Neue, einfach zu handhabende Medikamente könnten schon bald die herkömmlichen Antikoagulanzien
bei der Prophylaxe und Therapie thromboembolischer Komplikationen weitgehend ersetzen.
Dazu gehört Rivaroxaban, dessen Effektivität derzeit in einem großen Studienprogramm
geprüft wird. Den ersten Daten zufolge zeigt der orale, direkte Faktor-Xa-Inhibitor
gegenüber einer Standardmedikation mit niedermolekularem Heparin eine überlegene Wirksamkeit
bei gleicher Blutungsrate.
RECORD 3: Rivaroxaban, gute Wirksamkeit
RECORD 3: Rivaroxaban, gute Wirksamkeit
Dies zeigt die Phase-III-Studie RECORD-3[1] [3]. Darin wurden 2531 Patienten, die sich einer Kniegelenksersatzoperation unterzogen,
doppelblind randomisiert entweder mit Rivaroxaban 10 mg einmal täglich oder mit Enoxaparin
40 mg einmal täglich behandelt. Enoxaparin wurde vor der Operation zum ersten Mal
gegeben, Rivaroxaban sechs bis acht Stunden danach.
"Die Studie zeigt eine signifikante Überlegenheit von Rivaroxaban beim primären Endpunkt,
der sich aus der Rate tiefer Venenthrombosen, nicht tödlicher Lungenembolien und der
Gesamtmortalität zusammensetzt", sagte Dr. Patrick Mouret, Frankfurt. Der Endpunkt
trat bei 9,6 % in der Rivaroxaban- und bei 18,9 % der Patienten in der Enoxaparingruppe
auf. Dies entspricht einer statistisch signifikanten relativen Risikoreduktion um
49 % (p < 0,001).
Auch beim sekundären kombinierten Wirksamkeitsendpunkt, bestehend aus proximaler tiefer
Venenthrombose plus Lungenembolie plus Tod durch eine venöse Thromboembolie, war eine
signifikante Überlegenheit von Rivaroxaban zu sehen. Diesen Endpunkt erreichten 1%
der Patienten unter der oralen Rivaroxabantherapie, während im Enoxaparinarm 2,6 %
der Patienten betroffen waren - das entspricht einer relativen Risikoreduktion von
62% (p = 0,01). Ein weiterer Vorteil für Rivaroxaban ergab sich hinsichtlich der Rate
an symptomatischen venösen Thromboembolien: Diese traten bei 1 bzw. 2,7 % der Patienten
auf. Die relative Risikoreduktion betrug in diesem Fall 64 %.
Rivaroxaban-Studienprogramm
Rivaroxaban-Studienprogramm
Derzeit ist Rivaroxaban der am besten untersuchte orale direkte Faktor-Xa-Inhibitor
in klinischer Entwicklung. Über 15000 Patienten wurden im Rahmen des - inzwischen
abgeschlossenen Phase-II-Studienprogramms - evaluiert bzw. nehmen an den derzeit laufenden
Phase-III-Studien teil. Die wichtigsten Phase-III-Studien des Studienprogramms sind
die RECORD-Studien (Prävention venöser Thromboembolien nach elektivem orthopädischen
Eingriff), die Einstein-Studien (Behandlung venöser Thromboembolien), die ROCKET-AF-Studie
(Schlaganfallprävention bei Patienten mit Vorhofflimmern) und die ATLAS-Studie (Sekundärprävention
bei akutem Koronarsyndrom). Insgesamt werden an dem Rivaroxaban-Studienprogramm voraussichtlich
40000 Patienten teilnehmen.
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Bessere Wirkung nicht durch erhöhtes Blutungsrisiko erkauft
Bessere Wirkung nicht durch erhöhtes Blutungsrisiko erkauft
Die Inzidenz schwerer Blutungen lag bei 0,5 % in der Enoxaparin- und bei 0,6 % in
der Rivaroxabangruppe. Bei 4,9 bzw. 4,8% der Patienten trat überhaupt eine Blutung
auf. Zudem gab es im Rahmen der Studie keine Hinweise auf Sicherheitsbedenken bezüglich
der Leberverträglichkeit von Rivaroxaban. "Die Studie belegt erstmals die Sicherheit
und Wirksamkeit eines oralen direkten Faktor-Xa-Inhibitors zur antithrombotischen
Therapie bei einem festgelegten Dosierungsschema ohne Überwachung der Gerinnungsparameter",
kommentierte Mouret die Studiendaten.
