Handchir Mikrochir Plast Chir 2008; 40(4): 217-218
DOI: 10.1055/s-2008-1038892
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Brustrekonstruktion mit autologem Gewebe: Aktuelle operative Standards und neue Verfahren

Breast Reconstruction with Autologous Tissue: Current Operative Standards and New TechniquesH. Fansa, R. E. Giunta
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Publication Date:
25 August 2008 (online)

Liebe Leserinnen und Leser,

in den letzten zehn Jahren hat sich die Behandlung des Mammakarzinoms fundamental verändert. Die Veränderungen haben aber nicht nur inhaltlichen Charakter, sondern folgen durch die Einführung von zertifizierten Brustzentren in Deutschland auch neuen strukturellen Gegebenheiten. Leitlinienorientiert haben sich differenzierte Behandlungsmodi etabliert, die idealerweise nicht mehr nur vom einzelnen Arzt bestimmt und verantwortet, sondern im interdisziplinären Brustzentrum beraten und umgesetzt werden. Die Zertifizierung solcher Zentren sieht vor, dass nach gegenwärtig gültigen S3-Leitlinien gearbeitet werden sollte. Ausnahmen bedürfen einer Begründung. Neben einer Mindestfallzahl und präzisen fachlichen Qualifikationen der Operateure werden konkrete Ziele gefordert: so sollen beispielsweise drei Jahre nach der Zertifizierung mehr als 70 % aller pT1-Tumoren brusterhaltend operiert werden. Die brusterhaltende Therapie (BET) ist somit fest in der operativen Therapie verankert.

H. Fansa

R. E. Giunta

Explizit wird aber auch die Brustrekonstruktion mit abgebildet und damit die Beteiligung des Plastischen Chirurgen gefordert. Sowohl strukturelle Voraussetzungen wie auch operative Verfahren werden für die Zertifizierung definiert. Gefordert werden einerseits die klassischen Verfahren wie die zweizeitige Expander-Implantat-Rekonstruktion, die gestielte M. latissimus dorsi- und die gestielte TRAM-Lappenplastik, die noch immer ihren Platz in der rekonstruktiven Therapie haben. Darüber hinaus fordert Onkozert für die Patientinnen auch ausdrücklich den Zugang zu mikrochirurgischen Verfahren [1]. Damit gehören Plastische Chirurgen wenn nicht zum Kernteam, so dann doch zwingend als Kooperationspartner zum weiteren Mitgliederkreis eines Brustzentrums. Diese Rolle verlangt weit mehr als nur die Fähigkeit, eine Brust neu formen zu können. Sie fordert Kenntnis über alle Indikationsstellungen, Behandlungspfade, adjuvant systemische Therapien und Strahlentherapie und nicht zuletzt über die Prognoseeinschätzung.

Brustrekonstruktionsverfahren verschiedener Art sind grundsätzlich sowohl primär als Sofortrekonstruktion, als auch sekundär nach Abschluss der onkologischen Behandlung möglich. Oft wird behauptet, die Wahrscheinlichkeit für ein Lokalrezidiv sei nach einer Brustrekonstruktion mit körpereigenem Gewebe erhöht, allerdings ohne dass dafür eine wissenschaftliche Evidenz vorliegt. In der Arbeit von Kropf et al. in diesem Heft wird keine erhöhte Rate von Lokalrezidiven bei primärer Rekonstruktion mit autologem Gewebe nachgewiesen. Damit wird die Sicherheit von Brustrekonstruktionsverfahren mit autologem Gewebe unterstrichen.

Während im deutschsprachigen Raum Sofortrekonstruktionen noch zurückhaltend angewandt werden, betonen Chang und Ferguson vom M. D. Anderson Cancer Center in Houston die Sicherheit und ästhetische Überlegenheit des einzeitigen Aufbaus. Dies erscheint insoweit logisch, als dass die primäre mikrochirurgische Wiederherstellung gedanklich lediglich als eine erweiterte BET betrachtet werden könnte. Die Rate der Lokalrezidive hängt damit letztlich nicht von der Art der Brustrekonstruktion ab, sondern vielmehr vom Ausgangsbefund (Größe des Tumors, Lymphknotenstatus, Differenzierung etc.). Chang und Ferguson stellen fest, dass im Hinblick auf die frühzeitige Diagnose eines Lokalrezidivs primär gemeinsam im onkologischen Team die richtige Auswahl der geeigneten Patientin für eine Brustrekonstruktion und eine engmaschige Nachkontrolle entscheidend sind.

