Dialyse aktuell 2007; 11(6): 58-60
DOI: 10.1055/s-2007-986513
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Kardiovaskuläres Risiko und Sturzprophylaxe - Gerade Ältere profitieren vom aktiven Vitamin-D-Metaboliten

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17 September 2007 (online)

 
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Der Trend ist eindeutig: "In der niedergelassenen Praxis mehren sich die Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion", beschreibt Dr. Peter Spiegel, Nürnberg, seine alltägliche Erfahrung. Britische Wissenschaftler warnen gar vor einem Anstieg von Nierenerkrankungen im epidemischen Ausmaß. Schon der 2005 in der medizinischen Fachzeitschrift "The Lancet" veröffentlichte Artikel "Chronic Kidney Disease: The Global Challenge" prognostizierte einen rasanten Anstieg von Nierenerkrankungen in den nächsten zehn Jahren und verwies auf die Notwendigkeit einer verbesserten Prävention und Früherkennung.

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Es ist wichtig, Niereninsuffizienz rechtzeitig zu erkennen

Da die Niereninsuffizienz oftmals zu spät erkannt wird, entstehen gravierende Folgen für den Stoffwechsel und als Folge hohe Kosten einer zu spät einsetzenden Therapie. Vom gestörten Kalzium-Phosphat- und Vitamin-D3-Stoffwechsel sind sowohl Knochenmineralisierung als auch Knochenformation und die Muskelleistung betroffen, zudem gehören Weichteilverkalkungen mit all ihren negativen Konsequenzen zu den Folgen.

Die Prävalenz einer mittelgradigen Nierenerkrankung (Stadium 3) ist hoch, sie liegt in Deutschland, ebenso wie in den USA, bei 4,3%, was einer Zahl von        3 440 000 Betroffenen entspricht [6]. Mit einer abnehmenden Filtrationsleistung der Niere geht eine Abnahme des aktiven Vitamin-D-Hormons einher: Sinkt die glomeruläre Filtrationsleistung, nimmt auch der Serum-Calcitriolspiegel ab (Abb. [1]; [1]).

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Abb. 1 Die frühen Stadien der Nierenfunktionseinschränkungen sind häufig und korrelieren mit einem Vitamin-D-Hormon(Calcitriol)-Mangel

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Nierenfunktion und D-Hormon sinken oftmals im Alter

Besonders ältere Menschen leiden häufig an einer stark eingeschränkten Nierenfunktion. Bereits ab einem Alter von 40 Jahren nimmt die Nierenleistung kontinuierlich ab. Wie die AIMS-Studie zeigen konnte, sinken unter einer Kreatininclearance von 65 ml/min die Vitamin-D-Hormon-Serumspiegel. In der multivariabel-kontrollierten Analyse waren Kreatininclearance und die Calcitriolspiegel signifikant miteinander korreliert (p < 0,0001).

Grund ist ein entscheidender Schritt des Vitamin-D-Stoffwechsels, der bei Niereninsuffizienz nur gebremst abläuft oder total blockiert ist: die Aktivierung von Vitamin D zu D-Hormon, also die Umwandlung von Calcidiol zu Calcitriol, dem aktiven Vitamin D-Metaboliten. Da es sich genau genommen nicht um ein Vitamin, sondern vielmehr um ein Hormon handelt, lautet die passendere Bezeichnung D-Hormon, so Dr. Laurent C. Dukas, Basel (Schweiz).

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Beseitigung des D-Hormon-Mangels reduziert Sturzrisiko

Eine Kreatininclearance unter 65 ml/min ist mit einem vierfach erhöhten Sturzrisiko verbunden (p = 0,006) (multivariabel kontrolliert), wie die AIMS-Studie belegt [4]. Eine Schlüsselrolle beim erhöhten Sturzrisiko im Alter kommt Dukas zufolge dem D-Hormon-Mangel zu.

Denn Alfacalcidol hat im Vergleich zu Bisphosphonaten den Vorteil, nicht nur auf den Knochen, sondern gleichzeitig auch auf die Muskulatur einzuwirken, betonte Prof. Johann D. Ringe, Leverkusen. Auch Dukas unterstützt diese Aussage, da die Typ-II-Muskelfasern - diese schnell reagierende Muskulatur kann einen Sturz eventuell noch verhindern - bei einem Mangel an D-Hormon atrophieren [2].

Sowohl Koordination als auch Schnelligkeit der Muskelreaktion hängen vom Calcitriolspiegel ab, da es in der Muskulatur lediglich einen Hormonrezeptor gibt - natives Vitamin D kann daher bei der Sturzprophylaxe nichts ausrichten. Die Resultate der AIMS-Studie wurden von mehreren unabhängigen Studien bestätigt [3], [5].

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Soziale Dimension der Sturzproblematik

Stürze sind für den älteren Menschen oft eine Katastrophe, weil sie mit einer erhöhten Inzidenz an Frakturen, Pneumonien sowie Urosepsis nach Liegetrauma, erhöhter Sterblichkeit und langen Krankenhaus- und Rehabilitationsaufenthalten assoziiert sind.