Das Phase-II-Studienprogramm umfasste vier Studien mit insgesamt 2857 Patienten, die
einmal und zweimal täglich verabreichtes orales Rivaroxaban mit einer gesamten Tagesdosis
von 5-60 mg über fünf bis neun Tage gegenüber subkutanem Enoxaparin bei Patienten
mit elektiven Hüft- und Kniegelenkersatzoperationen untersuchten.
Wie Mouret ausführte, ergab sich für die Therapie mit Rivaroxaban ein weites therapeutisches
Fenster und eine vergleichbare Sicherheit und Wirksamkeit wie Enoxaparin über den
gesamten Dosisbereich. Aufgrund der Phase-II-Daten wurde Rivaroxaban 10 mg einmal
täglich zur Untersuchung in den Phase-III-Studien des noch weiter geführten RECORD-Programms
ausgewählt.
Erster Entwicklungsschritt für die orale Faktor-Xa-Hemmung ist erfolgreich
Erster Entwicklungsschritt für die orale Faktor-Xa-Hemmung ist erfolgreich
Warum Studien zur thromboembolischen Prophylaxe vor allem nach größeren orthopädischen
Eingriffen vorgenommen werden, erläuterte Mouret so: Sie gelten bei der Entwicklung
von Gerinnungshemmern als anerkanntes Prüfkonzept für ein neues therapeutisches Prinzip.
Denn zum einen ist die postoperative Antikoagulation mit einem hohen therapeutischen
Nutzen verbunden, da die Risikoreduktion tiefer Venenthrombosen etwa 50 % beträgt.
Zum anderen lässt sich der Therapieerfolg durch validierte Methoden überprüfen.
Auch zur Therapie venöser Thromboembolien gibt es vielversprechende Daten
Auch zur Therapie venöser Thromboembolien gibt es vielversprechende Daten
Eine andere potenzielle Indikation für Rivaroxaban ist die Therapie venöser Thromboembolien.
In einem entsprechenden Studienprogramm wird die klinische Wirksamkeit und Sicherheit
des Faktor-Xa-Inhibitors derzeit geprüft. Die Daten von zwei Phase-II-Studien - zwei
Dosisfindungsstudien - liegen bereits vor, berichtete Prof. Sebastian Schellong, Dresden.
Sowohl in der ODIXa-DVT[2]- als auch in der EINSTEIN-DVT[3]-Studie [1], [2] nahmen Patienten mit proximaler Beinvenenthrombose teil, die Rivaroxaban in unterschiedlichen
Dosisregimen erhielten. Die Patienten der Vergleichsgruppe wurden dagegen entweder
mit einem niedermolekularen Heparin oder einem Vitamin-K-Antagonisten behandelt. Die
Behandlungsdauer betrug jeweils drei Monate.
Ein Unterschied zwischen den beiden Dosisfindungsstudien bestand allerdings: So wurde
in ODIXa-DVT der primäre Endpunkt anhand eines Ultraschallscores bereits nach drei
Wochen bestimmt. In der EINSTEIN-DVT-Studie dagegen war der primäre Endpunkt als Kombination
aus einer Ultraschalluntersuchung der Beinvenen plus des Ergebnisses der Lungenszintigrafie
nach drei Monaten definiert.
Wie Schellong ausführte, dokumentierten beide Studien übereinstimmend die klinische
Wirksamkeit des oralen Faktor-Xa-Inhibitors. Rivaroxaban zeigte sowohl unter der einmal
als auch unter der zweimal täglichen Gabe eine vergleichbare Wirksamkeit zum Komparator.
