Ein typischer Fall
Ein typischer Fall
Plötzlich ist es da, das Gefühl, dass einfach alles zu viel ist. Der Wecker klingelt
viel zu früh, die Nacht war unruhig und wenig erholsam, die Aufgaben des Tages liegen
vor einem wie ein unendlich hoher Berg und die scheinbar einzige Freude des Tages
besteht darin, abends wieder ins Bett gehen zu können.
Frühstück mit den Kindern, Schulbrote (gesund!) schmieren, den Turnbeutel nicht vergessen,
die Fahrt zum Flötenunterricht organisieren, Streit schlichten, die Uhr im Auge behalten,
trösten, antreiben, das Deutschheft suchen, tief durchatmen.
Die Fahrt zur Arbeit wird knapp. Für eine ruhige Tasse Kaffee bleibt keine Zeit. Es
gibt viel zu tun. Viel zu viel. Das Telefon klingelt, die Kollegin hat ein Problem,
der Posteingang türmt sich und die neuen Projekte müssen endlich angegangen werden.
Vorher aber noch schnell das liegen gebliebene Protokoll überarbeiten. Oder vielleicht
doch lieber in der Mittagspause, wenn man seine Ruhe hat?
Die Mutter ruft an, ihre Heizung wird nicht warm, und wo ist eigentlich die Nummer
vom Hausmeister?Die Teamsitzung beginnt gleich, alles soll neu und effizienter werden,
weitere neue Projekte den Durchbruch bringen. Gute Ideen sind gefragt und engagierter
(wacher!) Arbeitseinsatz. Nichts für Teilzeitkräfte. - Warum hat die Kollegin vorhin
nur so komisch geguckt? Und sind zu Hause eigentlich alle Fenster zu, bei dem Regen?
Blöd, schon wieder ein Fehler in der Abrechnung. Hoffentlich merkt das keiner. Nun
also noch einmal mit Ruhe und Konzentration. Am besten in der Mittagspause…
Wieder ein Tag im Hamsterrad: Die Mittagspause fällt flach, die Arbeitszeit wird überzogen, die Kinder (gewünscht
und geliebt!) auf letzten Drücker abgeholt. Einkaufen, kochen, essen, Schularbeitenhilfe,
Hausmeister anrufen, Mutter beruhigen, Geburtstagsgeschenk besorgen, saubermachen,
Wäsche waschen, Flöte üben, drei Worte mit dem Partner.
Bei der Tagesschau schon fallen die Augen zu. Ein wenig Duseln auf dem Sofa und dann
ins Bett. Endlich! Traumloser Tiefschlaf die ersten Stunden, dann plötzlich wach.
Die Gedanken routieren, der Wecker tickt, in zwei Stunden beginnt der nächste Tag…
So oder ähnlich beschreiben viele Frauen ihren Alltag zwischen Familie und Beruf:
Immer gefordert, wenig Pausen, verantwortlich für alles. Keine Zeit für sich und die
lustvollen Dinge des Lebens, keine Musse einfach mal nur aus dem Fenster zu schauen
ohne daran zu denken, dass mal wieder die Scheiben geputzt werden müssten, abgeschnitten
von interessanten, engagierten Projekten im Beruf, abgehängt auf der Karriereleiter,
eine unbefriedigende Partnerschaft und Kinder, die heranwachsen, ehe man es sich versieht.
„Was soll das alles?” ist die zentrale Frage, die sich diese Frauen müde stellen. „Eigentlich müsste ich
doch zufrieden sein. Ich habe einen Beruf, Kinder, einen Mann. Wir leiden keine Not,
und doch frage ich mich, was das alles soll.”
Das chronische Erschöpfungssyndrom
Das chronische Erschöpfungssyndrom
Die Symptome klingen wie eine Depression oder erst einmal wie eine depressive Verstimmung,
und werden von vielen Ärztinnen und Ärzten in der Regel auch wie eine solche behandelt.
Doch das Phänomen des chronischen Erschöpfungssyndroms greift um sich wie eine Epidemie.
Immer mehr Frauen und Männer klagen über
Und so bringen Pausen, Krankschreibungen und Kuren oft nur eine geringe und kurzfristige Besserung, um dann letztendlich mit dem Eintreten
des Alltags den alten Zustand als noch belastender wahrzunehmen als vorher.
Pathogenese
Tatsächlich leben wir doch in einer Zeit mit unendlich vielen technischen Hilfsmitteln
und mit so viel Freizeit wie nie zuvor. Was lässt Menschen sich also so erschöpfen,
dass sie sich innerlich leer und ausgebrannt fühlen. Wie kommt es zu diesem „Burnout”?
