst nur die Person des Arztes wirksam erfassen kann. Hingegen
gilt es in zivilrechtlicher Hinsicht zu beachten, dass die Praxis mit allen Rechten
und Pflichten, also auch der Aufbewahrungspflicht der Krankenunterlagen, auf die Erben
übergeht (so genannte Gesamtrechtsnachfolge gemäß § 1922 BGB). Strafrechtlich gilt
dies dabei selbst für die Schweigepflicht, an welche der Arzt gemäß § 203 Strafgesetzbuch
(StGB) gebunden war. Hierbei sieht § 203 Abs. 3 StGB explizit eine "Gleichstellungsregelung"
vor, nach welcher nach dem Tod des zur Wahrung des Geheimnisses Verpflichteten, also
des Arztes, derjenige mit diesem gleichgesetzt wird, der das Geheimnis von dem Verstorbenen
oder aus dessen Nachlass erlangt hat.
Bedingt durch diese aus dem Zivilrecht resultierende Gesamtrechtsnachfolge, ist daher
von den Erben zu verlangen, dass sie "wie ein Arzt" alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen,
um eine ordnungsgemäße Aufbewahrung der Krankenunterlagen zu ermöglichen. Wie bereits
dargelegt müssen ärztliche Aufzeichnungen dabei grundsätzlich für die Dauer von 10
Jahren nach Behandlungsabschluss aufbewahrt werden sofern nicht eine längere Aufbewahrungspflicht,
wie beispielsweise in § 28 Abs. 3 RöV, normiert ist. In dieser Norm heißt es dabei
zudem:
"Die zuständige Behörde kann verlangen, dass im Falle der Praxisaufgabe oder sonstiger
Einstellung des Betriebes die Aufzeichnungen und Röntgenbilder unverzüglich bei einer
von ihr bestimmten Stelle zu hinterlegen sind; dabei ist die ärztliche Schweigepflicht
zu wahren."
Ein Fall der "sonstigen Einstellung des Betriebes" dürfte dabei mit dem Tod des Praxisinhabers
vorliegen. Die vorbezeichnete Aufforderung zur Hinterlegung dürfte denknotwendig allerdings
wiederum lediglich gegenüber den Erben geltend gemacht werden können, da nur diese
in der konkreten Situation als Ansprechpartner in Frage kommen.
Anerkannte Aufbewahrungsmöglichkeiten
Anerkannte Aufbewahrungsmöglichkeiten
Sofern also von den Erben gefordert werden kann, dass diese "wie ein Arzt" im Hinblick
auf eine ordnungsgemäße Aufbewahrung alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen, können diese
anerkanntermaßen die nachfolgenden Aufbewahrungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen:
-
Aufbewahrung in den eigenen Räumen, wobei diese Variante unter Umständen problematisch
sein kann, wenn es sich nur um angemietete Räume handelt, für welche der Erbe laut
Mietvertrag nicht der alleinige Zugriffsberechtigte ist.
-
Weitergabe der Behandlungsunterlagen an einen niedergelassenen Kollegen im Einzugsbereich
der geerbten Praxis. Dabei ist allerdings unbedingt an die Einholung der Zustimmung
des Patienten zu denken, da ohne eine solche die Übergabe einsehbarer bzw. nicht gesicherter
Behandlungsunterlagen gegen die ärztliche Schweigepflicht verstößt. Im Übrigen ist
der Abschluss eines Verwahrungsvertrages zu bedenken.
-
Inanspruchnahme eines privaten Archivierungsunternehmens. Auch in diesem Fall muss
die Zustimmung des Patienten vorliegen. Die Begründung hierfür dürfte in der vergleichbaren
Interessenlage hinsichtlich der bereits im Jahre 1991 vom Bundesgerichtshof (BGH)
getroffene Entscheidung bzgl. der Weitergabe von Krankendanten an private Verrechnungsstellen
zu sehen sein. Der BGH nahm bei mangelnder Zustimmung des Patienten ebenfalls einen
Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht an.
-
Aushändigung an den Patienten. Wie im Folgenden aufgezeigt werden wird, ist diese
Weitergabe der Unterlagen im Ergebnis allerdings nicht unproblematisch.
