Surveillance will gekonnt sein …
Surveillance muss gewollt sein …
nur gemusst - sollte sie nicht sein!
Mit Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) ist eine Surveillance zur Verpflichtung
geworden - mit allem Für und Wider. Aber eben nur „eine” und nicht „die”! Die zu beobachtenden
Varianten in der Umsetzung zeigen deutlich Nutzen wie Gefahren auf. Nicht überall
wurde verstanden, was die Initiatoren wollten: allen, die an Patienten invasiv und
damit risikobeladen tätig sind, ein Instrument an die Hand geben, um ihr eigenes Tun
verantwortungsvoll und selbstkritisch zu begleiten. Nicht selten wird dies jedoch
gar nicht gewollt oder die Surveillance wird lediglich als eine zu erfüllende, vielleicht
sogar lästige Pflicht angesehen, der man sich am einfachsten dadurch entledigt, dass
man streng 1 zu 1 - und damit automatisch unkritisch - entsprechende Empfehlungen
in die Praxis umzusetzen versucht, eventuell gar nur mit dem Ziel, das eigene Gesundheitsamt
zufriedenzustellen. Die Hilfe zur Selbsthilfe mit dem Kürzel „KISS” wird hierbei dann
als Feigenblatt missbraucht - in manchen Bundesländern sogar verpflichtend auf der
Basis einer Verordnung.
Diese KISS-Methode wurde in Deutschland durch das Nationale Referenzzentrum für Surveillance
zur Erfassung mit dem Ziel etabliert, eine einheitliche, nach standardisierten Kriterien
durchzuführende Erfassung zu ermöglichen. Als Ergebnis eines solchermaßen einheitlichen
Vorgehens auf freiwilliger Basis erhofft man sich den Aufbau eines Datenpools, der
primär zur (fortlaufenden) Beurteilung der eigenen Daten, in zweiter Linie aber auch
für ein „Benchmarking” - d. h. Vergleich mit anderen, vergleichbaren Kliniken/Abteilungen
- geeignet sein soll. Voraussetzung für Letzteres sind einheitliche Erfassungskriterien
und ehrliche Daten, für deren Qualität die Erfasser selbst verantwortlich sind. Nur
dies ermöglicht die für ein solches Benchmarking zwingend notwendige Qualität des
Datenpools.
Unter den für die Erfassung verwendeten Infektionsdefinitionen ist der Erregernachweis
ein wesentlicher Bestandteil, womit die mikrobiologische Diagnostik als Grundlage
für ein effektives Infektionsmanagement weiter an Bedeutung gewonnen hat.
In dem Beitrag von R. Ziegler in diesem Heft wird an Beispielen dargelegt, wie irreführend
mikrobiologische Befunde bei unkritischer Interpretation sein können und welch weitreichende
Konsequenzen dies haben kann. Eine Optimierung erscheint dringend erforderlich, aber
nur realisierbar, wenn die Zusammenarbeit zwischen behandelndem Arzt und klinischem
Mikrobiologen in der im Beitrag beschriebenen Weise intensiviert werden kann. Als
ganz wesentlich hierfür zeigt sich zukünftig die klinische Zuordnung der isolierten
Keime zu „Kontaminanten”, „Kolonisationskeimen” und „Infektionserregern”. Nur Letztere
sollten in einer Keim- und Resistenzstatistik Verwendung finden, die üblicherweise
dem Kliniker als Basis für eine sogenannte „kalkulierte” Primärtherapie bei vergleichbaren
Indikationen dient. Diese Zuordnung kann aber nur vom Kliniker selbst geleistet werden.
Derart bereinigte Analysen dürften sich jedoch im Ergebnis grundlegend von den bislang
übermittelten Statistiken unterscheiden, insbesondere, wenn sie nach Infektionsarten
getrennt ausgewertet werden. Diese Analysen wären damit sicher besser als Grundlage
für eine kalkulierte Antibiotikatherapie vor Kenntnis des Infektionserregers geeignet.
