Notfallmedizin up2date 2008; 3(1): 9-24
DOI: 10.1055/s-2007-989496
Spezielle Notfallmedizin

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Akzidentelle Hypothermie

Frank Hildebrand, Herbert Schöchl
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Publikationsdatum:
28. Februar 2008 (online)

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Kernaussagen

Als Hypothermie wird eine Reduktion der Körperkerntemperatur (KKT) auf unter 35 °C bezeichnet. Die Abkühlung des Körpers geht nicht völlig gleichmäßig vor sich. Durch eine maximale Vasokonstriktion wird der Körperkern von der Schale und den Extremitäten isoliert. Es können somit Temperatursprünge von der Haut zum Körperkern von bis zu 20 °C auftreten.

Die Ursachen einer akzidentellen Hypothermie sind vielfältig:

  • Die Reduktion der Körperkerntemperatur ist ein gängiges Problem schwerer Polytraumen. Unmittelbar nach dem Trauma sind die verletzten Patienten oft nicht mehr in der Lage ausreichend auf den Kältereiz zu reagieren. Die Mortalität korreliert dabei mit der Schwere der Unterkühlung. Ein Grund dafür ist unter anderem in der hypothermieassoziierten Koagulopathie zu sehen. Klinisch relevante Gerinnungsstörungen sind ab einer Temperatur unter 34 °C zu erwarten.

  • Eine Expositionshypothermie tritt häufig in Zusammenhang mit Alkohol- und Drogenintoxikationen auf. Der Abkühlungsprozess wird durch Alkohol, mit Ausnahme subletaler Dosen, nicht beschleunigt.

  • Submersionsunfälle können ebenfalls zu einer beträchtlichen Reduktion der KKT führen. Besonders häufig sind Kinder davon betroffen. Aufgrund der großen Körperoberfläche wird dem Körper konduktiv sehr rasch Wärme entzogen.

  • Lawinenverschüttungen führen regelhaft zu einer Abnahme der KKT, wobei der Abkühlungsprozess bei normaler Winterbekleidung nur etwa bei 3 - 4 °C/h liegt.

Der Abkühlungsprozess kann in drei Stadien eingeteilt werden:

  • milde Hypothermie (KKT < 35 - 32 °C): Patient ist ansprechbar, manchmal agitiert, bisweilen zeigt sich eine retrograde Amnesie. Die Herzfrequenz ist erhöht, der Cardiac Output um das 4- bis 5-Fache gesteigert. Die Patienten hyperventilieren. In dieser Phase der Abkühlung versucht der Körper durch Muskelzittern endogen Wärme zu produzieren. Die kältebedingte Einschränkung aktiver Transportprozesse im distalen Tubulussystem verursacht eine verstärkte Diurese. Die Polyurie führt zu einem Anstieg des Hämatokrits und zu einer Dehydratation, die durch einen Flüssigkeitsshift nach intrazellulär noch verstärkt wird.

  • moderate Hypothermie (KKT < 32 - 28 °C): Die Unterkühlten zeigen eine zunehmende Muskelstarre, das Kältezittern sistiert. Kältezittern wurde jedoch schon bei Körpertemperaturen bis um 24 °C beobachtet. Durch intermittierende Vasodilatation kann ein Wärmegefühl entstehen, das zum sogenannten „paradoxen Undressing“ führen kann. Die Patienten verlieren bei KKT um 30 °C das Bewusstsein. Sie werden entsprechend des reduzierten 02-Verbrauchs zunehmend bradykard und bradypnoisch. Ab 32 °C verliert sich die P‐Welle, die QRS‐Komplexe werden breiter. Bei Temperaturen unter 30 °C kann bisweilen eine typische EKG‐Veränderung ausgemacht werden. Diese sich an den QRS‐Komplex anlagernde Kurve, die sogenannte Osborn-Welle, ähnelt einem Infarktbild, darf jedoch nicht damit verwechselt werden.

  • schwere Hypothermie (KKT < 28 °C): Die Bradykardie kann extreme Ausmaße annehmen (20 - 30 Schläge/min). Auch die Atemfrequenz kann sich auf wenige Atemzüge reduzieren. Hier beginnt der kritische Bereich der schweren Unterkühlung. Puls und Blutdruck sind durch direkte Messung nicht mehr feststellbar. Das hypotherme Myokard reagiert extrem vulnerabel auf mechanische Reize und weitere Abkühlung. Bradykarde Rhythmen können plötzlich in Kammerflimmern umschlagen. Dieses Phänomen stellt eine bekannte Komplikation profund Hypothermer dar und wird als Afterdrop oder Bergetod bezeichnet. Bei einer KKT unter 20 °C läuft der Herzrhythmus von der Bradykardie direkt in eine Asystolie aus.

Die Diagnose einer relevanten Hypothermie ergibt sich üblicherweise aus einer entsprechenden Anamnese. Zur exakten Messung der KKT tief unterkühlter Patienten sind konventionelle Thermometer ungeeignet. Mithilfe des Thympanothermometers, das in den äußeren Gehörgang eingeführt wird, kann die KKT relativ gut abgebildet werden.

Präklinische Maßnahmen fokussieren zuallererst auf die Vermeidung eines weiteren Wärmeverlustes durch Entfernung nasser oder feuchter Kleidung. Rettungsmaßnahmen müssen äußerst vorsichtig und unter ständigem EKG‐Monitoring durchgeführt werden, da plötzliches Kammerflimmern eine häufig beschriebene Komplikation im Zuge der präklinischen Versorgung dieser speziellen Patientengruppe darstellt. Dies wird als Bergetod oder Afterdrop bezeichnet. Die Indikation zur Intubation entspricht den gängigen Prinzipien notfallmedizinischer Versorgung und sollte bei einem GCS < 8 in Erwägung gezogen werden. Der primäre Volumenbedarf hypothermer Patienten ist gering. Aufgrund einer häufig anzutreffenden Hyperkaliämie sollte kaliumfreien Lösungen der Vorzug gegeben werden.

Als Besonderheit bei Reanimationsmaßnahmen in Hypothermie ist die Tatsache bemerkenswert, dass Defibrillationen zumeist erst bei einer KKT über 30 °C erfolgreich sind. Das ERC empfiehlt bei einer KKT < 30 °C bis zu drei Defibrillationsversuche. Die Herzdruckmassage sollte wie bei Normothermen mit einer Druckfrequenz von 100/min durchgeführt werden. Adrenalin gilt als Medikament der Wahl, wiewohl ausreichende Studien dazu nicht vorliegen.

Tritt im Rahmen der Primärversorgung Kammerflimmern auf oder zeigt ein hypothermer Patient Zeichen massiver Kreislaufinstabilität, sollte ein Zentrum der Maximalversorgung angefahren werden. Wiedererwärmung mittels Herz-Lungen-Maschine oder ECMO ist ein rasch durchführbares Verfahren, das eine sichere Wiedererwärmung erlaubt. Die Wiedererwärmung traumatisierter Patienten ist wegen der notwendigen Heparinisierung am extrakorporalen Bypass jedoch nur eingeschränkt möglich.

Ein prognostischer Marker für einen bereits eingetretenen Tod könnte das Serumkalium sein. Bei Kaliumwerten über 10 mmol/l liegt bereits ein massiver Zelluntergang vor. Eine erfolgreiche Reanimation ist unwahrscheinlich.

Literatur

PD Dr. Frank Hildebrand

Unfallchirurgische Klinik
Medizinische Hochschule Hannover

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