Psychiatr Prax 2007; 34(6): 313-314
DOI: 10.1055/s-2007-986490
Mitteilungen der BDK

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Stellungnahme des Suchtausschusses der Bundesdirektorenkonferenz Psychiatrischer Krankenhäuser (BDK) zum Forumsbeitrag "Rahmenbedingungen der Krankenversicherung suchtkranker Patienten"

von O.E. Krasney und L.G. Schmidt sowie den Kommentaren dazu von J. Fritze, V. Weissinger und G. Mundle in der Zeitschrift SUCHT 53: 111-122 (April 2007)
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Publication Date:
24 August 2007 (online)

 
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Der Suchtausschuss der Bundesdirektorenkonferenz Psychiatrischer Krankenhäuser (BDK) begrüßt ausdrücklich den Entschluss der Redaktion SUCHT dieses versorgungspolitisch wichtige und ärgerliche Thema aufzugreifen. Eigene Initiativen gegenüber dem Verband der Privaten Krankenversicherungen e.V. (PKV) in Köln zusammen mit der Geschäftsstelle der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. gehen damit konform.

Der Suchtausschuss der BDK vertritt die Leiterinnen und Leiter von mehr als 180 Abteilungen für Suchtkranke in psychiatrischen Kliniken, die ständig Erfahrungen im Umgang mit privaten Krankenversicherungen haben.

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1. Anmerkungen zur Rechtslage

Die von Herrn Krasney vorgelegte Würdigung des Vertragsrechtes und des Verhaltens der PKV als rechtmäßiges Vorgehen kann nicht bestritten werden. Selbstverständlich ist es Recht der PKV und Ausdruck der Vertragsfreiheit, Risiken, die man für zu hoch hält, auszuschließen - statt nach Alternativen zu suchen, wie dies Herr Fritze betont.

Der Versicherungsvertrag mit der PKV kommt nicht Kraft Gesetz, wie in der GKV, sondern nur dann zustande, wenn beide Vertragspartner dies wollen. Allerdings gilt im Vertragsrecht auch Offenheit und lückenlose Aufklärung über die Inhalte eines Vertrages. Es ist hier schon die Frage zu stellen, inwieweit jeder, der sich einer privaten Krankenversicherung auf freiwilliger Basis anschließt, über die Folgen des Ausschlusses wichtiger Krankheitsrisiken aufgeklärt wird.

Der Ausschluss ist geschickt formuliert, sodass der Leser bei erstem Anschein den Eindruck hat, dass es sich im §5 MB/KK lediglich um "auf Vorsatz beruhende Krankheiten und Unfälle" handelt. Diese Aneinanderreihung von Ausschlussklauseln auf verschiedenen Ebenen wäre durchaus gesondert juristisch zu würdigen, weil es möglicherweise u.a. gegen das Wettbewerbsrecht verstößt.

Ferner ist nicht zuletzt aus medizinethischer Sicht die Frage zu stellen, ob nicht Versicherungsnehmer ausdrücklich auf die Konsequenzen des Ausschlusses eines bedeutsamen Risikos hingewiesen werden müssen. Private Krankenversicherer legen schließlich bei den Versicherungsnehmern großen Wert darauf, sich als leistungsfähiger und leistungsbereiter als die GKV darzustellen. Ein gravierender Leistungsausschluss ist da zunächst nicht naheliegend.

Herrn Fritze ist ferner in dem Punkt zu widersprechen, wenn er darauf hinweist, dass sich "nicht Versicherungspflichtige, nicht in einer ausweglosen Situation" befinden, weil ihnen die gesetzliche Krankenversicherung jederzeit offen steht. Dies ist zumindest gegenüber beihilfefähigen Beamtenanwärtern und kleinen Selbständigen kritisch zu hinterfragen. Auch dürfte sich kaum ein Versicherungsnehmer darüber im Klaren sein, dass ein späterer Wechsel nicht einmal innerhalb der PKV faktisch mehr möglich ist, da die Altersrückstellungen nicht mitgenommen werden können, ganz zu schweigen von einer Rückkehr in die GKV.

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2. Anmerkungen zur Leistungsgewährung

Dass der Versicherungsausschluss einer fachlichen Würdigung nicht standhält, ist allgemeiner Konsens und von Herrn Schmidt sachkundig dargelegt. Darin stimmen selbst die Kommentatoren überein.

Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Trinken als Lebensstil, was zweifelsohne der Selbstverantwortung des einzelnen Bürgers überantwortet ist und was auch der Mehrzahl der Bürger, die Alkohol konsumieren, gelingt sowie (krankhaftes) Trinken im Rahmen einer Abhängigkeitserkrankung, das die Solidarität aller Versicherten einfordert, ist nicht immer allgemeiner Konsens, auch wenn diese Unterscheidung seit der Rechtssprechung von 1968 unabhängig vom Schweregrad (!) der Erkrankung ein Rechtsgut ist.

