Am 20. Dezember 2006 verabschiedeten die Vereinten Nationen eine Resolution zum Diabetes,
die die Mitgliedsstaaten zur Entwicklung nationaler Konzepte zur Diabetesvorsorge,
Diabetesbehandlung und Diabetesversorgung auffordert. Und erst kürzlich haben die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Diabetes Federation (IDF)
das Jahr 2007 zum "Jahr der Kinder und Jugendlichen mit Diabetes" erklärt und damit
die Bedeutung dieser Erkrankung bei jungen Menschen betont. Internationale Diabetes-Organisationen
und Mitglieder des Europäischen Parlaments starteten daraufhin im Januar in Brüssel
einen Aufruf zur besseren Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes.
Denn wenn derzeit von der kommenden oder bereits existierenden "Diabetes-Epidemie"
die Rede ist, denkt man zunächst und vor allem an den Typ-2-Diabetes. Dieser - und
dies ist soweit richtig - wird in den nächsten Jahrzehnten mit Sicherheit alle Gesundheitssysteme
der Welt massiv belasten, zu riesigen Verlusten an Lebensjahren, Lebensqualität und,
vor allem in den ärmsten Ländern, zu einem geringeren Anstieg des Wirtschaftswachstums
führen. Diese Epidemie wäre aber durch eine Umstellung des Lebensstils mit der Vermeidung
der längst bekannten Risikofaktoren noch abzuwenden. Wie bei vielen Zivilisationskrankheiten
gilt auch hier, dass es besser und auf lange Sicht auch billiger wäre, in präventive
Maßnahmen zu investieren. Die meisten Gesundheitssysteme sind aber kurativ und nicht
präventiv ausgerichtet, und in den ärmeren Ländern ist nicht einmal Geld für die notwendige
Basisversorgung vorhanden. Nach den Daten der IDF liegen die Kosten für die Behandlung
und Prävention des Diabetes und seiner Spätfolgen in Europa im Jahr 2007 bei mehr
als 44 Milliarden Euro - in der Hochrechnung werden es im Jahr 2025 dann 57 Milliarden
Euro sein. Zwar erkranken durch den "westlichen" Lebensstil getrieben immer häufiger
auch junge Menschen an einem Typ-2-Diabetes - die Bezeichnung "Altersdiabetes" gehört
in die Medizingeschichte. Dieser ist jedoch noch immer weit überwiegend eine Erkrankung
des Erwachsenenalters, wenn auch der Prozess mit der Entwicklung des Metabolischen
Syndroms schon in jungen Jahren beginnt.
Alarmierende Zunahme des Typ-1-Diabetes
Alarmierende Zunahme des Typ-1-Diabetes
Wie gesagt, auch Jugendliche und sogar bereits Kinder können an einem Typ-2-Diabetes
erkranken, der derzeit jüngste deutsche Patient war zum Zeitpunkt der Diagnose gerade
einmal fünf Jahre alt! 90 % aller Diabetesfälle bei Kindern und Jugendlichen sind
aber dem Typ-1-Diabetes zuzurechnen - und dessen Entstehung ist nicht durch den Lebensstil
getrieben und er kann auch nicht verhindert werden, erklärt Prof. Thomas Danne, Generalsekretär
der ISPAD (International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes) bei einer
Pressekonferenz im Europaparlament in Brüssel. Und was in der Öffentlichkeit weniger
bekannt ist: Auch die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes wächst in
alarmierendem Tempo - jährlich um 5 % bei Vorschulkindern und um 3 % bei Schulkindern
und Jugendlichen. In Deutschland erkrankt eines von 600 Kindern an einem Typ-1-Diabetes,
in Finnland liegen die Zahlen noch einiges höher und insgesamt sind in Europa derzeit
annähernd 100 000 Kinder betroffen. Wenn ein Diabetes bereits im Kindes- oder Jugendalter
auftritt, sinkt die Lebenserwartung um durchschnittlich 15 Jahre.
Für Kinder und die betroffenen Familien stellt die Diabeteserkrankung eine enorme
Belastung dar. Christine Bartos, Mutter einer siebenjährigen Tochter mit Typ-1-Diabetes
sagte dazu in Brüssel: "Regelmäßig den Blutzucker zu messen und die richtige Insulinmenge
zu bestimmen, um die Wirkung des Essens und körperlicher Aktivitäten auszugleichen,
wird schnell bestimmend für das ganze Leben. Es ist unglaublich schwierig, ein spontanes
und lebhaftes Kind in eine strenge Routine zu pressen. Eine Behandlung, die hier mehr
Flexibilität zulässt, kann das Leben wirklich erleichtern".