Der 1974 von dem Psychoanalytiker Herbert Freudenberger geprägte Begriff Burnout lässt
das Bild eines Feuers aufkommen, das seine Ressourcen aufgebraucht hat. Oder wie der Hamburger Psychologieprofessor und Burnout-Spezialist Matthias
Burisch sagt: „Nur wer gebrannt hat, kann auch ausbrennen.”
Und tatsächlich sind die so genannten „Ausbrenner” fast immer Menschen, die mit hohem
Engagement und Leistungswillen an eine Sache herangehen.
Und weil zudem das, was sie machen auch besonders gut werden soll, erledigen sie viele
Aufgaben lieber selber, als sie jemand anderem zu überlassen. Im Feuer ihrer Begeisterung
merken sie dann oft den Raubbau ihrer eigenen Kräfte nicht. Sie vergessen, dass Ressourcen
nachwachsen müssen und dafür Hege, Pflege und vor allem Zeit brauchen.
Doch in einer Gesellschaft, in der Leistung und Perfektionismus einen hohen Stellenwert haben und die Sicherung der eignen Existenz bedeuten, in
der erst die Arbeit kommt und dann das Vergnügen und in der Müßiggang aller Laster
Anfang sein soll, ist es schwer, Zeiten der ruhigen Absichtslosigkeit zu entfalten.
Wie im 19. Jahrhundert, beim Übergang in die Industrialisierung, die so genannte Neurasthenie
oder auch Nervenschwäche als eine neue Krankheit große Verbreitung fand, so scheinen
heute die immensen Anforderungen beim Übergang in die Informationsgesellschaft ebenfalls die persönlichen Ressourcen
zu erschöpfen.
Rastlos, um den Zug der Zeit nicht zu verpassen, geht es darum, schneller als die
anderen die neusten elektronischen Entwicklungen für sich zu nutzen, denn „wer zu
spät kommt, den bestraft das Leben”. Die eigene Existenz hängt ab von einer ständigen
Wachheit und der Bereitschaft, neue Informationen aufnehmen zu können. Schlaflosigkeit
ist die Folge.
Aus dem Hamsterrad des Alltags entwickelt sich auf diese Weise ein weiteres auf der
nervösen Ebene, das aus Überreizung - Schlaflosigkeit - Übermüdung - Fehlerhäufung
- Mehrarbeit - Überreizung - etc besteht, und das stetige Erschöpfen der persönlichen
Ressourcen vorantreibt.
Doch ein Feuer brennt nicht nur aus, wenn seine Ressourcen erschöpft sind, sondern
auch dann, wenn es gedeckelt wird. Menschen, die ihre besonderen Fähigkeiten nicht
nutzen können, weil die Lebensumstände sie offenbar zwingen, eine Tätigkeit unterhalb
ihrer Leistungsfähigkeit auszuüben, können sich ebenfalls mit ihren eigenen Bedürfnissen
so weit reduzieren, dass ihr inneres Feuer dabei erstickt. Gerade diejenigen, die
mit hohem Enthusiasmus und Leistungswillen an ihre neuen Aufgaben in Beruf und Familie
herangehen, leiden oft schon bald unter der alltäglichen Routine und den mangelnden Herausforderungen.
Fehlt dann zudem noch die entsprechende Wertschätzung und Anerkennung von Kollegen, Vorgesetzten oder Partnern, bauen sich Enttäuschung, Langeweile und
Lustlosigkeit immer weiter auf und die Frage nach dem Sinn des Ganzen wird gestellt.
Lässt sich an der belastenden Situation langfristig nichts ändern, kommt es häufig
zu einem inneren Rückzug, und oftmals drückt sich eine zunehmende Verbitterung durch zynisch bissiges Verhalten
sich selbst und den Mitmenschen gegenüber aus. Die Verbundenheit mit Familie, Freundeskreis
und Betrieb beginnt sich zu lösen, und eine wichtige Gesundheitsressource geht auf
diese Weise verloren.
Chronische Müdigkeit, Überdruss und Verspannungen machen sich breit. Eigene Bedürfnisse werden vernachlässigt und oft schon gar nicht mehr gefühlt. Die Leistungsfähigkeit
sinkt, Fehler nehmen zu, Kollegen distanzieren sich möglicherweise. Gefühle von Unzulänglichkeit
und Scham führen zu weiterem Rückzug. Das innere Feuer beginnt zu ersticken. Ein Burnout
droht.
