Dialyse aktuell 2007; 11(5): 42-44
DOI: 10.1055/s-2007-985801
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Herz - Gefäße - Knochen - Die "Problemzonen" bei Dialysepatienten

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Publication Date:
06 August 2007 (online)

 
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Nierenversagen kann nicht nur als isolierte Erkrankung der Nieren betrachtet werden, sondern stellt durch unterschiedliche Folge- und Begleiterscheinungen eine komplexe, den gesamten Organismus betreffende Krankheit dar. Insbesondere die Veränderungen am Knochen und an den Gefäßen sind gravierend. Um die Komplexität auch im Namen zu reflektieren, wird die chronische Niereninsuffizienz daher international auch als "CKD-MBD" ("Chronic Kidney Disease-Mineral Bone Disease") bezeichnet. Denn der gestörte Mineralstoffmetabolismus von nierenkranken Menschen führt zum Abbau der Knochensubstanz, und die Verlagerung von Kalzium aus dem Skelett in Weichteilgewebe führt zur Verkalkung der Gefäße. Letzteres ist es, was das Überleben der Betroffenen so dramatisch verkürzt.

Daher war dieser Aspekt der chronischen Niereninsuffizienz auch auf dem diesjährigen ERA-EDTA-Kongress in Barcelona das meistdiskutierte Thema. Ein hochkarätig besetztes Symposium der Firma Genzyme beschäftigte sich ebenfalls mit diesem Problemkreis. Prof. Eberhard Ritz, Heidelberg, hatte den Vorsitz des Symposiums mit dem Titel "CKD-MBD, the body of evidence", bei dem drei weitere, international anerkannte Experten zu Wort kamen.

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Inverser Zusammenhang: Gefäßverkalkung und Abbau der Knochendichte

Welche Interaktionen es zwischen Herz, Gefäßen und Knochen bei Dialysepatienten gibt, führte Prof. Gerárd London, Paris (Frankreich), aus. Die Verbindung zwischen Herz und Gefäßen ist klar: Bei einer Mediaverkalkung, die bei Dialysepatienten häufig vorliegt, sind die Gefäße "versteinert" und unflexibel, sie können das Herz nicht unterstützen, was längerfristig zu schweren kardialen Problemen führen kann.

Doch inwieweit spielen die Knochen eine Rolle im Prozess der Gefäßverkalkung? Auch wenn die arterielle Kalzifizierung keineswegs nur monokausal erklärbar ist, so konnte eine interessante Beobachtung gemacht werden: Es besteht ein inverser Zusammenhang zwischen der Gefäßverkalkung und dem Abbau der Knochendichte [4], [6], [7] - übrigens nicht nur bei Dialysepatienten, sondern auch in der Allgemeinbevölkerung. Wie eine Studie an postmenopausalen Frauen zeigt, ist offensichtlich auch das Parathormon (PTH) an diesem Prozess beteiligt, und eine Therapie mit PTH erhöht sogar die Knochendichte dieser Patientinnen [7].

Einer neuen, noch nicht publizierten Studie von London zufolge, korreliert bei nierenkranken Patienten das Ausmaß der arteriellen Kalzifizierung mit Veränderungen in der Knochenaktivität, eine Knochenhistomorphometrie kann dies belegen. Dialysepatienten mit einem hohen Kalzifizierungsscore haben gemäß dieser Studie ein geringeres s-PTH, eine geringere Anzahl an Osteoklasten und Osteoblastenoberflächen, keinen oder nur einen geringeren Tetrazyklin-Einbau, einen hohen Prozentsatz an aluminiumbeladenen Oberflächen - und vereinen damit alle Merkmale einer adynamen Knochenerkrankung. Patienten mit einem geringen Kalzifizierungsscore weisen hingegen diese Merkmale nicht auf.

Veränderungen in der "Knochenarchitektur" haben also Auswirkungen auf das Gefäßsystem, und die adynamische Knochenerkrankung ist offensichtlich direkt mit mediasklerotischen Veränderungen der Aorta assoziiert - und zwar unabhängig von den bislang bekannten Risikofaktoren wie Alter oder Bluthochdruck.

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Der adyname Knochen korreliert mit der Mediasklerose

London erklärte dieses Phänomen damit, dass Patienten mit einer adynamischen Knochenerkrankung keine Möglichkeit haben, überschüssiges Kalzium in den Knochen einzulagern. Stattdessen "wandert" das Kalzium in die Gewebe und Gefäße. Eine sinnvolle therapeutische Maßnahme ist daher, bei dieser Patientenklientel die Kalziumlast drastisch zu reduzieren - London riet außerdem ausdrücklich dazu, Dialysepatienten mit adynamer Knochenerkrankung ausschließlich mit kalziumfreien Phosphatbindern zu behandeln. Ein Problem ist jedoch, diese Patienten zu identifizieren, da der Knochenstatus bislang nur durch eine Biopsie festgestellt werden kann - eine Untersuchung, die im Praxisalltag zu aufwendig ist. Erfahrungsgemäß ist ein hoher Prozentsatz an Dialysepatienten von der adynamischen Knochenerkrankung betroffen, denn häufig wird die erhöhte PTH-Ausschüttung übertherapiert, sodass man damit auch den gesamten Knochenumsatz "lahmlegt".

