Rofo 2007; 179(10): 1086-1088
DOI: 10.1055/s-2007-990997
Mitteilungen der DRG
Radiologie und Recht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Anmerkung zum Urteil des OLG Koblenz vom 30.11.2006, Az.: 5 U 209/06 - Haftungsrechtliche Fallstricke bei radiologischen Befundungen

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Publication Date:
25 September 2007 (online)

 
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Einleitung

Der Alltag des Radiologen ist bestimmt durch die Auswertung von Röntgen- oder sonstigen mit bildgebenden Verfahren hergestellten Aufnahmen sowie den Ent-scheidungen über die Erhebung und Sicherung medizinischer Befunde. Dabei unterscheidet die Rechtsprechung mit Konsequenzen für die den Ausgang eines Arzthaftungsprozesses bestimmende Beweislastverteilung auf der einen Seite zwischen einfachen bzw. groben Befundauswertungsfehlern in Abgrenzung zu haftungsrechtlich nicht relevanten Diagnosefehlern und auf der anderen Seite zwischen einfachen bzw. groben Befunderhebungsfehlern.

Während die Rechtsprechung Diagnosefehler nur zurückhaltend als Behandlungsfehler wertet, gelten bei einem Verstoß des Radiologen gegen die Pflicht zur Erhebung medizinisch gebotener Diagnose- und Kontrollbefunde deutlich strengere Anforderungen, weil hier regelmäßig ein Behandlungsfehler angenommen wird. Verschärfend tritt hinzu, dass dieser nicht nur als grober Behandlungsfehler, sondern bereits als einfacher Behandlungsfehler unter bestimmten Voraussetzungen zur Beweislastumkehr führen kann mit der Folge, dass der Radiologe beweisen muss, dass der Gesundheitsschaden des Patienten auch dann eingetreten wäre, wenn er den gebotenen Befund erhoben hätte, was ihm kaum gelingen wird.

Die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Fehlern, die einem Radiologen unterlaufen können, kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten, ist jedoch wegen der unterschiedlichen haftungsrechtlichen Auswirkungen für ihn von äußerster Wichtigkeit. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des OLG Koblenz vom 30.11.2006 (Az.: 5 U 209/06) interessant, da es dort um die Unterscheidung der verschiedenen Behandlungsfehler mit den entsprechenden Konsequenzen für den Radiologen geht und das OLG Fehlinterpretationen von medizinisch gebotenen Befunden im Rahmen eines differenzialdiagnostischen Prozesses die dazu führen, dass eine weitere Abklärung durch zusätzliche diagnostische Maßnahmen nicht erfolgt, als Befundauswertungsfehler und nicht als Befunderhebungsfehler ansieht.

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Befundauswertungsfehler

Unter dem sogenannten Befundauswertungsfehler werden Fehler des Radiologen verstanden, die ihm bei der fehlerhaften Auswertung eines Röntgenbildes oder sonstiger Aufnahmen, die mittels bildgebender Verfahren hergestellt worden sind, unterlaufen. Der Radiologe übersieht dabei einen Befund, der auf dem Röntgenbild zu erkennen war, so dass in der Folge weitere notwendige Behandlungsmaßnahmen des Patienten unterbleiben. Stellt sich später heraus, dass das Röntgenbild unzutreffend interpretiert worden ist, so liegt zunächst nur ein sogenannter Diagnosefehler vor. Allein das Vorliegen einer solchen objektiv unrichtigen Diagnose führt nach der Rechtsprechung nicht zu der Annahme eines Behandlungsfehlers in Form eines Befundauswertungsfehlers, weil dem Radiologen ein eigener Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum in der Diagnostik zugestanden wird. Es besteht daher in der Rechtsprechung - im Unterschied zu Pflichtverstößen bei der Befunderhebung - Zurückhaltung bei der Bewertung von Diagnosefehlern als Behandlungsfehler, weil Irrtümer in diesem Bereich nicht zwingend Folge eines vorwerfbaren Verhaltens des Radiologen sind. Trotz des Einsatzes technischer Hilfsmittel können Diagnosen eben nicht immer eindeutig gestellt werden. Solange Röntgenbilder durchaus nachvollziehbar gedeutet werden, die Diagnose also nicht völlig abwegig, sondern vertretbar ist und der Krankheitsverlauf keine Besonderheiten aufweist, die Kontrollbefunde indizieren, so liegt kein Behandlungsfehler vor. Kommt also ein Sachverständiger im Rahmen eines Arzthaftpflichtprozesses zu dem Ergebnis, dass der Radiologe eine Röntgenaufnahme unzutreffend ausgewertet hat und bejaht das erkennende Gericht allein deswegen einen Behandlungsfehler, so wäre eine solche Entscheidung rechts-fehlerhaft und erfolgsversprechend im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens anzugreifen.