Checkliste zur Selbstkontrolle
Checkliste zur Selbstkontrolle
Die klinischen Symptome eines Burnout-Syndroms sind so vielfältig, dass man nicht
unbedingt von einem klassischen Verlauf sprechen kann. Nach unseren Erfahrungen im
Institut für Burnout-Prävention (IBP-Hamburg) können jedoch insbesondere die in der
Burnout-Checkliste nach der Überdruss-Skala von Aronson et al. 1983 (siehe nächste Seite) enthaltenen
Punkte Hinweise darauf sein.
Auswertung:
-
Wenn Ihr errechneter Wert zwischen 2 und 3 liegt, geht es Ihnen gut.
-
Wenn Sie einen Wert zwischen 3 und 4 erreichen, erleben Sie Ausbrennen und Überdruss und sollten unbedingt etwas dagegen
tun. Seminare zum Work-Life-Balancing wären dann z. B. ein passendes Angebot für Ihre
Burnout-Prävention.
-
Wenn Ihr Wert 5 Punkte und mehr beträgt, ist Ihre Krise akut und Sie sollten ärztlichen Rat einholen.
Prävention und Therapie
Prävention und Therapie
Ein Feuer, das vollständig erloschen ist, lässt sich selbstverständlich nur schwer
wieder anfachen. Hier muss nach der Säuberung des Platzes alles neu aufgebaut, behutsam
wieder in Gang gebracht und aufmerksam gehütet werden. Und es dauert lange, bis so
ein Feuer wieder richtig wärmt und leuchtet. Menschen mit einem vollendeten Burnout fallen nahezu vollständig und in der Regel für lange Zeit aus allen Arbeitsbezügen
heraus. Aufwändige Aufenthalte in Kurkliniken und Sanatorien mit Psycho- und Physiotherapie
sind in der Regel oft erst einmal notwendig, um überhaupt eine Grundlage für die aktive
Veränderung der eigenen Lebenssituation zu schaffen. Und trotz allem kehren viele
Betroffene nicht mehr in ihr altes Erwerbsleben zurück.
Ist allerdings noch Glut vorhanden, so genügt es manchmal, diese frei zu legen und mit gutem Brennmaterial und Sauerstoff
zu versorgen, damit das Feuer wieder zu prasseln beginnt. So geht es bei der Gesundheitsvorsorge
im Bereich des Burnouts (selbstverständlich neben gesunder Ernährung und viel Bewegung
an frischer Luft) tatsächlich wesentlich darum, die Frage nach dem Sinn und der Bedeutsamkeit
der eigenen Lebensziele zu stellen. „Wo will ich hin? Und wie kann ich meinen inneren Reichtum der Welt zum
Geschenk machen?” ist das zentrale Thema in dem sich persönliche Freiheit und Selbstbestimmung
ausdrücken.
Die Verstehbarkeit der derzeitigen Lebenssituation spielt dabei eine wichtige Rolle. „Wann und wie habe ich die Bestimmung über meinen
inneren Reichtum anderen überlassen? Wann und wie bin ich in die Anpassung gegangen?
Und wo kann ich jetzt anknüpfen?”
Und als drittes geht es natürlich um die Handhabbarkeit.
-
Auf welche Weise kann ich mir meinen inneren Reichtum jetzt wieder zurück erobern?
-
Welche, scheinbar unscheinbaren, manchmal ziemlich versteckten Ressourcen habe ich
ganz persönlich dafür zur Verfügung?
-
Welche kleinen, ganz konkreten Schritte kann ich jetzt schon gehen, damit meine Bedürfnisse
wieder in den Vordergrund geraten?
-
Welche Hebel kann ich in Bewegung setzen, welche Stellschrauben verändern, damit mir
ohne große Kraftanstrengung neue Energien entgegenkommen?
-
Und wann und wie will ich endlich wieder damit beginnen, „ich” und „nein” zu sagen?”
Diese Rebellion fällt natürlich gerade den gut funktionierenden, perfekt Angepassten,
den Leistungsbereiten, den Engagierten, den Perfektionisten, den Hilfsbereiten - den
typischen Ausbrennern eben - ganz besonders schwer. Leicht fällt sie dagegen den unangepassten,
aktiven und kreativen Künstlern.
Deshalb bedeutet Burnout-Prävention im Sinne einer veränderten Work-Life-Balance nicht
unbedingt weniger zu arbeiten und Däumchen zu drehen, sondern neue Schwerpunkte zu
setzen, evtl. sogar mehr oder anders zu arbeiten, Spielräume zu entfalten und letztendlich
zum Lebenskünstler zu werden.