Während junge Menschen nach einem Sturz im wahrsten Sinn des Wortes schnell wieder auf die Beine kommen, bleiben die meisten älteren Menschen liegen, so die Erfahrung Dukas. "Dies führt dann inherent wegen der Angst vor dem Sturz und dessen Folgen auch zu sozialer Isolierung und zu sozialer Problematik", erläutert Dukas die weitreichende Dimension.

Männer und Frauen mit einem Alter von über 65 Jahren und einer Kreatininclearance von unter 65 ml/min, die an Osteoporose litten und stürzten, zeigten:

  • signifikante 57% mehr Femurfrakturen

  • signifikante 30% mehr Wirbelkörperfrakturen

  • signifikante 79% mehr Radiusfrakturen.

Die verminderte renale Aktivierung zum aktiven D-Hormon, kann durch die Gabe von Vitamin D (Cholecalciferol) nicht kompensiert werden. Eine Therapie mit dem aktiven Vitamin-D-Metaboliten Alfacalcidol hingegen reduziert das vierfach erhöhte Sturzrisiko, welches bei einer Kreatininclearance unter 65 ml/min signifikant auftritt (p = 0,006), nämlich auf das Sturzrisiko-Niveau von Patienten mit einer Kreatininclearance über diesem kritischen Wert.

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Wie hängen Niereninsuffizienz und Sturzrisiko zusammen?

  • Eine erniedrigte Kreatininclearance von < 65ml/min ist in verschiedenen Populationen mit einem signifikant erhöhten Sturzrisiko, einem signifikant erhöhten Risiko für Mehrfachstürze und mit einer erhöhten sturzbedingten Frakturinzidenz verbunden.

  • Die erhöhte Sturzrate bei einer Kreatininclearance von < 65ml/min ist auf einen D-Hormon-Mangel zurückzuführen, bedingt durch eine reduzierte renale Metabolisierung zum aktiven Vitamin-D-Hormon.

  • Die verminderte renale Metabolisierung vom Vitamin D zum aktiven D-Hormon kann durch die Gabe von inaktivem Vitamin D (Cholecalciferol) nicht korrigiert werden.

  • Hingegen führt eine Therapie mit aktiven Vitamin-D-Analoga (Alfacalcidol) bei Patienten mit einer Kreatininclearance von < 65ml/min zu einer signifikanten Reduktion der Sturzrate.

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Osteoporose- und Frakturprophylaxe

Die täglichen Erfahrungen in der allgemeinärztlichen Praxis von Dr. Martha Spiegel, Nürnberg, zeigen, dass zu den Basismaßnahmen einer Osteoporose- und Frakturprophylaxe eine Vitamin-D-Supplementierung von täglich 20-40 µg (10 µg = 400 IE) gehört. Von einer ausreichenden Versorgung mit Vitamin D ist jedoch häufig gerade bei Patienten in hohem Alter nicht auszugehen. Gründe hierfür können neben dem altersbedingten Mangel zum Beispiel auch mangelnde Sonnenexposition oder gastrointestinale Störungen sein.

Im Gegensatz zum nativen Vitamin D3 wirkt Alfacalcidol unabhängig von Nierenfunktion und Vitamin-D-Status. Gerade ältere Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion können daher vom Einsatz des aktiven Vitamin-D-Metaboliten Alfacalcidol profitieren. In der Praxis jedoch werde die Bedeutung des Vitamin D und des aktiven Vitamin-D-Metaboliten Alfacalcidol noch häufig unterschätzt, so die Meinung Peter Spiegels.

In einer Kombinationsstudie, der in diesem Jahr publizierten AAC-Studie [7], war die kombinierte Alendronat-Alfacalcidol-Therapie den jeweiligen Monotherapien bei Patienten mit manifester Osteoporose überlegen, untermauerte Ringe. 90 Patienten hatten entweder Alfacalcidol, Alendronat plus Vitamin D oder eine Kombination aus Alendronat und Alfacalcidol erhalten, jeweils supplementiert mit Kalzium. In allen drei Therapiegruppen stieg die Knochendichte an, am deutlichsten jedoch in der Kombinationsgruppe.

In der gemeinsamen Auswertung vertebraler und distaler Frakturen wurde durch die Kombinationstherapie das Frakturrisiko signifikant gemindert. In der Prävention von Stürzen und Frakturen war im bisherigen Beobachtungsverlauf von zwei Jahren die Monotherapie mit Alfacalcidol dem Alendronat überlegen, noch deutlicher sichtbar war das verminderte Sturzrisiko bei der Kombinationstherapie.

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Aktive Vitamin-D-Metaboliten können noch mehr...

Da bereits frühe Stadien der chronischen Niereninsuffizienz (GFR < 60 ml/min) mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert sind, ist es wichtig eine Progression der Niereninsuffizienz zu verhindern und das Prädialysestadium so lange wie möglich hinauszuzögern. Dies kann nur geschehen, wenn die Niereninsuffizienz sehr frühzeitig erkannt wird. Der Hausarzt sollte den Nephrologen in die Behandlung des Patienten einbeziehen.