Patienten mit adynamen Knochen definierte London in seinen Ausführungen als eine neue "Hochrisikogruppe" für die progrediente Gefäßverkalkung, und riet seinen Kollegen zur entsprechenden Weitsicht.

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Ausgangskalzifikation als ein weiterer Risikofaktor

Eine weitere Patientenklientel, bei der die Verwendung von kalziumfreien Phosphatbindern unbedingt angeraten ist, definierte Dr. Antonio Bellasi, Mailand. Es sind die Patienten, die bereits zu Dialysebeginn einen hohen Kalzifikationsscore aufweisen. Wie die RIND[1]-Studie von Geoffrey Block [1] zeigte, gibt es Unterschiede zwischen den Patienten hinsichtlich einer möglichen Prädisposition für die Ausbildung einer Mediasklerose. Bei denjenigen Patienten, die im Prädialysestadium keinerlei Ansätze einer Arterienverkalkung zeigten, war auch nach 18 Monaten kaum eine Verschlechterung zu verzeichnen - unabhängig von der Phosphatbindertherapie.

Bei Patienten, die schon vor der Dialyse die ersten Anzeichen der Gefäßverkalkung entwickelt hatten, sah es ganz anders aus: Hier schritt die Mediasklerose rasant fort - und zwar unter der Therapie mit kalziumhaltigen Phosphatbindern wesentlich rasanter als unter Sevelamer.

Das Vorliegen von Gefäßverkalkungen vor Beginn der Dialysepflicht gilt daher als wichtiger prognostischer Faktor. Die neueste KDIGO[2]-Empfehlung betont ausdrücklich, wie wichtig es ist, Neu-Dialysepatienten nach vaskulären Kalzifikationen zu screenen [5]. Diese vorbelasteten Patienten nicht noch weiter durch eine erhöhte Kalziumzufuhr zu gefährden, ist eine logische Konsequenz. Eine kalzium- und metallfreie Substanz zur Phosphatbindung wie beispielsweise Sevelamer ist hier daher dringend angeraten.

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Gefäßschutz und Überlebensvorteil

Bellasi ging auf die zwei wesentlichen Vorteile von Sevelamer ein. So wurde mittlerweile durch mehrere Studien nachgewiesen, dass der kalziumfreie Phosphatbinder im Gegensatz zu kalziumhaltigen Präparaten die Progression der Gefäßverkalkung deutlich vermindert.

In der "Treat-to-Goal"-Studie (TTG) von 2002 [3], hier wurden 200 Hämodialysepatienten randomisiert entweder mit kalziumhaltigen Phosphatbindern oder mit Sevelamer behandelt, war das Fortschreiten der Kalzifizierung in der Sevelamer-Gruppe deutlich geringer. Dies bestätigte sich auch in der bereits zitierten RIND-Studie. Bei den "vorbelasteten" Patienten schritt die Gefäßverkalkung rasant fort - und zwar unter der Therapie mit kalziumhaltigen Phosphatbindern signifikant schneller als unter Sevelamer. Bereits nach 18 Monaten war die absolute mediane Gefäßverkalkung in der "Kalzium-Gruppe" um den Faktor elf höher als in der "Sevelamer-Gruppe" (p = 0,01) (Abb. [1]).

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Abb. 1 Verlangsamte Progression der Gefäßverkalkung unter Sevelamer

Neben diesem Nachweis der verminderten Progredienz der Gefäßverkalkung unter Sevelamer zeigte die RIND-Studie auch verbesserte Mortalitätsdaten bei dieser kalzium- und metallfreien Phosphatbindertherapie auf. Während der 44-monatigen Nachbeobachtungsphase verstarben insgesamt 34 Patienten, 23 aus dem Studienarm, der mit kalziumhaltigen Phosphatbindern behandelt wurde, und nur elf aus dem "Sevelamer-Arm". Die Differenz hinsichtlich der Mortalität zwischen beiden Therapieregimen war statistisch signifikant (p = 0,05), und sie vergrößerte sich sogar noch nach Adjustierung verschiedener Einflussgrößen wie Alter, ethnischer Zugehörigkeit oder Geschlecht (p = 0,016) [2]. Mit diesen Studiendaten ist Sevelamer der einzige Phosphatbinder, der nachweislich einen signifikanten Einfluss auf die Kalzifizierung und das Überleben von Dialysepatienten hat.