Herrn Fritze als Vertreter des Verbandes der PKV ist zu danken, dass er die Begriffe "Entziehungsmaßnahmen einschl. Entziehungskuren" des §5 MB/KK dahingehend präzisiert hat, dass damit "in modernen Begriffen der Ausschluss der Entwöhnungsbehandlung" gemeint ist. Damit wäre das von Herrn Krasney aufgezeigte juristische Problem im Prinzipe gelöst. Denn es ist

  1. festgestellt, dass "die Sucht selbst", nämlich die Alkoholabhängigkeit, "Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung" ist und

  2. auch die PKV sichert wie die GKV das Risiko der durch Krankheit entstehenden Behandlungskosten grundsätzlich ab.

Konsens besteht aber seitens der PKV nur darin, dass die medizinischen Folgen einer Abhängigkeitserkrankung zum Leistungskatalog gehören und darunter wohl nicht nur die Lebertransplantation als Ext„remfall gemeint ist, sondern auch die Beseitigung eines (körperlichen) Entzugssyndroms. Die Diagnostik und (Akut-)Behandlung der Grundkrankheit, nämlich des Abhängigkeitssyndroms soll dagegen nach Auffassung der PKV entgegen der juristischen Feststellung ausschließlich Aufgabe der Rehabilitation (hier Entwöhnungstherapie, bzw. "Entziehungsmaßnahme" oder "Entziehungskur") sein. Die F10.2 der ICD wäre demnach lediglich eine "Reha-Diagnose". Diese Unterscheidung greift jedoch entschieden zu kurz: Insbesondere in den von Schmidt et al. (2006) herausgegebenen "Behandlungsleitlinien substanzbezogener Störungen" ist die Evidenzbasierung der Akutbehandlung (Entzugsbehandlung) gesetzeskonform als primäre Aufgabe der Krankenversicherung überzeugend dargelegt. Es geht also hier zunächst nicht um Maßnahmen nach §40 SGB V, sondern primär um Pflichtleistungen der gesetzlichen und privaten Krankenkassen nach §39 SGB V als Krankenhausbehandlung.

Es kann deshalb keinesfalls unwidersprochen hingenommen werden, dass "die Motivationsbehandlung im Rahmen des qualifizierten Entzuges" als "modernes Verfahren" der Entwöhnungsbehandlung zugerechnet wird, wie dies Herr Fritze als Vertreter der PKV beiläufig in die Diskussion einführt. Eine Behandlungstechnik mit u.a. dem Ziel der Befähigung zur Rehabilitation kann nicht Teil der Rehabilitation sein, sondern ist im Vorfeld anzuwenden und muss allen Abhängigen im Rahmen der Krankenhausbehandlung offen stehen und nicht nur der kleinen Gruppe der bereits zur Rehabilitation bereiten Abhängigen.

Würde sich die von Herrn Fritze vorgeschlagene Abgrenzung durchsetzen, wäre die Qualität der Suchtkrankenversorgung im Rahmen der Krankenhausbehandlung in Gefahr. Die katastrophale Versorgungssituation der frühen 80er-Jahre würde wieder herbeigeführt werden, die Entzugsbehandlung wäre erneut auf eine Detoxikation (Entgiftung) ohne Bezug zum Abhängigkeitssyndrom reduziert. Die durch die Dichotomie der Empfehlungsvereinbarung von 1978 entstandenen Spaltung in hier körperliche, rein medizinisch orientierte Entgiftung und dort psychotherapeutisch rehabilitative Behandlung im Rahmen der Entwöhnungstherapie, ist ja gerade durch die Entwicklung der qualifizierten Entzugsbehandlung überwunden worden. Dieser Behandlungsansatz hat allgemeine Anerkennung (z.B. Rahmenkonzept NRW 2002) gefunden, bzw. eine weitere Differenzierung in den Richtlinien der darüber hinaus gehenden Personalverordnung Psychiatrie erfahren, in der aufgabentypische Schwerpunkte für Abhängigkeitskranke in sechs Behandlungsbereichen definiert wurden.

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3. Forderungen an die PKV

Aus der Sicht der stationären Suchtkrankenversorgung der psychiatrischen Krankenhäuser und Abteilungen sollten PKV wie auch GKV ihren Verpflichtungen im Rahmen des §39 SGB V ohne Einschränkungen nachkommen und die Kosten der Krankenhausbehandlung Suchtkranker (d.h. auch für die (qualifizierte) Entzugsbehandlung) nach den Richtlinien des §12 SGB V in erforderlichem Umfang erstatten.

Andererseits sollten an die PKV keine strengeren Maßstäbe als an die GKV angelegt werden. Sofern die PKV, wie Herr Fritze vorschlägt, unter "Entziehungsmaßnahmen" und "Entziehungskuren" in der üblichen Terminologie die Entwöhnungsbehandlung (Rehabilitation) meint, sollte auch für die PKV das Subsidiaritätsprinzip gelten, d.h. vorrangig ist ein Rentenversicherungsträger für die Entwöhnungskosten zuständig.

für die Mitglieder des Suchtausschusses der BDK

Dr. Heribert Fleischmann

Sprecher des Ausschusses