Nur bei unvertretbarer Auswertung des Bildmaterials durch den Radiologen liegt ein Behandlungsfehler vor, wobei es für den Ausgang eines Arzthaftpflichtprozess wegen der Auswirkungen auf die Beweislastverteilung entscheidend darauf ankommen wird, ob es sich um einen einfachen oder groben Befundauswertungsfehler handelt. Sofern die Auswertung des Befundes durch den Sachverständigen als unvertretbar bewertet wird, liegt ein einfacher Befundauswertungsfehler vor. Wenn die Interpretation des Bildes nicht nur unvertretbar ist, sondern darüber hinaus als völlig unverständliche Fehlleistung erscheint, welche einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf, das Verhalten des Radiologen also eindeutig gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse verstößt, so rechtfertigt dies die Annahme eines groben Befundauswertungsfehlers. Um festzustellen, um welche Art von Fehlleistung es sich han-delt, wird ein Sachverständiger Arzt eine medizinische Bewertung des Tatsachenverlaufs vornehmen. Die Bewertung, ob sich der Behandlungsfehler als einfach oder grob darstellt, nimmt das Gericht vor, weil es sich hierbei um eine Rechtsfrage handelt, über die der Sachverständige nicht entscheidet.

Bei einem einfachen Befundauswertungsfehler ist der Patient dahingehend beweisbelastet, dass bei richtiger Diagnose und richtiger Behandlung sein Gesundheitsschaden gar nicht oder nicht in dem Umfang eingetreten wäre. Er muss also den Kausalitätsnachweis führen, was häufig Schwierigkeiten bereitet. Anders und für den Radiologen von erheblichen Nachteil ist die Beweislastverteilung bei Vorliegen eines groben Befundauswertungsfehlers, weil hier der Radiologe nachweisen muss, dass der Gesundheitsschaden bei richtiger Diagnose und richtiger Behandlung des Patienten gleichwohl eingetreten wäre, sich sein Befundungsfehler also nicht kausal ausgewirkt hat. Die Beweisführung ist mühsam und gelingt häufig nicht.

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Befunderhebungsfehler

Der Radiologe bewertet nicht nur erhobene Befunde, sondern ihn trifft auch die Pflicht medizinische Befunde zu erheben und zu sichern. Dies gilt insbesondere dann, wenn die ersten Befunde den Verdacht auf das Vorliegen einer Erkrankung ergeben. Wie bereits dargestellt, stellt die Rechtsprechung bei Befunderhebungs-fehlern deutlich strengere Anforderungen, so dass der Radiologe hier viel schneller in die Haftung gerät. Dies hängt vorallendingen damit zusammen, dass bereits ein einfacher Behandlungsfehler zur Beweislastumkehr führt, sofern ein zweifelsfrei gebotener Befund nicht erhoben wird und bei entsprechender Erhebung ein positives Befundergebnis hinreichend wahrscheinlich gewesen wäre (Wahrscheinlichkeit von mindestens 50 %). Ferner muss sich dann ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben, dass sich dessen Verkennung bzw. die Nichtreaktion als grob fehlerhaft darstellt und der Kausalzusammenhang zwischen dem ärztlichen Fehler und dem eingetretenen Gesundheitsschaden beim Patienten nicht äußerst unwahrscheinlich ist.

Aufgrund einer Schadenersatz- und Schmerzensgeldklage eines Patienten gegen einen Radiologen aufgrund einer Fehldiagnose beschäftigte sich das OLG Koblenz am 30.11.2006 (Az.: 5 U 209/06) im Rahmen eines Berufungsverfahrens mit der Unterscheidung zwischen Befunderhebungs- und Befundauswertungsfehlern und der Beweissituation für den Radiologen.