Aushändigung der Unterlagen an den Patienten
Aushändigung der Unterlagen an den Patienten
Neben den vorbenannten Möglichkeiten stellt sich die Frage, ob es den Erben nicht
der Einfachheit halber gestattet sein könnte, die Unterlagen schlichtweg dem Patienten
selbst auszuhändigen. Sofern man hierbei die auf der Ebene des Zivilrechts entstandene
Aufbewahrungspflicht heranzieht, erscheint eine solche Aushändigung in der Tat rechtlich
unbedenklich. Insoweit erweist sich die Aufbewahrungspflicht in diesem Rahmen als
eine konkludente Nebenpflicht des zuvor geschlossenen Behandlungsvertrages. Sofern
der Patient die Originalunterlagen jedoch entgegennimmt, kann dies im Ergebnis als
Verzichtserklärung in Bezug auf die Erfüllung dieser ursprünglich begründeten Pflicht
qualifiziert werden. Ein derartiger Verzicht dürfte aber ohne Weiteres möglich sein,
da die Pflicht zur Aufbewahrung auf zivilrechtlicher Ebene vornehmlich zur Geltendmachung
etwaiger Schadensersatzansprüche, d.h., zum Schutz des Patienten und zu seinen Gunsten
besteht. Folglich vergibt dieser aber nichts, wenn er die Unterlagen in die eigene
Obhut nimmt. Zudem handelt es sich um eine Pflicht, welche unmittelbar aus dem "Arzt-Patienten"
resultiert. Im Ergebnis dürfte daher nichts dagegen stellen, die "ordnungsgemäße Aufbewahrung"
in diesem Rahmen zur Disposition des Patienten zu stellen.
Fraglich ist allerdings, ob einer derartigen Aushändigung nicht die öffentlichrechtliche
Aufbewahrungspflicht entgegensteht. Auch Pflichten öffentlichrechtlicher Natur sind
grundsätzlich vererblich (Palandt-Edenhofer, BGB, § 1922 Rdnr.40.), wobei der Aufbewahrungspflicht
in diesem Rahmen allerdings ein anders gelagerter Schutzzweck zukommen dürfte als
im zivilrechtlichen Bereich. Insoweit gilt es nämlich zu beachten, dass sich die Normierungen
des Bundesmantelvertrages lediglich auf das Verhältnis zwischen den Vertragsärzten
und Krankenkassen beziehen. Sofern sich aber aus diesen Bestimmungen keinerlei Rechte
und Pflichten für den Patienten ergeben, ist auch nicht ersichtlich, mit welcher Begründung
für diesen die Art und Weise der ordnungsgemäßen Aufbewahrung der Unterlagen zur Disposition
stehen sollte. Eine Übergabe von Röntgenausnahmen an den Patienten selbst dürfte daher
unter diesem Aspekt durchaus problematisch und damit letztlich abzulehnen sein.
Nichts desto trotz wird die Aushändigung der Krankenunterlagen an den Patienten derzeit
von der Bundesärztekammer durchaus empfohlen. Die Aushändigung sollte dabei allerdings
unbedingt schriftlich festgehalten und durch den Patienten bestätigt werden.
Exkurs: Insolvenz
Exkurs: Insolvenz
Verstirbt der Praxisinhaber und wird die Praxis auf Grund von Insolvenz endgültig
aufgelöst, so kommt den Krankenunterlagen grundsätzlich kein wirtschaftlicher Wert
zu. In der Konsequenz handelt es sich bei diesen folglich um kein Vermögen, welches
zugunsten der Gläubiger verwertet werden könnte. Etwas anderes würde nur gelten, wenn
die Praxis erhalten bliebe. Mithin werden diese Unterlagen in einer derartigen Konstellation
aber auch nicht vom Insolvenzrecht erfasst, welches sich eben lediglich auf das Vermögen
einer natürlichen oder juristischen Person bezieht.
Wäre die Praxis auf Grund der Insolvenz noch zu Lebzeiten des Praxisinhabers aufgelöst
worden, hätte dieser auch weiterhin seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Aufbewahrung
der Unterlagen nachkommen müssen(Stichwort "gehörige Obhut"). Auf Grund seines Todes
geht diese, wie bereits ausgeführt, daher also auch in dieser Konstellation entsprechend
auf die Erben über.
Einstandspflicht des Staates
Einstandspflicht des Staates
Für den Fall, dass keine Erben vorhanden sind oder diese das Erbe ausschlagen, obliegt
die Pflicht zu ordnungsgemäßen Aufbewahrung grundsätzlich dem Fiskus (vgl. § 1936
BGB). Dieser tritt allerdings ebenfalls ein, wenn zwar Erben existieren, diese aber
zu einer sicheren Aufbewahrung weder Willens noch in der Lage sind. In einer derartigen
Situation lassen sich die Patientenunterlagen letztlich gleichsam als faktisch herrenlos
qualifizieren wie bei von vorneherein nicht vorhandenen Erben, so dass sich ein öffentliches
Interesse an einer ordnungsgemäßen Aufbewahrung ergibt. Insoweit wird die je nach
Einzelfall zuständige Ärztekammer die Unterlagen ihrerseits in Obhut nehmen und gegen
Gebühr archivieren sowie verwalten (vgl. z.B. Gesamtübersicht nach der aktuellen Gebührensatzung
der Ärztekammer Schleswig-Holstein ab 01.01.2007, Aufbewahrung von Arztunterlagen:
pro Patientendokumentation 0,50 €, pro Arztpraxis höchstens 2.500,00 €).