Welche Lappenplastiken sind heute als Standard anzusehen? Die freie, muskelsparende TRAM- und die A. epigastrica inferior-basierte Perforans-Lappenplastik (DIEP-Lappen) sind heute sogenannte „State-of-the-art“-Techniken, die sich auch in vielen Zentren in Deutschland durchgesetzt haben. Sie vereinen in der Hand des geübten Operateurs geringe Komplikationsraten und hohe Patientenzufriedenheit. Aber nicht nur die Sicherheit von freien Lappenplastiken unter standardisierten Bedingungen (Verlustrate < 3 %, Nahabedian, M. Y., und Schwartz, J.) sowie der geringe Hebedefekt definieren den Erfolg der Brustrekonstruktion mit körpereigenem Gewebe, sondern darüber hinaus auch die ästhetischen Anforderungen an die rekonstruierte Brust: Der bloße Anspruch, dass eine Brust grundsätzlich wiederhergestellt wird, darf dem Plastischen Chirurgen nicht genügen. Vielmehr sollte eine rekonstruierte Brust auch möglichst natürlich, ästhetisch und vor allem auch symmetrisch zur Gegenseite sein. Gerade weil mikrochirurgische Rekonstruktionsverfahren diesen hohen Anforderungen an das Ergebnis genügen können, sind sie anderen Verfahren mit Implantaten überlegen. Dem Leitsatz von Sir Harold Gillies folgend, „losses have to be replaced in kind“, erlauben freie Lappenplastiken und der Einsatz körpereigenen Gewebes die Rekonstruktion einer brustähnlichen Konsistenz, Haptik und Form, die zudem gerade für die jüngeren Patientinnen einen dauerhaften Zustand darstellt.

Neben der Transplantation von Unterbauchfettgewebe haben sich verschiedene Alternativen etabliert, deren Rolle in der Brustrekonstruktion noch endgültig zu bewerten sein wird, und die noch nicht in jedem Brustzentrum angeboten werden. Zwei davon werden in diesem Heft näher beleuchtet: Gewebe aus dem Gesäß, perfundiert über Perforansgefäße entweder aus dem superioren oder inferioren Glutealarteriensystem (S‐GAP oder I‐GAP) und Gewebe aus der Oberschenkelinnenseite/inferioren Glutealfalte, durchblutet über Perforansgefäße aus dem Stil des M. gracilis (transverser myokutaner Gracilis, TMG). Letztlich bleibt die operative Technik ähnlich, Auswirkungen haben die verschiedenen Verfahren aber auf die Indikationsstellung, Hebestelle, Gewebekonsistenz und ‐formbarkeit. So kann mit dem TMG lediglich eine kleine bis mittelgroße Brust wiederhergestellt werden. Auch die Hebeareale von S‐GAP und I‐GAP sind mit anderen Hebedefekten verknüpft als die Entnahme von Fett vom Unterbauch.

Mit dem gerne tradierten Vorurteil, mikrochirurgische Lappenplastiken seien unsichere, langwierige und komplikationsträchtige Operationen, können wir nicht nur aufgrund unserer eigenen Erfahrung, sondern auch auf Basis valider Daten aufräumen: die mikrochirurgischen Brustrekonstruktionen sind in der Hand der erfahrenen Plastischen Chirurgen für die Patientinnen sichere und ästhetisch ansprechende Verfahren.

Die Etablierung interdisziplinärer Brustzentren in Deutschland in den letzten Jahren hat gezeigt, dass der Plastische Chirurg gefordert ist, seine Kompetenz in der Brustrekonstruktion als Partner einzubringen. Gerade bei komplexeren Fällen ist es sinnvoll, alternative Lappenplastiken mit in den Behandlungsalgorithmus aufzunehmen, um die individuellen Vorteile dieser Lappenplastiken für die Patientinnen nutzen zu können. Nur der enge interdisziplinäre Schulterschluss im Brustzentrum unter Einbindung der Expertisen des Plastischen Chirurgen in der Brustrekonstruktion ermöglicht heutzutage eine Behandlung, die nach onkologischen und plastisch-chirurgischen Gesichtspunkten als „State of the Art“ anzusehen ist. Die enge Anbindung der Plastischen Chirurgie ist daher als unverzichtbarer Motor für den Erfolg von Brustzentren zum Wohle der Patientinnen weiter zu forcieren.


Wir freuen uns, Ihnen hiermit ein sehr interessantes Heft zum Schwerpunktthema Brustrekonstruktion rechtzeitig vor den Jahreskongressen im Herbst vorlegen zu können, und danken herzlich allen beteiligten Autoren und Gutachtern sowie dem Gastherausgeber Hisham Fansa für deren Engagement bei diesem Projekt.

Literatur

Priv.-Doz. Dr. med. Hisham Fansa

Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, Handchirurgie
Städtische Kliniken Bielefeld Mitte

Teutoburger Straße 50

33604 Bielefeld

Email: hisham.fansa@sk-bielefeld.de

Priv.-Doz. Dr. med. Riccardo E. Giunta

Klinik und Poliklinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie
Klinikum rechts der Isar
Technische Universität München

Ismaninger Straße 22

81675 München

Email: r.giunta@lrz.tu-muenchen.de

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