Die Therapie bei Kindern mit Diabetes stellt hohe Anforderungen
Die Therapie bei Kindern mit Diabetes stellt hohe Anforderungen
Auch Danne betonte, dass das Management der Diabeteserkrankung bei Kindern wegen des
langen Nachtschlafs, wegen häufiger spontaner Aktivitäten, unvorhersehbarem Essverhalten,
der begrenzten Zahl von Injektionsstellen und dem verstärkten Ansprechen auf Insulin
ganz besondere Aufmerksamkeit erfordert und er meinte dazu, dass aus diesem Grund
bestimmte Therapiemittel, wie zum Beispiel Insulinpumpen, für Kinder zur Therapieführung
besser geeignet sind als andere. Denn heute entwickeln bis zu 50 % der diabetischen
Kinder im Lauf ihres Lebens die bekannten Folge- oder Begleiterkrankungen. Häufig
auftretende Hypoglykämien beeinträchtigen die kognitiven Fähigkeiten der Kinder und
sind vermutlich einer der Gründe für die erhöhte Sterblichkeitsrate bei Kindern mit
Diabetes. Häufigste Morbiditäts- und Todesursache bei Kindern und Jugendlichen mit
Typ-1-Diabetes ist aber die Ketoazidose - und frühzeitige Diagnose und optimales Krankheitsmanagement
kann hier die Zahl der Betroffenen deutlich senken.
Aktionsplan für die Verbesserung des Diabetesmanagements bei Kinder
Aktionsplan für die Verbesserung des Diabetesmanagements bei Kinder
"Wir sind mitten in einer Pandemie und die IDF hat das Problem der Kinder mit Diabetes
in den Fokus gehoben, weil nicht in allen Ländern der Zugang zur denkbar besten Versorgung
gewährleistet ist und wir uns erhoffen, dass die nationalen Regierungen auf diese
Kampagne reagieren werden", erklärte Anne Felton, Vizepräsidentin der IDF in Europa.
Als eine zentrale Herausforderung betrachtet auch der Gründer dieser Initiative für
eine bessere europaweite Versorgung von Kindern mit Diabetes, Dr. Thomas Ulmer, Mitglied
des Europäischen Parlaments, die Verbesserung des Diabetesmanagements bei Kindern.
Die EU müsse hier die Voraussetzungen für eine bessere Ausbildung von Ärzten und Pflegekräften
und eine bessere Versorgung der Patienten und ihrer Familien in ganz Europa schaffen.
Hier könne ein Netzwerk von Spitzenzentren (Centers of Excellence) auf dem Gebiet
des Diabetes bei Kindern wissenschaftliche Fortschritte für die ärztliche Praxis nutzbar
machen
-
durch eine bessere Informationsweitergabe und Förderung optimaler Versorgung auf europäischer
Ebene
-
durch Anreize zur Entwicklung von Mindeststandards in der Versorgung und
-
durch die Erleichterung der Erfassung und Überwachung epidemiologischer Daten.
Dies unterstrich Danne mit der Aussage, dass viel getan werden könne, um die Folgeerkrankungen
von Diabetes zu verzögern oder sogar zu verhindern - sofern Zugang zu entsprechender
Versorgung, Medikamenten und Diagnosegeräten gegeben ist. Er betonte, dass derzeit
in Europa noch signifikante Unterschiede bei der Diabetesversorgung an pädiatrischen
Zentren bestehen.
Allerdings wird es einen langen Atem brauchen, denn wie so oft mahlen die europäischen
Mühlen ganz langsam - dies wird im folgenden Interview deutlich, das wir mit dem Mediziner
Dr. Thomas Ulmer, MEP im Anschluss an die Vorstellung der Initiative geführt haben.
Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Initiative von der Firma Medtronic finanziell
gestützt wird. Auf Befragen erklärte Ulmer, dass die Firma jedoch keinerlei Einfluss
auf die Inhalte der Veranstaltung wie auch vor allem auf Inhalt und Ausrichtung der
Initiative genommen oder auch nur gewünscht habe.
Günther Buck
"Children and Diabetes. Access to better and equal treatment in the EU". Vorstellung
der EU-Initiative im Members Salon des Europa-Parlaments am 30. Januar 2007 in Brüssel