Der Überlebensvorteil ist wahrscheinlich nicht allein auf die "Kalziumfreiheit" der Therapie zurückzuführen, sondern könnte auch verschiedenen, für Sevelamer spezifischen, zusätzliche Risiken verringernden Effekten wie Lipidsenkung, Fetuin-A-Erhöhung oder Senkung des Harnsäurespiegels zu verdanken sein, kommentierte Bellasi. "Der therapeutische Benefit von Sevelamer geht über das reine Phosphatmanagement hinaus", lautete daher seine Schlussfolgerung.

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Gesundheitsökonomische Gesichtspunkte

Während London und Bellasi die kalzium- und metallfreie Phosphatbindertherapie zumindest für bestimmte "Risikogruppen" als obligat ansahen, votierte Prof. Donald Molony, Houston (USA), dafür, allen Dialysepatienten die Vorteile der Therapie mit Sevelamer zuteil werden zu lassen. Seiner Meinung nach seien auch die höheren Kosten für diese Therapie zu rechtfertigen.

Er bezog sich auf eine gesundheitsökonomische Analyse von St. Peter et al. [8], bei der eine direkte Auswertung des Datenbestandes der verbrauchten Gesundheitsressourcen des "Centers for Medicare and Medicaid Services" (CMS) vorgenommen wurde. Die Analyse zeigt zum ersten Mal eine Morbiditätsabnahme durch die Behandlung mit Sevelamer im Vergleich zu kalziumhaltigen Phosphatbindern, was sich konkret in einem signifikanten Rückgang der Klinikaufenthalte und der Verweildauern widerspiegelt. Nach seiner Auswertung der US-amerikanischen Analyse kam Molony zu dem Schluss, dass dadurch die höheren Therapiekosten amortisiert würden.

Ein interessanter gesundheitsökonomischer Ansatz, dessen Validität auch für Deutschland geprüft werden sollte. In den USA ist Sevelamer bereits die Standardtherapie zur Phosphatbindung.

Dr. Bettina Albers, Weimar

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Statement Prof. Eberhard Ritz, Heidelberg

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"In der Vergangenheit waren kalziumhaltige Phosphatbinder, nachdem aluminiumhaltige Präparate wegen der Toxizität praktisch kaum noch angewendet wurden, die einzig verfügbaren Substanzen zur Phosphatbindung.

Wir wissen heute, dass die kalziumhaltigen Phosphatbinder mit gewissen Risiken verbunden sind, insbesondere, wenn Dosen verwendet werden, die über den in den Leitlinien empfohlenen Mengen liegen. Und insofern sind die kalziumfreien Phosphatbinder im Moment - wenn auch nicht für alle Patienten obligatorisch - eine höchst willkommene Ergänzung unseres therapeutischen Armamentariums.

Quelle: Symposium "CKD-MBD, the body of evidence" im Rahmen des ERA-EDTA-Kongresses, veranstaltet von der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg

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Literatur

  • 01 Block GA . Spiegel DM . Ehrlich J . et al . Effects of Sevelamer and calcium on coronary artery calcification in hemodialysis patients.  Kidney Int. 2005;  68 1815-1824
  • 02 Block GA . Raggi P . Bellasi A . et al . Mortality effect of coronary calcification and phosphat binder choice in incident hemodialysis patients.  Kidney Int. 2007;  71 438-441
  • 03 Chertow GM . Burke SK . Raggi P . et al . Sevelamer attenuates the progression of coronary and aortic calcification in hemodialysis patients.  Kidney Int. 2002;  62 245-252
  • 04 London GM . Marty C . Marchais SJ . Arterial calcifications and bone histomorphometry in end-stage renal disease.  J Am Soc Nephrol. 204;  15 1943-1953
  • 05 Moe S . Drüeke T . Cunningham J . et al . Definition, evaluation, and calcification of renal osteodystrophy: a position statement from Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO).  Kidney Int. 2006;  69 1945-1953
  • 06 Raggi P . Bellasi A . Ferramosca E . et al . Pulse wave velocity is inversely related to vertebral bone density in hemodialysis patients.  Hypertension. 2007;  49 1278-1284
  • 07 Schultz E . Arfai K . Liu X . et al . Aortic calcification and the risk of osteoporosis and fractures.  J Clin Endocrinol Metab. 2004;  89 4246-4253
  • 08 St. Peter W . J Liu J . Fan Q . Weinhandl E . DCOR Study. Assessing impact of sevelamer vs calcium binders on hospitalization and morbidity in hemodialysis patients using CMS data.  ASN. 2006; 

01 Renagel In New Dialysis

02 Kidney Disease: Improving Global Outcome

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Literatur

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01 Renagel In New Dialysis

02 Kidney Disease: Improving Global Outcome

 
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Abb. 1 Verlangsamte Progression der Gefäßverkalkung unter Sevelamer

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