Würden sich dann vielleicht auch die gegenwärtigen Therapieversager trotz „adäquater
Antibiose” erklären? Die Kostenrelevanz läge auf der Hand, was die Kooperationsbereitschaft
des Klinikers zusätzlich fördern dürfte.
Der § 23 verpflichtet darüber hinaus aber auch zur systematischen Erfassung und Bewertung
von Infektionserregern mit speziellen Antibiotikaresistenzen. Das Ziel hierbei ist
es, den behandelnden Arzt zum kritischen Hinterfragen seiner Antibiotikaverordnungsgewohnheiten
anzuregen. Das Ergebnis kann ebenfalls eine systematische „Surveillance” stationsbezogener
Antibiotikaverordnungen sein; mit einer vergleichenden Verlaufsanalyse von Antibiotikaverbrauch
und Resistenzentwicklung - der Folge ungerechtfertigter Antibiotikagaben - in definierten
Bereichen eines Krankenhauses (SARI).
E. Meyer verweist in ihrem Beitrag auf das Problem von „Outcome-Parametern” einer
Antibiotika-Surveillance. Auch sie macht deutlich, wie schwierig ein Vergleich der
eigenen Daten mit den Vergleichsdaten anderer Intensivstationen ist, und dass hier
noch dringlicher die fachärztliche, kritische Interpretation der eigenen Daten vor
einer Bewertung vonnöten ist. Insbesondere die sich zunehmend verändernden Eigenschaften
von Infektionserregern (s. auch den Beitrag von H. Linde und N. Lehn in diesem Heft)
und damit einhergehend die schwieriger oder teurer werdenden Therapien belegen, dass
Krankenhaushygiene heute eine andere Herangehensweise erfordert, als über Konzepte
von rein und unrein, albernen roten Strichen auf Fußböden (von manchen Aufsichtsbehörden
immer noch gefordert), flächendeckender Desinfektionsmittelanwendung, Schleusen oder
Klimaanlagen.
Durch die Beiträge in diesem Heft wird erneut deutlich, warum Krankenhaushygieniker
infektiologisch ausgebildete Ärzte (Humanmediziner) sein müssen, die kontinuierlich
in Kontakt mit ihren klinischen Kollegen stehen und regelmäßig bei Visiten mitgehen.
Reine Surveillance-Statistik im Kämmerlein ist ebenso wenig hilfreich wie rein theoretische
„Hygieneempfehlungen” aus klinikfernen Institutionen. Gefragt sind Handlungs- und
Verhaltensregeln, die sich ausschließlich an den Erregereigenschaften und der persönlichen
Situation des Patienten zu orientieren haben: KISS und SARI als Fundamente für ein
Infektionsaudit durch qualifizierte Krankenhaushygieniker mit dem Kliniker als zentral
Verantwortlichen.
Solche Hygieneempfehlungen bedürfen in Zeiten knapper Kassen aber einer situationsgerechten
Anwendung, was häufig Modifikationen erforderlich macht. In dem Beitrag von I. Kappstein
werden nicht nur für einen Bereich die hierfür maßgeblichen Aspekte aufgezeigt und
diskutiert, sondern auch darauf hingewiesen, dass nicht nur die Anwender, sondern
auch die Autoren von Empfehlungen und vergleichbaren Regelwerken mit jener Sorgfalt
zu Werke gehen müssen, die es den Adressaten ermöglicht, den Aussagen das erforderliche
Vertrauen entgegenzubringen. Bei der Erstellung gehören hierzu nicht nur eine umfassende
und kritische Literaturrecherche als Grundlage evidenzbasierter Empfehlungen, sondern
auch klare Evidenzkategorien mit nachvollziehbaren wissenschaftlich belegbaren Definitionen
(reine Konsensusempfehlungen sollten nur noch ausnahmsweise formuliert werden). Die
am Ende des Beitrags aufgeführten Beispiele verdeutlichen, welche Fallstricke zu beachten
sind, und warum Empfehlungen immer nur Hilfestellung sein können und nie Ersatz für
eigenverantwortliches situationsangepasstes Handeln.