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Sachverhalt

Im dem der Entscheidung des OLG zugrunde liegenden Fall war der einen Radiologen verklagende Patient wegen anhaltender Nasenbeschwerden seit 5 Jahren in fachärztlicher Behandlung und wurde von dem Facharzt an den Radiologen wegen der Erfolglosigkeit der eingeschlagenen fachärztlichen Behandlung zur coronaren Computertomographie (CT) überwiesen. Der Radiologe nahm die CT-Untersuchung vor und führt in seinem Arztbrief an den Facharzt folgendes aus:

"Normal ausgedehnte Nasennebenhöhlen. Der re. Stirnhöhlenabschnitt ist subtotal durch weichteildichte Strukturen verlegt, ebenso die vorderen und hinteren Siebbeinzellen bds. Nur schmale polypoide Weichteilstrukturen randständig (...) Kein Nachweis von Knochendestruktionen."

Daher schloss der Facharzt die Behandlung des Patienten mit der Diagnose "chronische Siebbeinentzündung" ab. Die Beschwerden des Patienten verschlechterten sich, so dass 3 Jahre später in Rahmen einer in einer Universitätsklinik durchgeführten Untersuchung ein bösärtiger Befund festgestellt wurde. Nachdem der Radiologe eine fehlerhafte Befundung durch ihn zurückwies, wandte sich der Patient an den Schlichtungsausschuss der Landesärztekammer, der zu dem Ergebnis kam, das von den Nasennebenhöhlen durchgeführte CT wurde "vermeidbar fehlerhaft befundet". Im anschließenden Klageverfahren trug der Patient vor, dass die Diagnose des Radiologen grob fehlerhaft gewesen sei, weil er bereits nach Durchführung der CT-Untersuchung eine Empfehlung zur Operation hätte geben müssen. Dann wäre der Tumor im Anfangsstadium behandelt worden mit der Konsequenz, dass der nach den später durchgeführten Operationen eingetretene vollständige Verlust des Geruchssinns und weitgehende Verlust des Geschmacksinns hätte vermieden werden können. Der Radiologe trug vor, dass der bei dem Patienten später entdeckte Tumor (Ästhesioneuroblastom) zum Zeitpunkt der CT-Untersuchung noch nicht vorlag. Auch eine zutreffende Diagnose hätte an dem Krankheitsverlauf des Patienten nichts geändert.

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Entscheidungsgründe

Das OLG Koblenz wies die Berufung des Patienten zurück, weil der Patient nicht beweisen konnte, dass der Verlust des Geruch- und Geschmacksinns auf die fehler-hafte Befundung des Radiologen zurückzuführen ist.

Dabei kam es für den Ausgang des Prozesses entscheidend darauf an, ob dem Ra-diologen ein Befunderhebungsfehler oder ein einfacher oder grober Befundauswertungsfehler unterlaufen war. Denn die Gefahr der Annahme eines groben Behandlungsfehlers bei Unterlassen einer Röntgenuntersuchung trotz medizinischer Indikation ist viel eher gegeben als bei der fehlerhaften Befundung eines Röntgenbildes. So stellte das OLG auch fest, dass bei einem Befunderhebungsfehler die beweisrechtliche Situation des Patienten bereits durch die Nichterhebung der Befunde beeinträchtigt wird und daher bei einem groben Fehler der Radiologe nachweisen muss, dass auch bei Einholung des Befundes der Schaden eingetreten wäre. Dies gelingt nur schwer.

In dem vorliegenden Fall wurde jedoch eine fehlerhafte Befunderhebung ausgeschlossen, weil die coronare Computertomographie zutreffend durchgeführt wurde und der Fehler des Radiologen in der Fehlinterpretation des Befundes bestand und deswegen eine weitere Abklärung des Krankheitsbildes durch den Facharzt (Stichwort Chronische Siebbeinentzündung) nicht erfolgt ist. Unterbleiben weitere Abklärungen im Rahmen eines differentialdiagnostischen Prozesses aufgrund einer fehlerhafter Befundauswertung, so liegt der Fehler nicht in der mangelnden Befunderhebung, sondern in der Befundauswertung.

