Rofo 2007; 179(8): 867-868
DOI: 10.1055/s-2007-985512
Mitteilungen der DRG

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Derzeitige Rechtslage in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten - Kontrastmittel im Off-label-use

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Publication Date:
24 July 2007 (online)

 
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Rechtliche Einordnung von Kontrastmitteln

Kontrastmittel verbessern die Darstellung von Strukturen und Funktionen des Körpers in bildgebenden Verfahren, indem sie das Signal, das in der jeweiligen Untersuchung registriert wird (Röntgenstrahlen, Magnetresonanz), modifizieren. Beispielsweise verwendet man in der Radiografie ein Kontrastmittel, das Röntgenstrahlen stärker absorbiert als normales Weichteilgewebe, oder Blutgefäße, die normalerweise auf einem Röntgenbild nicht sichtbar sind, werfen nach der Injektion einer iodhaltigen Lösung Röntgenschatten und werden so sichtbar (sog. Angiografie). Die Erkennbarkeit von Anomalien und Auffälligkeiten wird erheblich vergrößert.

Kontrastmittel sind Arzneimittel i.S.d. § 2 Abs.1 Nr.2 Arzneimittelgesetz (AMG). Nach dieser Definition sind Kontrastmittel Stoffe, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung im menschlichen Körper die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers erkennen zu lassen.

Als Humanarzneimittel bedarf ein Kontrastmittel der Zulassung gem. § 21 Abs.1 AMG durch die zuständige Bundesoberbehörde, vgl. § 77 AMG, nämlich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), bevor es in den Verkehr gebracht werden darf. Dem Zulassungsantrag gehen in der Regel aufwendige wissenschaftliche Studien hinsichtlich der Dosierung, Wirksamkeit, Anwendung und Sicherheit des Kontrastmittels für jede einzelne Indikation voraus. Ist die Zulassung erteilt, darf das Kontrastmittel gem. § 11 AMG nur mit einer Gebrauchsinformation in den Verkehr gebracht werden, die die zugelassenen Anwendungsgebiete, die Dosierung und die Art und Dauer der Anwendung enthält.

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Off-label- use von Kontrastmitteln

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) ist die Kostentragungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) grundsätzlich auf Arzneimittel im Rahmen der zugelassenen Anwendungsgebiete beschränkt. Die Durchführung eines Arzneimittelzulassungsverfahrens ist für den Arzneimittelhersteller jedoch sehr aufwändig und kostenintensiv, deswegen sind nicht alle Arzneimittel für alle in Betracht kommenden Indikationen zugelassen. In der Praxis führt das dazu, dass Kontrastmittel, in bestimmten Fällen auch außerhalb ihrer arzneimittelrechtlichen Zulassung eingesetzt werden.

Off-label-use bedeutet, dass ein Arzneimittel außerhalb seiner arzneimittelrechtlichen Zulassung verwendet wird. Die insoweit relevanten Aspekte der Zulassung sind das Anwendungsgebiet und die Darreichungsform, aber etwa auch die Anwendungsmodalitäten wie die Dosierung, der Einnahmezeitpunkt und die Behandlungsdauer.

Das BSG hat im Jahr 2004 entschieden, dass, um von einem Off-label-use im Rechtssinne zu sprechen, ein Arzneimittel grundsätzlich einer gültigen deutschen Zulassung bedarf.

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Exkurs

Die Erstattungsfähigkeit im Bereich des Off-label-use von Arzneimitteln allgemein wurde von dem Bundessozialgericht in mehreren Entscheidungen anerkannt. Bevor ein Arzt ein Arzneimittel off-label zu Lasten der GKV verschreibt, muss er - für einige wenige Arzneimittel ist der Einsatz im nicht zugelassenen Anwendungsgebiet (Off-label-use) in den Arzneimittelrichtlinien (dort Anlage 9, Teil A) geregelt- zur Vermeidung eines späteren Regresses prüfen, ob die von der Rechtsprechung formulierten Voraussetzungen dafür vorliegen:

  • Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor.

  • Eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapie steht nicht zur Verfügung.

  • Bezüglich des Off-label-use besteht eine "nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf".

Diese drei Voraussetzungen hat das Bundessozialgericht aus der "Nikolaus-Entscheidung" des Bundesverfassungsgerichts übernommen, die am Nikolaustag 2005 erging. Parallel dazu dürfte weiter gelten, dass bei schwerwiegenden (also nicht lebensbedrohlichen) Erkrankungen ein wissenschaftlicher Nachweis der Wirksamkeit im nicht zugelassenen Anwendungsgebiet zu fordern ist. Damit letzteres vorliegt, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder

  • die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht ist und eine klinische relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder

  • außerhalb eines Zulassungsantrages gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.

Das BSG verfeinerte die Voraussetzungen der Erstattungsfähigkeit von Off-label- Einsätzen zugelassener Arzneimittel mit Urteil vom 04.April 2006 wie folgt:

  • Die Therapie im Off-Label-Bereich muss im Einklang mit dem geltenden Arzneimittelrecht stehen. Es dürfen also keine zulassungspflichtigen, aber nicht zugelassenen Medikamente eingesetzt werden. Im Fall von Importen müssen die Voraussetzungen des § 73 Abs.3 AMG erfüllt sein (Zulassung im Herkunftsland, Einzelrezeptanforderung), um das Arzneimittel in Deutschland in Verkehr bringen zu dürfen.

  • Vor der Behandlung muss nicht nur abstrakt, sondern auch individuell auf den Patienten bezogen eine Analyse und Abwägung von Chancen und Risiken mit dem voraussichtlichen Nutzen erfolgen. Dadurch sind die Schwere der Erkrankung und ihr weiterer möglicher Verlauf für die Beurteilung des potenziellen Nutzens eines Off-label-use wichtig.

