Handchir Mikrochir Plast Chir 2009; 41(1): 1
DOI: 10.1055/s-2008-1039311
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Vom Sulcus-ulnaris- zum Kubitaltunnelsyndrom (KuTS)

From Sulcus Ulnaris to Cubital Tunnel Syndrome – A New/Old ConceptH. Assmus
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Publication Date:
17 February 2009 (online)

H. Assmus

Obwohl die Kompression/Läsion des N. ulnaris bereits seit dem 19. Jahrhundert, d. h. lange vor dem Karpaltunnelsyndrom bekannt ist (Bartels 2001), wird das zweithäufigste Kompressionssyndrom eines peripheren Nervs bis heute kontrovers gesehen.

Schon in den 50er-Jahren hatten die kanadischen Neurochirurgen Feindel und Stratford (1958) die einfache Dekompression bei posttraumatischen Fällen durchgeführt und den Begriff des „cubital tunnel syndrome“ geprägt. Ein Jahr zuvor hatte Geoffrey Osborne aus Liverpool das nach ihm benannte Band zwischen medialem Epikondylus und Olekranon beschrieben und erfolgreich durchtrennt, was seinerzeit von Sir Herbert Seddon folgendermaßen kommentiert wurde: „the new concept might well prove to be a significant discovery“ (Osborne 1957). Warum der „pathogene“ Sulkus die pathogenetischen Vorstellungen im deutschsprachigen Raum jahrzehntelang dominierte, ist nur schwer nachvollziehbar. Eine bereits 1981 vorgetragene und publizierte größere Fallstudie zur einfachen Dekompression, der eine weitere folgte (Assmus 1981, 1994) fand keine Beachtung. Erst in den letzten Jahren setzte vielleicht als Folge der zunehmenden Verlagerung der Eingriffe in den ambulanten Bereich und zuletzt auch unter dem Eindruck mehrerer randomisierter Studien und der endoskopischen Dekompression ein Umdenken ein. Die korrekt durchgeführte Verlagerung bleibt eine Indikation und wirksame Behandlung für bestimmte Fälle, in der Mehrzahl der Eingriffe ist die In-situ-Dekompression heute jedoch die Therapie der Wahl. Der leider noch weit verbreitete, anatomisch inkorrekte Begriff Sulcus-nervi-ulnaris-Syndrom, der den Ort der Läsion beziehungsweise Kompression nur unzulänglich bezeichnet und der Verlagerungsprozedur Vorschub leistet, sollte verlassen werden. Auch der von neurologischer Seite gebrauchte verschwommene und etwas sperrige Begriff „Ulnarisneuropathie am Ellenbogen“ (UNE) ist wenig hilfreich, da er eine klare Stellungnahme vermeidet.

Nicht nur die therapeutischen, sondern auch die diagnostischen Verfahren wurden kontrovers beurteilt. Zwar wird die Neurografie noch als Goldstandard angesehen, doch sind Untersuchungstechniken und Normalwerte bis heute nicht unumstritten. Dies hat vor allem etwas mit der schwierigen Untersuchbarkeit des streckenweise von Muskelmasse überdeckten Nervs zu tun, die zu erheblichen Ungenauigkeiten führen beziehungsweise eine genaue Lokalisation der Läsion unmöglich machen kann. Durch die zunehmend verbesserte Auflösung der bildgebenden Verfahren Neurosonografie und MRT ergeben sich neue diagnostische Möglichkeiten, die noch lange nicht ausgeschöpft sind. Hierauf wird in zwei Beiträgen führender Experten auf diesen Gebieten eingegangen. Zunehmendes Interesse gewinnen auch minimalinvasive Techniken bei der Operation des Kubitaltunnelsyndroms. Eine endoskopisch assistierte Technik (Hoffmann und Siemionow 2006) wird in zwei Beiträgen untersucht und zur Diskussion gestellt. Mit der Publikation randomisierter Studien zur offenen (einfachen) Dekompression im Vergleich zu Verlagerungsprozeduren waren schließlich auch die Voraussetzungen zur Entwicklung einer Leitlinie gegeben. Eine Übersichtsarbeit, die auf der neuen S3-Leitlinie basiert und an der sieben Fachgesellschaften beteiligt sind, gibt den derzeitigen Wissensstand über das KuTS wieder.

Alle Fortschritte dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass die operativen Ergebnisse schlechter sind als die des Karpaltunnelsyndroms. Um hier eine Verbesserung zu erreichen, müssen einmal die diagnostischen Verfahren konsequent ausgeschöpft und die Differenzialdiagnosen bedacht werden, zum anderen gilt es, die prognostisch ungünstigen Späteingriffe zu vermeiden und die Indikation zur Dekompression früher zu stellen und die Indikation für die Verlagerung bei bestimmten posttraumatischen Fällen besser herauszuarbeiten. Hierzu werden weitere kontrollierte Studien erforderlich sein. Darüber hinaus sollte jedem Operateur bewusst sein, dass die korrekt durchgeführte Ulnarisverlagerung zu den technisch anspruchsvolleren Eingriffen zählt und mit erheblichen Risiken behaftet sein kann. Ergänzt wird das Thema noch durch einen Beitrag des Nestors der peripheren Neurologie in Deutschland zu dem weitaus umstritteneren „algetischen Supinatorsyndrom“, bei dem ebenfalls die Gefahr einer nicht adäquaten Therapie besteht.

Dr. med. H. Assmus

Praxis für periphere Neurochirurgie

Ringstraße 3

69221 Dossenheim

Email: hans-assmus@t-online.de

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