Die Einordnung als Befunderhebungsfehler wäre für den Radiologen aufgrund der sonst schnell eintretenden dargelegten beweisrechtlichen Konsequenzen nachteilig gewesen. Weil der Radiologe zu der Diagnose "kein Nachweis von Knochen-destruktionen" kam, die Sachverständigen Ärzte in dem Prozess jedoch feststellten, dass dem Befund knöcherne Destruktionen zu entnehmen waren, ging das OLG von einem Befundauswertungsfehler aus. Die Diagnose, dass solche nicht vorhanden sind, bewegte sich nicht mehr in einem vertretbaren Interpretationsspielraum des Radiologen. Für den Radiologen war nunmehr wegen der erläuterten Beweislastverteilung die entscheidende Frage, ob es sich um einen fundamentalen und damit groben Befundauswertungsfehler handelt. Dies verneinte das Gericht, da der Sachverständige Arzt darauf verwies, dass es sich um eine sehr spezielle Erkrankung gehandelt habe und ein Tumor in dieser Lokalisation in seiner Klinik bei etwa 100.000 diagnostisch behandelten Fälle nicht vorgekommen sei. Zudem habe er 8 radiologischen Fachärzten die Bilder gezeigt und nur die Hälfte habe erkannt, dass eine weitere diagnostische Abklärung erfolgen müsse. Aufgrund dieser medizinischen Erwägungen wertete das Gericht den Pflichtverstoß als einfachen Befundungsfehler mit der Folge, dass der Patient beweisen musste, dass der Verlust des Geruch- und Geschmacksinns auf die fehlerhafte Befundung des Radiologen zurückzuführen ist, was ihm nicht gelang. Denn es blieb auch nach dem Sachverständigengutachten unklar, ob es sich bei den in der CT erkennbaren Veränderungen um entzündliche gehandelt hat oder ob schon zum damaligen Zeitpunkt ein maligner Tumor in Form eines Ästhesioneuroblastoms vorlag. Da das OLG nicht von einem (groben) Befunderhebungsfehler ausging, blieb die Beweislast hierfür bei dem Patienten.

Hätte der Patient nachweisen können, dass die Veränderungen zum damaligen Zeitpunkt entzündlicher Natur waren und in diesem Fall kein radikalchirurgisches Vorgehen mit der Folge seines Verlustes des Geruchs- und Geschmacksinns erfolgt wäre, so wäre seine Berufung erfolgreich gewesen. Da dies jedoch nach den Bildern unklar blieb, war es dem Patienten auch nicht möglich zu beweisen, dass bei richtiger Diagnose zum damaligen Zeitpunkt der Verlust des Geruchs- und Geschmacksinns nicht eingetreten wäre. Für den Sachverständigen kam es daher darauf an, dass für den Fall des Vorliegens eines malignen Tumors bereits zum Zeitpunkt der CT-Untersuchung ein radikalchirurgisches Vorgehen hätte erfolgen müssen, wenngleich die Operation weniger ausgeprägt erfolgt sei. Dies hätte jedoch ebenfalls zu einem Verlust des Geruch- bzw. Geschmacksinns des Patienten geführt, so dass die Gesundheitsschäden in jedem Fall eingetreten wären.

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Fazit

Die Entscheidung des OLG Koblenz belegt deutlich, dass die Abgrenzung zwischen einem Befundauswertungsfehler und einem Befunderhebungsfehler für den Radiologen prozessentscheidend ist. Von einem haftungsrechtlich günstigeren Befundauswertungsfehler geht die Rechtsprechung dann aus, wenn ein Befund erhoben wurde und dieser ("nur") fehlerhaft interpretiert worden ist und deswegen weitere Befunde nicht eingeholt worden sind. Deutlich wird, dass die Rechtsprechung denjenigen Radiologen, welcher ein Röntgenbild fehlerhaft auswertet und aus diesem Grund weitere Befunde nicht erhebt, haftungsrechtlich privilegiert im Vergleich zu demjenigen, der eine zutreffende Diagnose stellt, aber dann im weiteren Verlauf die notwendigen Befunde nicht erhebt. Insofern sollte der Radiologe darauf achten bei medizinischer Indikation die erforderlichen Befunde einzuholen, um zu verhindern, dass er den kaum zu führenden Nachweis erbringen muss, dass die Nichterhebung der Befunde den Gesundheitsschaden des Patienten nicht verursacht hat. Sobald es um die Auswertung der Bilder selbst geht, wird es für Patienten wegen der normalen Beweislastverteilung im Prozess schwierig, etwaige Ansprüche mit Erfolg durchzusetzen. Erfolgsaussichten bestehen meist nur, wenn das Gericht von einem groben Befundauswertungsfehler ausgeht. An diesen werden jedoch hohe Anforderungen gestellt.

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