  • Die Behandlung selbst muss den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechen und ausreichend dokumentiert werden.

  • Schließlich muss der Patient ausreichend aufgeklärt sein und in die beabsichtigte Anwendung des Arzneimittels außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebietes einwilligen. Aus Sicherheitsgründen ist dies zu dokumentieren.

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Übertragbarkeit auf Kontrastmittel

Diese Grundsätze der Erstattungsfähigkeit sind nicht uneingeschränkt auf den Off-label-use von Kontrastmitteln übertragbar. Die Funktion der Kontrastmittel beschränkt sich auf die der Diagnostik, nicht aber auf den Bereich der Pharmakotherapie.

Gesetzliche Regelungen oder einschlägige Rechtssprechung existieren für den Off-label-use von Kontrastmitteln nicht, so dass es weiterhin einer klaren rechtlichen Einschätzung bedarf.

Die Übertragbarkeit der Voraussetzungen der Erstattungsfähigkeit könnte jedoch angedacht werden, wenn die Anwendung der Kontrastmittel außerhalb ihrer Zulassung aufgrund eines dringenden Verdachts einer Erkrankung zu Diagnosezwecken erforderlich wird. Es müsste sich dann um die Diagnostik bzgl. einer Erkrankung handeln, deren Therapie die o.g. Voraussetzungen für einen Off-label-Einsatz erfüllen würde.

Die Diagnostik durch Einsatz eines Kontrastmittels in zulassungsüberschreitender Weise könnte so als Teil der erforderlichen Heilbehandlung als ein erstattungsfähiger Off-label-Einsatz gesehen werden.

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Die Haftung des behandelnden Arztes

Grundsätzlich besteht für einen Arzt die Möglichkeit, zugelassene Kontrastmittel auch außerhalb der Zulassung einzusetzen. Das begründet die ärztliche Therapiefreiheit.

Kommt es bei dem Einsatz eines zugelassenen Kontrastmittels bei der von der Zulassung erfassten Anwendung bei einem Patienten zu einem Schadensfall, stellt sich die Frage, welche Haftungsfolgen den Arzt erwarten. Der behandelnde Arzt ist immer der Gefahr der strafrechtlichen und zivilrechtlichen Haftung ausgesetzt. Während strafrechtliche Sanktionen in Form von Geld- oder Freiheitsstrafen für die Begehung von Körperverletzungsdelikten gem. §§ 223 ff. StGB drohen, sind zivilrechtlich insbesondere Schadensersatz- und Schmerzensgeldzahlungen zu befürchten.

Allein der Einsatz des Kontrastmittels außerhalb der klinischen Forschung begründet jedoch noch keine Haftung des Arztes. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des Arzthaftungsrechtes bedarf es zusätzlich eines zurechenbaren groben Fehlverhaltens des Arztes.

Der zulassungsüberschreitende Einsatz von Kontrastmitteln erfolgt ordnungsgemäß, wenn der behandelnde Arzt sich an die bereits in II. dargestellten Anforderungen an eine rechtmäßige zulassungsüberschreitende Anwendung des Kontrastmittels hält.

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Auch der Arzneimittelhersteller haftet

Neben dem behandelnden Arzt können für die Folgen des Off-label-use auch die Hersteller der Kontrastmittel gem. § 84 AMG haften.

Die Haftung erstreckt sich auf den Schaden, den ein Patient erleidet, obwohl das Mittel bestimmungsgemäß eingesetzt wurde. Der "bestimmungsgemäße Gebrauch" meint zwar zunächst den Gebrauch, der sich innerhalb des Anwendungsbereichs der erteilten Zulassung des Kontrastmittels bewegt. Eine Erweiterung der Haftung findet aber statt, wenn der Hersteller des Arzneimittels Kenntnis von der zulassungsüberschreitenden Verwendung der Kontrastmittel hat und dennoch untätig bleibt. In diesen Fällen sind diese Anwendungen, der Off-label-use, als bestimmungsgemäßer Gebrauch anzusehen. Für Schäden, die in diesen Fällen auftreten, ist die Haftung über den zulassungsgemäßen Einsatz zu übernehmen.

Um der Haftung zu entgehen kann der Arzneimittelhersteller in seiner Gebrauchsinformation vor der Anwendung außerhalb des zugelassenen Bereichs warnen, oder eine bestimmte Anwendung ausschließen.

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Fazit

Die zulassungsüberschreitende Verwendung von Kontrastmitteln unterscheidet sich nicht von den allgemeinen Grundsätzen des Off-label-use. Unter Beachtung der Voraussetzungen für die Anwendung von Kontrastmitteln über ihr zugelassenes Anwendungsgebiet hinaus ist der Off-label-use zulässig und unbedenklich. Dies ist auch notwendig, um Diagnosestellungen schnell und effektiv zu gestalten, und die Heilung schwerwiegender und lebensbedrohlicher Krankheiten nicht durch kostspielige und langwierige und insbesondere bürokratische Zulassungsverfahren zu verzögern bzw. zu verhindern.

Antje-Katrin Heinemann

Rechtsanwältin

Noemi Löllgen

Rechtsreferendarin

Rechtsanwälte Wigge

www.ra-wigge.de

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International Stephen Hoogendijk Award

Prof. Dr. Willi A. Kalender, Lehrstuhl für Medizinische Physik der Universität Erlangen-Nürnberg, wurde in Rotterdam mit dem International Stephen Hoogendijk Award ausgezeichnet. Der Preis, der von der niederländischen "Bataafsch Genootschap der Proefondervindelijke Wijsbegeerte" vergeben wird, ist in Holland hochangesehen und mit 15.000 Euro dotiert. Er wurde in diesem Jahr für Leistungen im Bereich der Medizintechnik vergeben.

 
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