Wie Dr. Preben Joffe, Odense (Dänemark), betonte, wird Alfacalcidol in Dänemark bereits weit verbreitet eingesetzt. Das Prodrug des Vitamin-D-Hormons Alfacalcidol ist hier fester Bestandteil der Therapie der renalen Osteopathie. Aufgrund der pleiotropen Wirkansätze können auch Osteoporosepatienten in mehrfacher Hinsicht vom Einsatz von Alfacalcidol profitieren.

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Geringere kardiovaskuläre Mortalität

Durch die Gabe von Alfacalcidol kann aus dem Prodrug in einer Vielzahl von Zielgeweben das benötigte Vitamin-D-Hormon gebildet werden. Einen besonderen Effekt des D-Hormons im Körper erläuterte Joffe anhand einer japanischen Studie an Hämodialysepatienten (Abb. [2]; [8]). Aufgrund der terminalen Niereninsuffizienz ist bei diesen Patienten die renale Bildung von Vitamin-D-Hormon gestört.

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Abb. 2 Reduziertes Risiko der kardiovaskulären Mortalität

In der Beobachtungsstudie wurde die Mortalität von 162 Dialysepatienten, die regelmäßig Alfacalcidol einnahmen, mit der Mortalität von 80 Patienten verglichen, die nicht mit Vitamin-D-Hormon-Metaboliten supplementiert wurden. In der Therapiegruppe mit Alfacalcidol zeigten die Patienten ein geringeres Risiko für kardiovaskuläre Todesfälle, wohingegen die Mortalität durch nicht kardiovaskuläre Ereignisse in beiden Gruppen vergleichbar war. Diese aktuellen Beobachtungen müssen noch in kontrollierten Studien bestätigt werden, aber sie geben einen deutlichen Hinweis darauf, dass die Gabe von Alfacalcidol das Überleben von Dialysepatienten verbessern kann. Laut Einschätzung von Joffe ist die Therapie mit Alfacalcidol in der Nephrologie damit immer noch das Mittel der Wahl.

KL

Quelle: Internationales Expertengespräch EinsAlpha®, veranstaltet von der LEO Pharma GmbH, Neu-Isenburg

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der LEO Pharma GmbH, Neu-Isenburg

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Die Unterscheidung zwischen genuinem Vitamin D und D-Hormon (Calcitriol) ist essenziell zum Verständnis der Sturzprävention, weil...

  • es in der Muskulatur nur D-Hormon-Rezeptoren gibt

  • das Wachstum der schnell reagierenden Typ-II-Muskelfasern abhängig vom D-Hormon-Serumspiegel ist

  • die Koordination und Schnelligkeit der Muskelreaktion abhängig vom D-Hormon-Serumspiegel ist

  • natives Vitamin D keinen Einfluss auf diese Faktoren hat.

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Literatur

  • 01 Andress DL . Kidney Int. 2006;  69 33-43
  • 02 Bischoff-Ferrari HA . Borchers M . Gudat F . et al . J Bone Miner Res. 2004;  19 265-269
  • 03 Cummings SR . Bowner WS . Bauer D . et al . N Engl J Med. 1998;  339 733-738
  • 04 Dukas L . Schacht E . Stähelin HB . Osteoporos Int. 2002;  13 S75
  • 05 Gallagher JC . Rapuri P . Smith L . J Biochem Mol Biol. 2007;  103 610-613
  • 06 Hugo C . Dtsch Med Wochenschr. 2007;  132 1373-1375
  • 07 Ringe JD . Frahmand P . Schacht E . Rozehnal A . Rheumatol Int. 2007;  27 425-434
  • 08 Shoji T . Shinohara K . Kimoto E . et al . Nephrol Dial Transplant. 2004;  19 179-184
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Literatur

  • 01 Andress DL . Kidney Int. 2006;  69 33-43
  • 02 Bischoff-Ferrari HA . Borchers M . Gudat F . et al . J Bone Miner Res. 2004;  19 265-269
  • 03 Cummings SR . Bowner WS . Bauer D . et al . N Engl J Med. 1998;  339 733-738
  • 04 Dukas L . Schacht E . Stähelin HB . Osteoporos Int. 2002;  13 S75
  • 05 Gallagher JC . Rapuri P . Smith L . J Biochem Mol Biol. 2007;  103 610-613
  • 06 Hugo C . Dtsch Med Wochenschr. 2007;  132 1373-1375
  • 07 Ringe JD . Frahmand P . Schacht E . Rozehnal A . Rheumatol Int. 2007;  27 425-434
  • 08 Shoji T . Shinohara K . Kimoto E . et al . Nephrol Dial Transplant. 2004;  19 179-184
 
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Abb. 1 Die frühen Stadien der Nierenfunktionseinschränkungen sind häufig und korrelieren mit einem Vitamin-D-Hormon(Calcitriol)-Mangel

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Abb. 2 Reduziertes Risiko der kardiovaskulären Mortalität