Notfall & Hausarztmedizin 2007; 33(8/09): 440
DOI: 10.1055/s-2007-990767
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Daten von der 16th European Stroke Conference, Glasgow 2007 - Neue Studienergebnisse zum Schlaganfall

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
01. Oktober 2007 (online)

 
Inhaltsübersicht

Bei einem unbehandelten Schlaganfall sterben durchschnittlich 1,9 Millionen Nervenzellen pro Minute ab. Zusätzlich gehen in jeder Minute 14 Milliarden Synapsen und 12 Kilometer Nervenfasern zugrunde. Im Vergleich zum normalen Alterungsprozess lässt dieser immense Zellverlust das Gehirn pro Stunde um 3,6 Jahre "altern" [1]. Die einzige kausale Therapie des akuten ischämischen Insults ist die systemische Fibrinolyse mit dem rekombinanten Gewebeplasminogenaktivator rt-PA (Alteplase, Actilyse®). Die Behandlung sollte schnellstmöglich erfolgen. Innerhalb von drei Stunden nach Symptombeginn, ist es wichtig, den Schlaganfall als Notfall zu behandeln.

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Akuttherapie einer Ischämie mit Alteplase

Die auf der European Stroke Conference (ESC) präsentierte Auswertung des SITS-MOST- Registers (Safe Implementation of Thrombolysis in Stroke-Monitoring Study) [2] zeigte, "dass die Anwendung von Actilyse® im klinischen Alltag mindestens genauso sicher und wirksam ist wie in den durchgeführten randomisierten kontrollierten Studien", sagt Prof. Hans Christoph Diener, Essen, auf einem Pressegespräch in Darmstadt. Für diese Internet-basierte Erhebung lieferten 285 europäische Zentren Daten von 6 483 Patienten. Damit ist SITS-MOST das weltweit größte Schlaganfallregister.

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Konzept mit Desmoteplase gescheitert?

Da viele Schlaganfallpatienten nicht innerhalb von drei Stunden auf einer Stroke Unit eintreffen, wäre eine Lysebehandlung, die auch noch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgreich eingesetzt werden kann, hilfreich. In einem entsprechenden Therapiekonzept wurde die intravenöse Injektion von Desmoteplase geprüft, einer plasminogenaktivierenden Substanz, die aus dem Speichel blutsaugender Fledermäuse (Desmodus rotundus) extrahiert wurde. Nachdem die vorhergehenden Phase-II-Studien (DIAS und DEAS) [3], [4] erfolgreich waren, "verlief die nun auf der ESC vorgestellte Phase-III-Studie (DIAS-2-Studie) jedoch negativ", sagt Diener. In dieser Studie erhielten Patienten mit einem ischämischen Schlaganfall innerhalb eines Zeitfensters von 3-6 bzw. 6-9 Stunden eine einmalige intravenöse Injektion von Desmoteplase oder Plazebo (57 Patienten wurden auf die 90-µg/kg- und 66 Patienten auf die 125-µg/kg-Dosisgruppe sowie 63 Patienten auf die Plazebogruppe randomisiert). Ihr Zustand wurde über 90 Tage mittels dreier Schlaganfallskalen mehrfach bewertet. Die Responseraten waren in allen drei Therapiearmen vergleichbar. "Desmoteplase ist also nicht besser wirksam als Plazebo", fasst Diener zusammen. "Die Mortalitätsrate der 125-µg/kg-Dosisgruppe war sogar mit 21% gegenüber 6,3% in der Plazebogruppe erhöht", betont Diener. Ob die Entwicklung mit Desmoteplase weiterverfolgt wird, wird nach Auswertung der DIAS-2-Studiendaten entschieden.