Rivaroxaban reduzierte unter zweimal täglicher Applikation die Thrombuslast während
der initialen Behandlungsperiode (bis zu drei Wochen).
Daten zur Akutbehandlung und Sekundärprophylaxe werden bald folgen
Daten zur Akutbehandlung und Sekundärprophylaxe werden bald folgen
Das sich jetzt anschließende Phase-III-EINSTEIN-Programm unterteilt sich in eine Akutbehandlungsstudie
an Patienten mit tiefer Beinvenenthrombose und akuter Lungenembolie. Sie erhalten
Rivaroxaban in einer Dosierung von initial zweimal täglich 15 mg und nach drei Wochen
einmal täglich 20 mg. Im nachfolgenden Extensionsprogramm (nach abgeschlossener) Therapie
wird die Sekundärprophylaxe von Rivaroxaban versus Placebo für sechs bis zwölf Monate
untersucht. Das Prüfprogramm soll zirka 7500 Patienten umfassen, die ersten Studienteilnehmer
sind bereits eingeschlossen.
Auf dem Weg zum "idealen" Antithrombotikum
Auf dem Weg zum "idealen" Antithrombotikum
Warum neue antithrombotische Wirkstoffe benötigt werden, erklärte Prof. Rupert Bauersachs,
Darmstadt. Zwar sind die herkömmlichen Antikoagulanzien effektive Medikamente, sie
weisen jedoch zahlreiche Limitationen auf. Zum Beispiel gehören bei den niedermolekularen
Heparinen Dosisanpassungen, eine einmal tägliche subkutane Injektion sowie das Risiko
einer heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) zu den Problemen.
Bei den Vitamin-K-Antagonisten wiederum sind laut Bauersachs vor allem der enge therapeutische
Bereich und die hohe inter- und intraindividuelle Variabilität, die zahlreichen Arznei-
und Nahrungsmittelinteraktionen und das Blutungsrisiko insbesondere in der Initialphase
der Therapie Faktoren, die eine engmaschige Überwachung notwendig machen.
Deshalb wird nach dem "idealen" Antikoagulans gesucht, das oral verfügbar ist, eine
große therapeutische Breite besitzt, spezifisch wirkt und eine zuverlässige Bioverfügbarkeit
aufweist. Weitere Anforderungen sind eine kurze Halbwertzeit und somit eine gute Steuerbarkeit
der Therapie, eine gute Verträglichkeit und kein aufwendiges Überwachen der Laborparameter.
Wie Bauersachs betonte, kommt Rivaroxaban diesen Anforderungen sehr nahe. Der Wirkstoff
greift an einer wichtigen Schaltstelle der Blutgerinnung, dem Faktor Xa, an (Abb.
[1]) - und ist dabei sehr effektiv. Denn ein Molekül Faktor Xa generiert rund 1000 Thrombinmoleküle.
Die Hemmung des Blutgerinnungsfaktors kann demnach frühzeitig und nachhaltig die Thrombinbildung
unterbinden. "Deswegen ist der Faktor Xa ein effektives Ziel für eine Antithrombose",
sagte Bauersachs.
Abb.1 Rivaroxaban greift an einer wichtigen Schaltstelle der Gerinnungskaskade ein
Rivaroxaban ist oral verfügbar und hat eine hohe Affinität zum Faktor Xa. Die Wirkung
tritt schnell ein. Die maximale Wirkstoffkonzentration wird 2,5-4 Stunden nach der
Applikation erreicht. Eine geschlechts- oder eine gewichtsadaptierte Dosisanpassung
ist nicht erforderlich.
Quelle: Symposium: "Innovationen durch orale Antikoagulation mit Rivaroxaban - Neues
aus der Bayer-Forschung", im Rahmen der 36. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft
für Angiologie, unterstützt von der Bayer Vital GmbH, Leverkusen
Dr. Ralph Hausmann, Frankfurt