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Sekundärprävention

Da nach einem ersten Schlaganfall häufig ein zweiter folgt, ist es unerlässlich, alle Maßnahmen, die das Rezidivrisiko senken, zu ergreifen. Die gemeinsamen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfallgesellschaft (DSG) empfehlen nach einer Ischämie oder einer transitorischen ischämischen Attacke die zweimal tägliche Gabe der fixen Kombination aus 25 mg Acetylsalicylsäure (ASS) plus 200 mg retardiertem Dipyridamol (Aggrenox®) zur Sekundärprävention bei Patienten mit einem hohen Rezidivrisiko (≥4%/Jahr) - außer bei symptomatischer PAVK und ASS-Unverträglichkeit. Denn ASS und retardiertes Dipyridamol wirken additiv. Die relative Risikoreduktion für einen zweiten Insult ist doppelt so hoch wie unter ASS-Monotherapie. Das hat die ESPS-2-Studie gezeigt [6]. ESPRIT [5] bestätigte die höhere Wirksamkeit der Kombination gegenüber ASS allein.

Die auf der ESC vorgestellte Metaanalyse aller dazu bisher durchgeführten klinischen Studien habe diese Überlegenheit der Kombinationstherapie erneut bestätigt, berichtet Diener. Insgesamt erhielten 3 812 Patienten eine ASS-Monotherapie und 3 800 Patienten eine Kombinationstherapie aus ASS plus Dipyridamol. Die relative Risikoreduktion im Vergleich zur ASS-Monotherapie betrug für den Endpunkt Schlaganfall 22% und für den kombinierten Endpunkt Schlaganfall, Myokardinfarkt oder vaskulärer Tod 19%.

Auch bei Unterteilung des Patientenkollektivs nach Alter, Geschlecht oder vorhandenen Risikofaktoren zeigte sich in allen Subgruppen die Überlegenheit der Kombinationstherapie.

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Schutz auf vielfältige Weise

Prof. Dr. Wolfgang Günter Eisert von Boehringer Ingelheim erläuterte, welche Mechanismen den beobachteten positiven Wirkungen zugrunde liegen. Die beiden Komponenten in Aggrenox® ergänzen sich ideal, denn ASS hemmt direkt die Thrombozytenaggregation, während Dipyridamol die endotheliale Schutzfunktion verstärkt und atherosklerotischen Prozessen entgegen wirkt. Der antithrombotische Effekt erfolgt durch einen lokalen Anstieg der extrazellulären Adenosinkonzentration, eine Thrombozytenstabilisierung durch erhöhtes intrazelluläres cAMP und eine gehemmte Thrombozytenaktivierung durch erhöhtes intrazelluläres cGMP.

Außerdem erhöht Dipyridamol die endotheliale Freisetzung des Gewebe-Plasminogenaktivators t-PA. Dipyridamol unterdrückt zudem inflammatorische Signalwege auf der Genexpressionsebene (MCP-1) und reduziert die Freisetzung der Matrix-Metalloproteinase-9. Es kommt zur Hemmung körpereigener Entzündungsprozesse, welche mit einer Reihe von pathologischen Gefäßveränderungen in Zusammenhang gebracht werden. Weitere positive Eigenschaften des Dipyridamols sind seine antioxidativen und antiproliferativen Wirkungen, die für die antiatherosklerotischen und neuroprotektiven Effekte verantwortlich sind.

Anne Bleick, Stuttgart

Quelle: Pressegespräch "Schlaganfalltherapie 2007 - Neue Daten und Fakten" am 22. Juni 2007 in Darmstadt.

Mit freundlicher Unterstützung der Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG.

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Literatur

  • 01 Saver JL . Stroke. 2006;  37 (1) 263-266
  • 02 Wahlgren N . et al . Lancet. 2007;  369 275-282
  • 03 Hacke W . et al . Stroke. 2005;  36 66-73
  • 04 Furlan AJ . et al . Stroke. 2006;  37 1227-1231
  • 05 Esprit Study Group  . Lancet. 2006;  367 1665-1673
  • 06 Diener HC . et al . Nervenheilkunde. 1999;  18 380-390
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Literatur

  • 01 Saver JL . Stroke. 2006;  37 (1) 263-266
  • 02 Wahlgren N . et al . Lancet. 2007;  369 275-282
  • 03 Hacke W . et al . Stroke. 2005;  36 66-73
  • 04 Furlan AJ . et al . Stroke. 2006;  37 1227-1231
  • 05 Esprit Study Group  . Lancet. 2006;  367 1665-1673
  • 06 Diener HC . et al . Nervenheilkunde. 1999;  18 380-390